Gut, dass es uns gut geht! Geht es uns gut?

Gut, dass es uns gut geht! Geht es uns gut?

Thiemo Strutzenberger: Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends

 

10 Jahre ist es bereits her, dass Peter Licht mit seinem Hit „Sonnendeck“ in den deutschsprachigen Charts ankam. Wer hätte damals gedacht, dass sich der junge Kölner einmal beim Ingeborg Bachmann Wettbewerb in die Herzen des Publikums lesen würde? Und genau dieser Text, mit dem er 2007 reüssierte, gelangte schon in der vorigen Saison unter der Regie von Katharina Schwarz auf die Bühne des Schauspielhauses in Wien. In dieser Saison wurde er einen Tag vor dem Konzert von Peter Licht, das ebenfalls im Schauspielhaus veranstaltet wurde, wieder aufgenommen. In dem Stück mit dem sperrigen Titel „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ verkörpert Thiemo Strutzenberger einen jungen Mann, der dem Publikum wie beiläufig von seinen jüngsten Befindlichkeiten und Erlebnissen erzählt.

Ganz alleine sitzt er auf einer scheinbar völlig improvisierten Bühne – oder ist es ein abgefucktes Loft – und erklärt, dass es ihm eigentlich richtig gut gehe, dass er sich alles leisten könne und zufrieden sei. Bis sich in diese beiläufige Erzählung ein Wurm einschleicht. Ein Wurm, der dieses Glücksgefühl so lange annagt, bis es ganz zu Staub zerfällt und die nackte Wahrheit übrig bleibt: Schulden. Nichts kann er sich leisten, der junge Mann, und wenn er aus einem vollen Konto schöpfen kann, dann nur aus jenem, das sich Schuldenkonto nennt.

Nach einem kurzen, schamhaften Lachen, das sich als kleine Entschuldigung für die soeben erlittene Irreführung entpuppt, lädt er uns erneut auf eine Reise ins Reich der gewünschten Möglichkeiten ein. Er erklärt, wie das denn so ist mit der Liebe – schön halt, nur wenn er es recht bedenkt … Worauf bald klar wird, dass es in seinem Leben mit der Liebe eigentlich auch nicht so schön ist. Oder doch? „Across the universe“, 1969 von den Beatles als Ohrwurm mit dem unvergesslichen Refrain „Nothing´s gonna change my world“ produziert, dient ihm rasch als selbst gesungene Endlosschleife, als Beschwörungsformel, die etwas längst Vergangenes nicht loslassen möchte. Erleuchtet nur mit einer kleinen Neonröhre, ähnlich einem Kreuz im Herrgottswinkel montiert, dem Publikum abgewandt, versinkt er dabei ganz in seine Erinnerung, bis ihn seine Realität wieder einholt.

Nun beginnt er, ganz gelöst, mit der Zustandsbeschreibung seines Sofas, auf dem er es sich einst gemütlich gemacht hatte. Umgeben oder besser inmitten einer Baustelle; beschönigend könnte man von einem kleinen Raum sprechen, dem zumindest zwei begrenzende Mauern fehlen. Er erzählt, wie gut er sitzt. Wie bequem das Sofa ist, wie hoch dessen Qualität sei. Bis er wiederum all das, was er eingangs an Idee eines bequemen Sofas in einer kunstvollen Sprache aufgebaut hatte, Stück für Stück einreißt. Und so befinden wir uns plötzlich in einem schrecklichen Endzeitszenario, in dem der junge Mann einer der wenigen ist, der auf diesem Planeten noch am Leben zu sein scheint.

Sein Trick – oder besser – sein Tick ist durchschaut. Das Grauen, das ihn umgibt und das er erlebt hat, ist nicht ad hoc erzählbar. In kleinen, wohlgeformten Dosen bringt er es dem Publikum bei, verschreckt es nicht gleich mit dem, was für ihn jetzt wirklich ist. Blickt zurück, auf eine einst schönere Zeit, in der es sich ein schönes Leben leben ließ, mit Geld, Liebe und einem intakten Dach über dem Kopf, das aber längst vergangen scheint. Wie er sich Minute um Minute bei der Wiedergabe der dramatischen Ereignisse in Rage redet, macht er klar, dass für ihn nichts verarbeitet ist. Aber warum sitzt das Publikum eigentlich hier? Wo befindet es sich eigentlich genau? Warum hat der junge Mann nach einer kurzen Eingewöhnungsphase wie selbstverständlich zu erzählen begonnen?

Peter Lichts kurzer Text ist einer der spannendsten, packendsten und tiefgründigsten, der im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren veröffentlicht wurde. Und einer der kunstvollsten, was die Sprachbehandlung betrifft. Ihn auf die Bühne zu setzen bedeutet, sich einer großen Gefahr auszusetzen, denn ein guter, kurzer Text evoziert bei den Leserinnen und Lesern für gewöhnlich starke Bilder. Werden diese dann nicht bedient, ist eine Bühnenkatastrophe vorprogrammiert. Durch die intelligente Regieführung von Schwarz und das beredte Spiel Strutzenbergers, der den sprachlich so kunstvoll gebauten Text ganz natürlich in den Raum stellen kann, gelingt jedoch in diesem Fall die Quadratur des Kreises. Sie schaffen es, Lichts Text eine weitere Bedeutungsebene hinzuzufügen. Durch die Bespielung des gesamten Raumes – der junge Mann öffnet zeitweise sogar die Türe zur Porzellangasse, in der die Straßenbahn vorbeibraust, ziehen die beiden die Zuschauerinnen und Zuschauer anfangs kaum merklich, in jenen Ort, in dem sich der Protagonist jetzt befindet. Dieser Antiheld, der so zwischen den Extremen schwankt, wie es nur ein Schizo kann. Und wir, das Publikum, sind bei ihm. Irritierend?

Lichts Text ist eine gelungene und nicht einmal übertriebene Parabel über das derzeitige Weltgeschehen. Staatsschulden aller Orten, Kernkraftunfälle wie jener in Fukushima, Terroranschläge, die alle Welt fast täglich neu erwartet. Nichts ist mehr so, wie es einst war und dennoch beginnen wir uns einzugewöhnen in das Schreckliche, ohne es ständig zu benennen. Nur häppchenweise sprechen auch wir darüber, betten „es“ ein in unseren Alltag, in dem all das doch nur Randerscheinungen sind, die verdrängt werden können. Kraft unserer Imagination, die unsere Welt täglich neu nach unseren Wünschen erschafft. Wo befinden wir uns hier?

Peter Licht – Lesung – Teil 2
Peter Licht – Lesung – Teil 3



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