Gudrun Ensslin: Dichterin und Henkerin

Gudrun Ensslin hat Literatur geliebt und das System gehasst. Eine neue Biografie verspricht unvoreingenommene Blicke auf die RAF-Terroristin. Das gelingt - teilweise...

Victoria OcampoLizenziert unter Gemeinfrei

Gudrun Ensslins Lebensgeschichte ist Literatur: Die schöne Pfarrerstochter verflucht die Nächstenliebe, gibt sich als Braut des Bösen dem teuflischen Terror hin, ehe sie freiwillig aus dem Leben scheidet. Das ist eine Steilvorlage für Biografen. Und genau das bringt Ensslins Biografin Ingeborg Gleichauf dazu, ihre besondere Lebensgeschichte nochmal vorurteilsfrei aufzurollen - über die Literatur, die sie selbst gelesen und durchdrungen hat. Dabei zeigt sie Ensslin eher als Dichterin denn als Henkerin.

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Rätselhafte Menschen faszinieren. Gudrun Ensslin ist so ein Mensch. Ihr Lebensweg hätte sie als ehrgeizige und akribische Forscherin auf einen Germanistik-Lehrstuhl bringen können, als vielseitig belesene Lektorin in große Verlage oder sogar als Autorin in die Bestsellerlisten. Stattdessen hat sie die Wurzeln ihrer humanistischen Bildung und ihrer christlichen Erziehung gekappt und sich (selbst)mörderischer Gewalt und blindem Hass hingeben. Als RAF-Terroristin hat an der Vernichtung all dessen gearbeitet, was sie einst ausgemacht hat: Nächstenliebe (als  Tochter, Schwester, Mutter, Freundin), Weltoffenheit (als allseits interessierte Schülerin mit Auslandsjahr) und kritisches Urteilsvermögen (als Vielleserin und politische Redakteurin mit sozialdemokratischem Missionseifer).

Gudrun Ensslin ist 1940 geboren und in einer Pfarrersfamilie aufgewachsen. In der Schule ist sie beliebt und wissensdurstig. Gudrun Ensslin studiert Germanistik und schreibt ihre Doktorarbeit (teilweise mit Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes) über den Schriftsteller Hans Henny Jahn, der Gewalt ablehnt und menschliche Brutalität geißelt. Ensslin verfügt über eine scharfsinnige Beobachtungsgabe, stilsichere Formulierungskünste und eine eigene musische Begabung. Diese Wesenszüge arbeitet ihre Biografin Ingeborg Gleichauf treffsicher heraus. Die Dichterin und Dichter-Forscherin Gudrun Ensslin näher kennen zu lernen, ist das größte Verdienst dieser Biografie, die durch diese Herangehensweise eine Sonderstellung unter den direkten und indirekten Lebensbeschreibungen von Gudrun Ensslin einnimmt: Gleichauf bewirkt durch ihre profunden Analysen, dass man sich die Texte, die Ensslin geprägt haben, selbst zur Hand nimmt. Ebenso überzeugend ist es, dass sie sich nicht auf tiefenpsychologische Spekulationen zu Ensslins Männerwahl einlässt - auch wenn hier Potential wäre. Berward Vesper, ihr erster Partner, teilt Gudrun Ensslins Liebe zu Büchern, kann sich aber nicht von seinem nationalsozialistisch geprägten Vater lösen. Und ihr zweiter Partner ist Andreas Baader, der Kopf der RAF. Es fällt Ingeborg Gleichauf an manchen Stellen lesbar schwer, ihm die Verantwortung für Ensslins Radikalisierung zuzuschreiben - aber sie hält es durch, auch wenn es schwer sein mag.

Unnötig kompliziert macht es sich Ingeborg Gleichauf damit, ihren Anpruch des unvoreingenommenen Herangehens gegen andere Autoren abzugrenzen. Denn anstatt ihre Leistung für sich stehen und das Werten anderen zu überlassen, fällt sich  abschätzige Urteile über Stefan Austs RAF-Standardwerk, die unentspannt und wenig souverän rüberkommen. Und auch die Lobeshymnen auf Gerd Koenen sind insofern unangebracht, als sie die Eigenständigkeit in Frage stellen, die ihr eigenes Ensslin-Buch im breiten Angebot der Literatur zur RAF durchaus verdient. Dabei ist diese Biografie streng genommen gar kein echtes RAF-Buch. Sein qualitativer und quantitativer Fokus liegt auf den Jahren, in denen Ensslin noch nicht als Terroristin menschenverachtende Verbrechen begangen und verantwortet hat. Das ist insofern erfrischend, als die Literatur zum RAF-Terror tatsächlich kaum noch zu überschauen ist. Wer sich allerdings über diese Ensslin-Biografie zum ersten Mal mit dem RAF-Terror beschäftigt, dem hätte man die dunkle Seite der Gudrun Ensslin vielleicht noch etwas deutlicher vor Augen führen können. Dessen ungeachtet ist die diese Biografie gelungen: Ingeborg Gleichauf zeigt eindrucksvoll, dass man Menschen nicht pauschal bewerten kann und soll - auch wenn sie viel Unheil angerichtet haben.

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