Was verbindet Lefebvres Urbanisierungs-Thesen, die Fankultur eines Zweitligavereins und die Angst vor Gentrification miteinander? Ganz einfach: das neue Stück des GRIPS-Theaters.
Am Vorabend der mittlerweile zur Großdemonstration geadelten Mietendemo lud das GRIPS-Theater zur Premiere ein: “Schöner Wohnen – Ein singender Umzug„.
Gentrification gibt es gerade auf allen Kanälen: Es gibt Bücher [ 1 / 2 ] und Radio-Feature, Hörspiele und Filme [ 1 / 2 ] und nun sogar ein Theaterstück zum Thema. Die Story klingt wie aus dem Berliner Alltagsleben gegriffen und wird auch genau so erzählt:
Das Haus wird saniert. Sieben Mieter sind froh. Endlich geht es mit dem maroden Haus wieder bergauf. Die Gegend „kommt“, man fühlt sich bestätigt, ausharren lohnt. Doch als die Sanierungsankündigung immer umfassender wird und damit klar, dass die Mieten beträchtlich steigen werden, prallen sieben unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinander. Soll man bleiben? Sich abfinden lassen? Aber wo eine bezahlbare Wohnung finden? Kann man sich wehren, und wer würde zusammenhalten?
Das Haus wird von einem internationalen Anleger erworben und der bringt mit seinen Plänen das Haus und die Nachbarschaftsbeziehungen gründlich durcheinander. Mal mit stillen, mal mit lauten Tönen gelingt es dem Ensemble die Erwartungen, Ängste der Hausbewohner/innen in Szene zu setzten. Im Zentrum stehen die Figuren, die unterschiedlicher kaum sein könnten: ein mehrfach geschiedene Architekt im Dachgeschoß; ein alternde Punk, der für seine Erdgeschoßwohnung seit Jahren keine Miete zahlt; ein Spießerpärchen, das vom Haus im Grünen träumt; die flippige Studentin, die am liebsten in einem Loft wohnen würde und als Edelnutte das Geld für die Miete verdient; die alleinerziehende Migrantin mit Bestseller-Ambitionen und der yuppieske Manager mit Schlips und Kragen.
Kiffend auf dem Dach wird den Protagonisten der Wert dieser bedrohten Mischung deutlich. Lefebvre zitierend wird die Stadt als „verdichte Unterschiedlichkeit“ beschreiben, ohne dass es fürchterlich aufgesetzt klingt. Wenig später singen die Mieter/innen gemeinsam die Hymne des 1. FC Union Berlin. Die Fankultur des Underdog-Vereins wird dabei zur Metapher der neu entstandenen Kollektivität und des Zusammenhalt gegen die Pläne des Investors.
„Schöner Wohnen“ bietet keine Anti-Gentrification-Propaganda, sondern vor allem die Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten, in der Vielfalt unterschiedlicher Lebensentwürfe das Gemeinsame zu finden. Im Theaterstück gelingt dies nur kurzzeitig und der Verwertungsdruck ist letzten Endes stärker als der zaghafte Widerstand der Hausgemeinschaft. Doch das Leben der Protagonist/innen geht weiter und eröffnet einigen sogar neue Chancen. Damit greift das Stück die Frage auf, ob es nicht doch positive Seiten an der Gentrification geben könne… Eine klare und eindeutige Antwort gibt es nicht, denn wie im wirklichen Leben gibt es Gewinner und Verlierer. Oder besser noch: Gewinne und Verluste und die sind recht ungleich verteilt.
Es klingt ziemlich abgefahren, aber dem Ensemble des GRIPS-Theaters gelingt es Lefebvre, Eisern Union und die Binnenperspektive auf die Gentrification sinnvoll und flott erzählt in einem Stück zusammenzubinden. Die Inszenierung ist mitreißend und die Darsteller großartig. Am Ende des Abends wurden von den Schaupieler/innen auch noch die Flyer der Mietendemo verteilt – mehr kann man von einem Theaterabend eigentlich nicht erwarten.
Zum Theaterstück gibt es ein umfangreiches Begleitmaterial mit einer Reihe von lesenswerten Texten.