Habe ich es nicht befürchtet? Das griechische Referendum war nichts wert, und jetzt wird das Land gnadenlos und schamlos ausgebeutet und in die Knie gezwungen. Das Staatsvermögen wird privatisiert, und demokratische Entscheidungen werden unter den Vorbehalt der Zustimmung der brüsseler Bürokraten gestellt. Es ist eine monitäre Besetzung durch marktradikale Kräfte.
Ich weiß: In diesem Blog höre ich mich in letzter Zeit wie der Schwarzseher persönlich an. Ich sage und schreibe immer dasselbe, die Welt geht den Bach runter, die Neoliberalen lassen keinen Stein auf dem Anderen. Dass ich der Meinung bin, dass die Forderungen der EU an Griechenland unangemessen, übertrieben und sogar mörderisch sind, habe ich schon oft genug gesagt. Nach dem Referendum in Griechenland letzte Woche aber gab es einen kurzfristigen Jubel derer, die glaubten, Griechenland würde nun gestärkt in die Verhandlungen über ein weiteres Hilfspaket gehen können. Ich schrieb schon letzte Woche: “Eins ist klar: Das Referendum hat keine rechtlich bindende Wirkung. Die Geldgeber können darüber hinweg gehen, für sie hat sich nichts verändert: Griechenland braucht nach wie vor Geld, und die Geldgeber fordern nach wie vor das Unmögliche, den Selbstmord des griechischen Staates, des Sozialsystems und der Wirtschaft. Insofern war das sogenannte historische Referendum nichts als eine kleine Episode. Die EU-Gewaltigen dürfte es kaum beeindruckt haben, dem griechischen Volk dürfte es nichts nützen, abgesehen von einer moralischen Stärkung für eine gewisse Zeit.” Mein Freund und Kollege Franz-Josef Hanke meinte letzte Woche noch relativ optimistisch: “weitermachen wie bisher werden sie (gemeint sind die Hardliner um Merkel und Schäuble) angesichts des deutlichen Votums der griechischen Volksbefragung wohl nicht mehr können.” Doch nun musste Hanke konstatieren: “Am Ende ist dem Deutschen (Finanzminister Schäuble) indes das gelungen, was offenbar von Anfang an sein Ziel gewesen war: Linke Politik in Europa wollte er gar nicht erst hochkommen lassen. So zwang er Tsipras in die Knie und führte ihn am Ende als wehrlose Marionette der neoliberalen Austeritätspolitik vor.”
Und Franz-Josef Hanke, der Menschenrechtler, Humanist und Friedensaktivist, der sich der deutschen Geschichte sehr wohl bewusst ist, fährt fort: “All das erfüllt mich mit Scham. Das griechische Volk wird weiterhin – und wahrscheinlich sogar noch schlimmer – leiden müssen an Sparmaßnahmen auf Kosten der Sozialsysteme zugunsten von Banken und Privatisierungsgewinnlern. Durchgesetzt hat Schäuble das im Namen Deutschlands, dessen Sparpolitik ich jedoch strikt ablehne.”
In Griechenland zerbricht nun die Regierungspartei, während in Europa die Börsen jubeln und die Aktienindices auf Rekordniveau steigen. Denn was ist das Kernstück der Einigung zwischen Griechenland und Europa? Griechenland muss binnen drei Tagen die Mehrwertssteuer erhöhen und die Renten kürzen. Außerdem muss es binnen 10 Tagen einen Privatisierungsfonds eröffnen. 50 Milliarden Euro werden darauf aus griechischem Vermögen eingezahlt. Dieses Vermögen soll binnen drei Jahren durch Privatisierungen erwirtschaftet werden. 25 Milliarden fließen in die Rückzahlung von Krediten an griechische Banken, 12,5 Milliarden werden zur Tilgung von Staatsschulden verwendet, und 12,5 Milliarden sollen in Investitionen zur Ankurbelung der griechischen Wirtschaft fließen, also in Privatunternehmen, die natürlich völlig frei über die Verwendung der Gelder entscheiden können. Künftig muss jede wichtige Gesetzesinitiative in Athen vor der parlamentarischen Erörterung von den europäischen Institutionen genehmigt werden, damit wird also die Demokratie faktisch abgeschafft und die Macht im Staat der EU-Kommission, der EZB und dem internationalen Währungsfonds übertragen. Und erst dann, wenn Griechenland all diese Forderungen erfüllt hat, wird über ein neues Hilfspaket für das Land verhandelt. Das ist mehr als Erpressung.
Vor einer Woche haben die Griechen dafür gestimmt, sich nicht erpressen zu lassen, ihr Sozialsystem, oder was davon noch übrig ist, zu bewahren und nicht ihr gesamtes Volksvermögen in die Hände reicher Oligarchen zu geben, die das Geld ins ausland bringen und dort sicher anlegen. Jetzt musste Ministerpräsident Tsipras all diesen Forderungen deutscher konservativer Eliten nachgeben. Regeln, so sagen die Vertreter jener unmenschlichen und mitleidlosen Finanzpolitik, müssen eingehalten werden. Das hätte Griechenland mal 1953 zu Deutschland sagen sollen, als man Deutschland viele Schulden der Nazis erließ oder stundete.
In den sozialen Netzwerken kocht die Kritik an Wolfgang Schäuble und Angela Merkel hoch, die ihre rigorose Sparpolitik gegen Rentner, Kranke, Arbeitslose und Kinder mit brutaler Härte durchsetzen. “Deutschland hat immens viel politisches Kapital verspielt”, kann man im Netz lesen, oder auch: “70 Jahre Vertrauensbildung haben Merkel und Schäuble an einem Wochenende zunichte gemacht.” Auf Twitter las ich sinngemäß: Den ersten Weltkrieg führte Deutschland mit Gewehren, den zweiten mit Panzern und den dritten mit Banken. Da ist etwas dran. Wir gebärden uns wie eine Besatzungsmacht unter dem Mäntelchen europäischer Wohlstandspolitik. Dies ist so verwerflich und beschämend, dass ich gar nicht weiß, mit welchen Worten ich es verdammen soll. Ich habe nie etwas davon gehalten, mich dafür zu schämen, ein Deutscher zu sein, schon gar nicht wegen der Nazi-Verbrechen, denn damals habe ich nicht gelebt. Aber jetzt habe ich einen Grund. Wenn ein Land, das sich einst dem Frieden, der Humanität, der Demokratie und der Solidarität unter den Völkern verschrieb, gerade weil es aus der eigenen Vergangenheit gelernt hat, wenn dieses Land jetzt plötzlich ein anderes Land zum Fall für humanitäre Hilfe macht, weil ihm seine Regierung nicht passt, und weil es Kapital aus der Krise schlägt, wenn es die Wirtschaft dieses Landes zerstört, um den eigenen Banken einen größeren Profit zu ermöglichen, dann muss ich mich für dieses Land schämen, dessen Bürger ich bin. Wir vergessen unsere hohen Ideale, sobald es um Geld geht, um Macht und um Pfründe. Wenn wir so tief sinken, dann schäme ich mich für dieses Land, und dann kann ich die Entrüstung verstehen, mit der Teile der ausländischen Presse derzeit Deutschland betrachten. Und dann entschuldige ich mich als Deutscher beim griechischen Volk, das unsere Politiker in die Armut getrieben haben.