Grenzgang


"Du fährst am besten nach Edirne," sagt David. "Dann mit dem Minibus nach Kara Agac, und von dort läufst Du knappe fünf Minuten nach Griechenland. Kannst 'nen Kaffee trinken und wieder zurück über die Grenze."
Mein Touristenvisum läuft aus. Also fahre ich nach Edirne. Zum ersten Mal seit drei Monaten raus aus Istanbul.
Edirne ist eine kleine Stadt an der türkischen Grenze, knappe zweieinhalb Stunden Busfahrt von Istanbul entfernt. Im 14. Jahrhundert war sie die Hauptstadt des Osmanischen Reiches. Der Architekt Mimar Sinan errichtete dort im späten 16. Jahrhundert die bis heute architektonisch bedeutendste Moschee der Türkei, die Selimiye Camii.
Als ich in Edirne ankomme, finde ich eine rote Maschine, die mir für eine Lira "Vibrationen, extra für Sie!" verspricht.Grenzgang
Ich fahre in die Stadt und mache mich auf die Suche nach den Minibussen nach Kara Agac. Der Mann am Obststand weiß, wo ich hin muss. Er schenkt mir eine Banane und setzt mich in den Bus.
"Die Schwester muss nach Griechenland," sagt er zum Fahrer. "Zeig ihr, wo sie aussteigen soll!" Er bezahlt mein Ticket und wünscht mir eine gute Fahrt.
An der Endhaltestelle steige ich aus. Ein knallroter Turm mit Halbmond und Stern markiert die türkische Grenze. Soldaten stehen stocksteif gelangweilt am Schlagbaum.
Der Grenzer will ein Arschloch sein: "Das sieht aber nicht aus wie Du!", sagt er, als er auf mein Passfoto schaut. "Was machst Du denn in der Türkei?", fragt er.
"Türkisch lernen," sage ich.
"Kommst gleich wieder, was?"
Ich nicke.
"Ok, sieh zu, dass Du zwei Stempel in Griechenland bekommst, einen für die Einreise und einen für die Ausreise."
Ich laufe an zwei grinsenden Soldaten vorbei ins Niemandsland, an einem Maschendrahtzaun entlang und unter einer Eisenbahnbrücke durch. "Willkommen in Europa!", steht auf der blauen Tafel mit den gelben Sternen.
Grenzgang
Vor mir liegt eine kleine griechische Stadt: eine Hauptstraße mit Cafés und Duty Free-Läden.
"Bleiben Sie in Griechenland oder gehen sie wieder zurück in die Türkei?", fragt der Grenzer.
"Wieder zurück in die Türkei," sage ich.
Er knallt zwei Stempel in meinen Pass. Ich will mich auf den Weg machen, um mir einen griechischen Kaffee besorgen, da pfeift er mich zurück.
"Da ist die Türkei!", sagt er, und zeigt in die Richtung, aus der ich gekommen bin.
"Na, weit gelaufen, was?", sagt der türkische Grenzbeamte. "Bis nach Europa!"
Er setzt den Einreisestempel auf eine neue Seite in meinem Reisepass. "Schönen Tag noch!"
Zurück nach Edirne nimmt mich ein dicker Mann in seinem Auto mit.
"Ich muss noch kurz beim Arzt vorbei," sagt er.
Ich sitze im Wartezimmer. Eine alte Frau und ich belächeln uns unaufhörlich. Der dicke Mann kommt mit einem Rezept aus dem Sprechzimmer.
"Ich habe dem Arzt gesagt, dass Du meine neue Frau bist!", sagt er, als wir wieder im Auto sitzen, und schielt mich an.
"Hihi!", mache ich und überlege, ob ich einen Sprung aus einem fahrenden Wagen überleben kann.
"Wie gefalle ich Dir denn?", fragt er.
Ich vergesse auf der Stelle mein ganzes Türkisch. "Was? Wie bitte? Ich verstehe Sie nicht!", sage ich.
"Du gefällst mir. Was denkst Du?"
Ich denke, dass er ziemlich dick und behäbig und daher keine echte Gefahr für mich ist.
"Nehmen Sie's mir nicht übel, aber Sie sind mir ein bisschen zu alt," sage ich.
Er verzieht das Gesicht. "Naja, so alt auch wieder nicht. Ich bin achtunddreißig!"
Ich mustere ihn von der Seite und schätze ihn auf Mitte fünfzig.
"Kann ich bitte an der Brücke dort aussteigen?"
"Hey, brauchst keine Angst vor mir haben," sagt er. "Ich hab nur Spaß gemacht."
Ich will trotzdem aussteigen.
In Edirne sehe ich mir noch schnell die Selimiye Camii an, bevor ich mich mit meinem frischen Touristenvisum auf den Weg zurück nach Istanbul mache. Jetzt habe ich wieder drei Monate Zeit, bevor ich erneut ausreisen muss.

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