Gott als Kampfwille und Gefechtsstellung

Militärbischof Overbeck meinte kürzlich, dass "ohne Religion und ohne gelebte Praxis von Religion [...] kein Menschsein" möglich sei. Soldaten setzten "Gewalt [...] im äußersten Notfall und vor allem verantwortungsvoll" nur dann ein, wenn sie "mit einem festen Glauben [...] solche Entscheidungen" treffen. Religiosität sei quasi Gewissensstütze für Soldaten. Eigentlich belanglos, was da jemand, der bischöflich Nächstenliebe christianisiert und sich mit einem Militär- verziert, absondert - qua Position disqualifiziert er sich ja selbst. Doch zwischen den Zeilen postuliert dieser Mann etwas, was man als den gerechten Krieger bezeichnen könnte - Morden ist möglich, es hat bloß religiös zu geschehen. Geschieht es ohne Gott, ist es eine gottlose Tat - ansonsten: Deus lo vult! Dann ist es mit Gott abgeklärt und nicht mehr sündig. Man merkt, mancher Kirchenmann speist geistig noch an der Tafel von Urban II. - allen Mitgliedern der katholischen Kirche sollte man das jedoch nicht unterstellen.
Die Vereinigten Staaten riefen erst kürzlich noch zum gerechten Krieg - Militärgeistliche wie jener skizzieren das Werkzeug hierzu: den gerechten Krieger. Er muss gläubig sein, sogar fest gläubig, wie Overbeck meint. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass man in einem Gefecht, in dem man eiskalt vorgehen muss, einfach nur auf atheistische Soldaten zurückgreifen kann. Die wüten dann wie beim Sacco di Roma: brandschatzen, morden, verstümmeln und vergewaltigen. Denen macht das Blut, die herauslappenden Organe, der Gestank, das Wehgeschrei, die Tränen von Frauen und Kindern und was da sonst noch so alles anfällt, nichts aus. Kurz gesagt, sie kennen keine menschliche Regung. Sie mögen zwar Menschen sein, aber dessen, was den Mensch als einzige Kreatur befähigt, Empathie zu zeigen, sind sie qua ihrer Gottlosigkeit verlustig gegangen - menschliche Hüllen nur, Randexistenzen an der Schwelle zum wirklichen Menschen.

Man kann Overbeck natürlich auch beipflichten. Es gab durchaus gottlose Brigaden, die gewütet haben wie Bestien. Die Rote Armee und die Wehrmacht, die zwar eine irdische Religion pflegten, gelten als Inbegriff eines gottlosen Zeitalters. Wären sie anders aufgetreten, wenn sie einen Gott an ihrer Spitze gehabt hätten? Einen, der himmlischer gewesen wäre, als ihre profanen Schnauzbartgötter in Kreml oder Bunker? Mit overbeckscher Logik müsste die Antwort lauten: Ja, sie wären dann gerechte Krieger gewesen, die ihr Gewaltpotenzial abgewogen hätten. Ein Problem ergibt sich allerdings. Wer sagt denn, dass die Soldaten der Roten Armee ohne Gott kämpften? Und gab es nicht genug Wehrmachtsoldaten, die protestantisch dachten, katholisch fühlten, obgleich sie für dieses Regime in den Krieg zogen? Baten nicht die meisten Soldaten auf beiden Seiten Gott um unversehrte Rückkehr in die Heimat? Nur weil deren Diktaturen wenig Bezug zur Religion hatten, nur weil im Sowjetreich Religion kriminalisiert wurde, müssen doch die Soldaten dieser Diktaturen nicht bindend auch ohne Gott gewesen sein. Es gab genug stille Gottgläubige hüben wie drüben - und es gab dennoch Gräueltaten beidseits.
Es braucht doch keine atheistischen Soldaten, um Blutmeere zu füllen - das schaffen auch gläubige Soldaten ganz von alleine. Es gäbe hierzu ja auch abgedroschene Beispiel. Kreuzzüge beispielsweise. Oder den Dreißigjährigen Krieg. Oder die Eroberung Amerikas - all das wurde viel zu oft von Seiten atheistischer Verfechter angeführt, um zu beweisen, dass eigentlich Religion zu verantwortungslosem Handeln im Kriege führt. Für unsere Epoche treffender ist da der Rückgriff auf das Zwanzigste Jahrhundert, denn darin spiegeln sich die Konfusion und die Überlagerungen unserer Tage wider. In jenem Jahrhundert war es möglich, religiös für atheistische Systeme zu kämpfen - und es war denkbar, atheistisch für Armeen aufzulaufen, die "in god we trust" postulierten. Auf die Kreuzzüge oder den Dreißigjährigen Krieg zu verweisen, erlaubt keine Vergleichsmöglichkeiten in der jeweiligen Zeit - das Zwanzigste Jahrhundert, für viele das gottlose Zeitalter, gibt Vergleiche frei. Und unterstreicht, dass eine gerade Linie nicht gezeichnet ist. Da gab es religiöse und atheistische SS-Mörder - und es gab SS-Leute wie Wilm Hosenfeld, die den Ideen der Nationalsozialisten zugewandt, dennoch religiös motiviert genug waren, um nicht direkt am Wahn teilzunehmen; und es gab Alliierte, deren einzig religiöse Kulthandlung es bislang war, den New York Yankees einen Titel zu wünschen, die aber dennoch empathisch mit den Opfern des Krieges umgingen. Und wie katholisch und ethisch rein waren eigentlich die Brigaden des katholischen Herrn Franco?
Explizit atheistisch gaben sich die totalitären Bewegungen damals durchaus - sie waren es aber nur an der Oberfläche, denn deren kleine Rädchen, die für sie den Krieg ausbadeten, waren religiös ebenso wie atheistisch. Wohin sollte das Russisch-Orthodoxe oder Protestantische oder Katholische auch verschwunden sein in so kurzer Zeit? Und gleich welcher ideologischen Herkunft: es gab Verbrecher und Mitläufer, Helden und Schweine, Opfer und Täter. Manche wirkten bei Kriegsverbrechen mit, weil ihr Glaube ihnen verinnerlichte, dass man als Mensch an seinen Platz gesetzt würde - andere opponierten dagegen, weil derselbe Glaube für sie hieß: Liebe deinen Nächsten, töte ihn nicht! Man liest oft, es gäbe keine deutschen oder tschechischen oder russischen Menschen, es gäbe nur gute oder schlechte - man ersetze Nationalitäten durch Gottglauben und Atheismus und man kommt auf denselben Nenner.
Es geht mitnichten darum, Gottgläubigkeit als wirklich mörderischer als den Atheismus zu deklarieren - das tun die Hinweise auf Kreuzzüge und dergleichen aber durchaus. Sie sind verkürzte Darstellungen, denn Gewalt war das Mittel jener vergangener Zeiten. Die Religion war ein Ventil, nicht unbedingt Ursache - Gewalt hätte es auch ohne Gott gegeben, sie war das Stilmittel einer Epoche, in der Knappheit und Krankheit das Überleben täglich gefährdete. Der Verweis auf das letzte Jahrhundert kennzeichnet hingegen, dass es keine besseren oder schlechteren Menschen anhand "weltanschaulicher Konstitution" gibt. Es ist atheistische Überheblichkeit, den schlechten Religiösen anhand von antiquierten Beispielen zu untermauern - auch ein atheistischer Ritter hätte vielleicht Moslems erschlagen, um sich an den Reichtümern der Levante zu bereichern. Es sind die Bedingungen, die Gewalt beschwören, nicht die Religion oder die fehlende Religion. Wer so argumentiert, der verdreht Overbecks Quatsch ins Atheistische. Wahr ist vielmehr, dass es ethische Prinzipien mit oder ohne Gott geben kann - man kann morden in seinem Namen, aber auch, weil man auf ihn pfeift. Es gibt Ausbeutung, weil die Gottesdeuter erklären, Gott habe jedem seinen Platz gegeben, den man nun einnehmen müsse - und es gibt Ausbeutung, weil man glaubt, keinerlei Rechenschaft mehr ablegen zu müssen vor einer überirdischen Instanz.
Gott ist die Erweiterung des Gewissens ins Transzendente. Die Erweiterung des menschlichen Bedürfnisses, irgendwo Rechenschaft ablegen zu müssen. Manche Menschen benötigen das - das ist zu tolerieren. Manche nicht - auch das ist zu tolerieren. Dass aber religiöse Menschen gerechtere Krieger seien, das ist nicht tolerabel - die gerechtesten Krieger sind immer noch jene, die nicht in den Krieg ziehen. Aber dann wäre Overbeck seine Stellung los - und kandidierte vielleicht, weil Theologen in Bellevue derzeit in Mode sind, als Bundespräsident; denn der amtierende pflasterte dem gerechten Krieger neulich erst den Weg und nannte dessen Kritiker glückssüchtig. In manchen Dingen stehen sich katholische und protestantische Theologie ziemlich nah - Krieg und Gott, Morden und Moral deckungsgleich zu machen: das können sie beide ganz ausgezeichnet.
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