Teil 2 des exklusiven Interviews, das Phire mit dem japanischen Dubstepper Takeaki Maruyuma alias Goth Trad in London führte. Über den Zusammenhang von Dub und flatternden Hosen…
Zwischen City-Workern im Anzug, schalen Pubs, Vintage-Klamotten, britischen Höflichkeitsfloskeln, jamaikanischen Schnellimbissen, vandalierenden „Kapitalismuskritikern“, Sweet Potatoes in Plastikschalen und dunklen Wintern gibt es in London seit den anarchistischen Warehouse-Parties Anfang der 90er eine lebendige Underground-Club-Szene. Diese ernährte sich sowohl von der wetterbedingten, von milchigem Tee und starkem Skunk beeinflussten Isolation im Homestudio als auch den multiplen kulturellen Einflüsse Englands. Dubstep, und all die anderen Stil-Hybride entwuchsen dem Erbe der ersten jamaikanisch-britischen Sound Systems im London der 70er-Jahre und mündeten etwa 15 Jahre später in der Rave-Kultur: House, Techno, UK Hardcore, Jungle, Drum&Bass, Garage, 2step, Grime, Dubstep und UK Funky breiteten sich viral auf dem gesamten Globus aus. Die „future shocks“, die etwa durch die komplexen Breakbeats von Jungle ausgelöst wurden, wirkten sich immer auch auf andere Musikszenen aus. Und so kam es, dass sich eines Tages ein experimenteller Noise-Künstler in Tokio via BBC1 mit Grime infizierte. (Fortsetzung von Teil 1)
Phire: Arbeitest du zurzeit eigentlich auch noch an deinen experimentellen Projekten?
Goth Trad: Eher wenig. Ab und zu arbeite ich an paar Noise-Entwürfen. Aber das sind oft nur kurze Samples. Eigentlich versuche ich gerade, alle meine verschiedenen Einflüsse miteinander zu kombinieren.
P: Dubstep hat ja eigentlich schon immer sehr viele Noise-Elemente enthalten.
G: Ja, kennst du Old Apparatus? Er releast auch auf Deep Medi und seine Musik klingt ziemlich nach Noise.
P: Ja, für mich ist O A ein gutes Beispiel für eine interessante Neu-Interpretation von Dubstep, die nicht die Grundsubstanzen verliert. Ich finde es gut, dass man für die Tracks etwas mehr Geduld mitbringen muss. Und außerdem klingt es sehr analog.
Der Analog-Aspekt bringt mich auf deine Live Gigs. Du verwendest live einen selbstgebauten Mixer. Das erinnert mich schon sehr an das Konzept alter Dub-Musik, bei dem es ja vor allem darum geht, die „fertigen“ Spuren live zu bearbeiten und auf eine neue, räumliche Ebene zu transportieren. Was bedeutet dir Dub eigentlich im traditionellen Sinn?
G: Ich mag Dub, aber ich habe es eigentlich nie solchen Sachen gehört, Jah Shaka oder so. Aber ich mag es sehr, dubby zu spielen, also mit Effekten wie Delay und Reverb zu arbeiten. Für mich hat Dub aber sowieso eine allgemeinere Bedeutung, nämlich dass es keine musikalischen Regeln gibt. Außerdem muss man auch bereit sein, das Unvorhergesehene zuzulassen. (lacht)
P: Es gibt dieses jamaikanische Sprichwort: „every spoil is a style.“ Es entstand zu Zeiten von King Tubby in den 70er-Jahren. Dub hat sich seit seiner Entstehung Anfang der 1970er-Jahre in Jamaika im Laufe immer wieder neu erfunden. Meiner Meinung nach könnte man sogar so weit gehen und sagen, dass daraus nebenbei immer wieder neue Sub-Stile entstanden sind.
G: Ja, vielleicht. Ich jedenfalls schätze die Freiheit von Dub-Musik. Bei meinen Gigs kamen aber auch schon Leute zu mir und warfen mir vor, dass mein Style gar nicht richtig traditionell sein würde. Das waren vor allem Rasta People (lacht). Aber ich denke, dass die Stärke von Dub darin besteht, dass es sich immer vorwärts entwickelt. Und dasselbe gilt für Dubstep. Zu Beginn gab es im Dubstep eigentlich nur das Tempo von 140bpm und die Betonung auf den Bass. Aber was den Beat, die Bassline oder den Sound angeht, gibt es für mich immer noch keine Vorgaben.
P: Was denkst du über die aktuelle Entwicklung von Dubstep?
G: In den letzten 2 Jahren haben viele Produzenten den Dubstep, wie ich ihn kannte, sehr verändert. Vielen Tracks fehlt es an guten Vibes und ich habe das Gefühl, dass es nur noch um Party geht. Ich finde das ziemlich langweilig. Und viele meiner Freunde wie Mala, Kode9 und Pinch sehen das auch so. Deshalb suchen wir ständig nach neuen Ideen und achten sehr darauf, die tiefen Frequenzen und den Dub-Einfluss beizubehalten. Ich habe auch schon gehört, dass unsere Art von Dubstep oldschool ist. Dabei geht es im Gegenteil darum, ständig neue Beats zu finden.
Ich habe außerdem das Gefühl, dass viel Musik durch die Digitalisierung deutlich an Qualität verloren hat. Es wird oft viel zu laut produziert. Auch im Dubstep entwickelt sich einiges in diese Richtung. Damit meine ich vor allem diesen sehr lauten Dubstep, der aus den USA kommt.
P: Ja, es scheint, als sei Dubstep in den USA gerade eine Art postmoderner New Metal mit Pop-Appeal.
G: Die Sache dabei ist, dass die Musik zwar viel lauter wirkt, aber sonst überhaupt keine Substanz mehr hat. Es gibt kein low end, keinen Subbass mehr. Und dadurch klingt es nicht mehr wirklich nach Dub. Vielleicht wird sich bald die gesamte Musik in diese Richtung entwickeln. Aber der gute Sound bleibt dabei oft einfach auf der Strecke.
P: Es ist ja gar nicht so einfach, eine Anlage zu finden, die den Sound adäquat abbildet.
G: Viele Dubstep-Künstler arbeiten besonders intensiv an den Frequenzen. Und da ist es ziemlich schwierig, ein gutes System zu finden.
P: Wie tief ist denn deine tiefste Frequenz (augenzwinkernd)?
G: Meine tiefste Frequenz liegt bei ca. 36 Hertz. (lacht)
P: Denkst du viel über die körperlichen Wirkungen von Bass nach, wenn du produzierst? Hast du vielleicht eine bestimmte Methode, durch die der Bass mehr auf die Brust oder mehr auf den Bauch trifft?
G: Nicht wirklich. Aber Bass ist ja oft nicht nur in der Brust zu spüren (zeigt auf seine Beine, wir fangen beide an, zu lachen).
P: Du meinst, wenn die Hosen beginnen, zu flattern?
G: Ja, und manchmal spürt man es sogar an den Nasenflügeln. Diesen Freitag spiele ich übrigens in Leeds. Dort gibt es das weltbeste Soundsystem.
P: Erzähl mir mehr…
G: Es ist das Iration Steppas Sound System. Ich spiele dort oft auf der DMZ Night mit Digital Mystikz und Loefah. Aber diesmal handelt es sich um eine Party namens Subdub. Jeder bekommt Ohrenstöpsel am Eingang, weil der Bass wirklich extrem ist. Ich spiele dort mit Goldie und meinem Labelmate Commodo. Du solltest auch vorbei kommen. Es ist wirklich eine gute Erfahrung.
P: Du hast ja bereits erwähnt, dass du dich musikalisch neu orientieren willst. Was sind denn deine Zukunftspläne?
G: Ich bin noch nicht ganz sicher. Jetzt erscheint erst mal mein neues Album, woran ich 2 Jahre gearbeitet habe. Ich würde gerne mehr mit Melodien arbeiten. In letzter Zeit höre ich viel klassische Musik. Ich mag den Klang von Klavieren und Streichern.
P: Spielst du Klavier?
G: Nein. Ich hatte als Kind mal Klavierstunden. Aber ich mochte es nicht. Zurzeit inspiriert mich moderner Techno. Boddika finde ich ziemlich interessant, seine Musik ist eine perfekte Verbindung von Acid House und Bleep Techno. Ich dachte bereits schon vor Jahren, dass ich gerne mal Bleep Techno mit Dubstep verbinden würde. Ich erzählte das immer meinen Freunden in Japan (lacht).
Nach dem Interview schlug der Interviewer vor, sich am nächsten Tag im Studio zu treffen. Einen Tag später arbeiteten die beiden an einer bahnbrechenden Version von Bleep-Techno-Dubstep mit Noise-Einflüssen und Live-Klavier. Nicht.
Teil 1 des Interviews gibt es hier zu lesen.
Text: Phire
Im Februar 2012 ist mit New Epoch das zweite Album von Goth Trad auf dem bristischen Dubstep-Label Deep Medi von Mala erschienen.