Ganz zu Beginn des Launches von Google+ wurde ich vom Bloggerkollegen Richard K. Breuer auf Facebook gefragt, wann ich denn einen Artikel dazu schreiben würde. Meine Antwort darauf war: „Tja, wenn ich das wüsste…“
Zu dem Zeitpunkt war Google+ ganz neu, jeder wollte dabei sein, es gab auch schon erste Erfahrungsberichte, mittlerweile gibt es einige gute Analysen dazu z.B. diejenige von Sascha Lobo, die ich sehr treffend finde, oder jene von Location Marketing, die sich mit einigen speziellen Funktionalitäten von Google+ sehr gut auseinandersetzt.
Als „Slow-Blogger“ war mir natürlich klar, dass ich mir das Ganze erst Mal ansehen würde, nach drei Tagen bereits eine Wertung abzugeben, schien mir viel zu früh. Nun sind ein paar Wochen vergangen, auf der neuen Plattform tummeln sich bereits erste „Google+ Berater“ (3 Wochen Erfahrung!) und selbst mir ist mittlerweile klar geworden, was mir an Google+ gefällt.
Ich habe schon vor längerer Zeit über das Phänomen der sog. tendenziösen Apperzeption geschrieben. Es handelt sich dabei um die Neigung, Dinge, die man liest, hört oder sieht nach seinen persönlichen Präferenzen zu filtern, erstmals beschrieben wurde sie vor rund 100 Jahren von Alfred Adler.
Die heutigen sozialen Netzwerke stechen diesbezüglich sozusagen in ein Wespennest, indem sie es den Benutzern diverser Plattformen noch viel leichter machen, sich ihr eigenes Weltbild zu basteln.
Ich lese nur das was mich interessiert, grenze meinen Stream auf Facebook oder Twitter darauf ein was ich für relevant oder tauglich halte, ungenehme Meinungen kann man leicht ausblenden oder entfolgen.
Worauf ich hinaus will ist folgendes: sich anderen Meinungen oder Weltbildern auszusetzen ist anstrengend, es stellt die eigene Toleranz auf die Probe, fordert einen heraus, ärgert und irritiert mitunter. Um kritikfähig und offen zu bleiben ist es aber notwendig, sich auf Andere einzulassen, es führt kein Weg daran vorbei.
In den vergangenen Wochen, in denen Google+ also so richtig los legte, war ich zu Beginn amüsiert und etwas später irritiert. Nicht nur ich, viele andere in meinem Stream stellten sich die Frage: Wer zum Teufel fügt mich da zu seinen Circles? Statuspostings à la: “A: do I know you? B: If you do not know, if you know me, how should I know, if you know me?“ fanden sich da, oder ganz simple Fragen wie „Ihr Unbekannte aus aller Welt, die ihr mich so zahlreich einzirkelt: Wer seid ihr? Warum?“.
Diese Eigenschaft von Google+ ist meiner Meinung nach das Postivste was dieses soziale Netzwerk bisher geleistet hat. Es füttert mich mit einem gigantischen Stream von Informationen, der von Leuten gepostet wurde, die mir völlig unbekannt sind.
Mehr noch, im Gegensatz zu Twitter, wo sich mittlerweile durch die Routine der Benutzung gewisse Verhaltensmuster verfestigt haben, steht Google+ im Moment als völlig neu da und bricht alles wieder auf. Irritiert einen durch Fremde, die einen ungefragt einkreisen und sprengt gerade dadurch die brav eingeübte Web-Routine. Ermöglicht einen Blick auf Neues, Fremdes. Insbesondere weil es im Gegensatz zu Twitter viel visueller aufgebaut ist, Bilder und Videovorschauen, Graphiken und Diagramme bereits im Stream enthält und nicht erst beim Klick auf einen Link oder ein Vorschaufenster enthüllt.
Google+ wird nicht der Heilsbringer in der Social Media Welt sein, ich sehe es auch nicht als direkten Konkurrenten zu Facebook, aber es wirbelt Althergebrachtes wieder mal gehörig durcheinander und führt somit, zumindest bei mir, dazu, eingeschliffene Muster zu erkennen und sie zur Abwechslung auch mal wieder zu ändern. Schon allein dafür zahlt sich ein Blick darauf aus.
Susanne, 23. Juli 2011