Des Menschen Motors fünfter Band.
Rasierwasser?!
Ein fremdartiger Duft eines Herrenparfums zersetzt mir unerwartet die Nasenschleimhäute. Jedenfalls bilde ich mir eine solche Wahnvorstellung im Moment dieser Registrierung sofort in mein kaputtes Hirn ein und öffne zögernd meine verklebten Augen. Ein verschwommenes undeutliches Bild aus Grün und Weiß entsteht vor mir und langsam wird es halbwegs erkennbar. Ich weiß zwar überhaupt nicht, wo ich bin, aber mein erster Gedanke dazu steht schonmal fest: Ich bin nicht daran schuld!
Meine Gedankenwelt fängt umgehend an, sich wild um ihre eigene Achse zu rotieren und ich drehe meinen Kopf mehrmals von rechts nach links und wieder zurück. Das verschafft mir etwa null Prozent an nötiger Klarheit. Bevor mich jetzt aber jemand hier sieht, muss ich schnellstens verschwinden. Was habe ich eigentlich an? Jacke, Hemd, Hose, sogar die Schuhe habe ich in meiner Bewusstlosigkeit anbehalten. Praktisch. Ich will sicher gehen, dass ich alleine bin und wage einen kritischen Rundumblick quer durch den unbekannten Raum. Am Boden liegt eine Frau mit BH, unten ohne. Ich glaube, ich kenne sie aus dem Nachtleben und stemple sie als ungefährlich ab. Trotzdem schaue ich sie mir etwas genauer an, nur um sicher zu gehen, dass sie sich auch wirklich im Zustand des Tiefschlafs befindet. Eigentlich bilde ich mir diesen Schwachsinn nur ein und finde ihren Körper so von oben ganz hübsch anzuschauen, lasse meinen Blick aber recht schnell von einem bekannten Gesicht anziehen. Hinten auf einem hellbraunen Sofa liegt Rainer Willems, die Hände unter seinem Kopf zu einer interessanten Schlafposition gefaltet.
Fluchten
Nachdem ich ihn nun vier Jahre lang nicht zu Gesicht bekommen habe, stelle ich staunend fest, dass er immer noch eine sehr vorteilhaft geformte Mundpartie hat. Neu sind die tiefen Furchen, die von den Mundwinkeln zu seinen Nasenflügeln führen und ihm schließlich ein ganz neues Auftreten von harter Attraktivität in sein Erscheinungsbild werfen. Zu schade, dass ich ihn in jener Situation erwische, aus der ich mich so schnell wie möglich entfernen will. Hätte ich ihn zum Beispiel an einer Bushaltestelle getroffen, würde ich mit ihm über Anni Leinemann lästern. Eine, zu ihrem Nachteil, eher leichtsinnig agierende Frau aus unserer damaligen Nachbarschaft, der wir gerne mal ganz lustige Betäubungsmittel verabreicht und sie schließlich ein paar Rumtreibern verkauft haben, die wir nicht mochten.
Zu unserem Glück war Anni stets ein lockerer Mensch, der sich in unserer Gesellschaft unbeschwert wohl gefühlt. Den Kontakt zu uns hat sie, meiner Meinung nach, nur abgebrochen, weil sie eine verzogenere Herrengruppe um sich herum aufgebaut hat.
Durch einen langen, breit geschnittenen Flur nehme ich eine dunkelgrüne Tür wahr, die womöglich meine Flucht vollenden könnte. Als ich ein leises Husten einer am Boden liegenden Person registriere, versuche ich zwar meine Geschwindigkeit zu erhöhen, scheitere aber an der unerwartet durchdringenden Lautstärke meiner Ledersohlen und bewege mich fortlaufend auf Zehenspitzen in Richtung besagter Tür. Voller Hoffnung und durchtriebenem Stolz will ich die Klinke drücken während mir ein Jemand von hinten gellend in mein rechtes Ohr räuspert. Ohne zu denken drehe ich meinen Kopf sofort zu diesem hin. Dass er es ist, konnte ich mir schon unterbewusst erahnen, bin aber trotzdem negativ überrascht. Vielleicht sollten wir uns jetzt mal zur Abwechslung richtig einander vorstellen? Oder lieber doch nicht.
Der Barkeeper schaut mich an, als ob ich ihm gerade die Tür vom Darkroom versperrt hätte. Verdrossen und missmutig, was in mir unnötige Schuldgefühle auslöst, die ich mir gerne sofort wieder ausziehen möchte. Er sagt kein einziges Wort, wobei ich ihm wild mit meiner Hand vor seinem Gesicht rumfuchtele. Mir fällt so spontan auch kein schlauer Spruch zur Schlagfertigung ein und ich frage ihn einfach: “Woher kennst du denn Rainer Willems?”
Lale Nikki Eggers
