Gesucht: dreckige Realität

Gesucht: dreckige RealitätIn einem Blogartikel hat Matthias Bohlen seinen Ansatz beschrieben, die Form eines Softwaresystems zu entwerfen. Leider hat mich die Lektüre unbefriedigt zurückgelassen.

Dass Matthias einen anderen Ansatz verfolgt als ich, erklärt das allerdings nicht. Warum sollte mich das auch stören? Der Entwurf hat mich ja nicht in frustriert-sprachloses Erstaunen versetzt. Also erwächst aus der Andersartigkeit seines Ansatzes eher energievolle Spannung. Ich werde seinem Entwurf auch einmal meinen gegenüberstellen. Dabei kann ich wieder für mich etwas lernen. Sie können für sich vergleichen. Und vielleicht ergibt sich daraus auch noch ein konstruktives Gespräch.

Nein, der Ansatz ist es nicht, der mich frustriert hat. Es war eher die Aufgabe. Aber auch wiederum nicht konkret die Bankendomäne, sondern die, hm, Präsentation und der Scope. Beides war so typisch. Nämlich typisch – sorry to say, Matthias – flach.

Ich habe es schon so oft gesehen in Büchern und Artikeln: Da wird eine Technologie oder Methode vorgestellt anhand eines Beispiels, bei dem es einfach funktionieren muss.

Bis zu einem gewissen Grad ist das auch legitim oder sogar nicht zu vermeiden. Auch ich habe schon so Technologien oder Methoden vorgestellt; manchmal liegt es an der Zeit, die zur Verfügung steht. Gerade deshalb bin ich da aber vielleicht auch sensibel. Ich möcht es besser machen für Sie und auch für mich.

Das Problem bei einer flachen Aufgabenstellung, bei Anforderungen, die eine Technologie oder Methode quasi zum Selbstgänger machen ist schlicht, dass man sich in die Tasche lügt. Das kann dem Präsentierenden selbst nicht gefallen. Und es ist natürlich unschön für die Leserschaft.

Ja, das ist es, das hat mich bei Matthias Lösung gestört. Das unselige, weil schon so oft zitierte Überweisungsszenario ist so trivial, dass sich damit ja fast jede Methode erfolgreich demonstrieren lässt. Ein “normal” objektorientierter Ansatz hätte dabei genauso sinnvoll dargestellt werden können wir ein prozeduraler oder ein funktionaler. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass Matthias’ DCI-Ansatz einem anderen überlegen ist.

Damit will ich keine Aussage über seinen Ansatz machen. Bei der Größenordnung an Aufgabe macht er für mich schlicht keinen deutlichen Unterschied. Er funktioniert. Klar. So wie der “normale” objektorientierte Ansatz auch vorher funktioniert hat.

Was wir bei Matthias sehen ist eine Momentaufnahme eines kleinen Szenarios. Und wenn wir in ein Buch zur Objektorientierung oder zu DDD schauen, dann sehen wir dort auch Momentaufnahmen. Da hat jemand lange an Code gearbeitet, ihn fein ziseliert – und präsentiert das kunstvolle Ergebnis.

Gesucht: dreckige RealitätNur ist so leider nicht die Realität. Die ist dreckig und hektisch und nicht so strukturiert in ihren Anforderungen. Außerdem sind die deutlich umfänglicher. Da gibt es Seiteneffekte. Da müssen nicht-funktionale Anforderungen berücksichtigt werden. Und da verändert sich so einiges über die Zeit.

Wir brauchen mehr Demonstrationen von Technologien und Methoden, die es damit aufnehmen. Auch und gerade, wenn es um Methoden geht. Denn ob eine Technologie funktioniert oder nicht, das lässt sich leicht selbst feststellen. Zur Laufzeit gibt es gewöhnlich blitzschnell Feedback. Doch ob eine Methode funktioniert bzw. ob man sie richtig anwendet, das ist viel schwieriger festzustellen. Womöglich stellt sich das erst nach Wochen oder Monaten heraus, wenn man sich damit in eine Ecke gepinselt hat.

Matthias’ Lösung kommt mir insofern “erschlichen” vor. Das Problem ist so abstrakt, isoliert dargestellt, dass sich quasi alles wie von selbst fügt. Erklärungen sind kaum nötig. Jeder nickt sofort, wenn da die Rollen aufgetischt werden… und jeder hält es dann für ganz natürlich, dass ein Konto das andere auffordert etwas zu tun.

Aber das kann doch nicht Matthias’ Ernst sein. In welcher Bankenwelt sollen denn Konten direkt miteinander sprechen? Auch wenn ich kein Banker bin, hat das für mich keinen Rückhalt in der Realität der Bankdomäne. Deshalb scheinen mir die Rollen Quellkonto und Zielkonto “erschlichen”. Wie bei einer petitio principii, wo das zu Beweisende vorausgesetzt wird. Oder so ähnlich wie die Antwort auf die Frage aus Ottos Quizparodie, wer denn der berühmte Maler in Rembrandts Haus sei.

Aber nochmal: Damit will ich Matthias´ Ansatz nicht per se kritisieren, sondern nur sagen, dass ich seinen Wert anhand des flachen Beispiels noch nicht erkennen kann. Wo die Anwendungsfälle so klein sind, dass Objekte und Rollen auf der Hand liegen, kann ich jede Methode rechtfertigen, die Objekte und Rollen favorisiert.

Um mich zu überzeugen braucht es also etwas Größeres und Dreckigeres. Etwas, das nicht schon für eine Methode analysegerecht kleingehackt ist.

Aus diesem Grund habe ich schon vor längerer Zeit in Anlehnung an die kleinen Code Katas größere Application Katas beschrieben. Einige finden sich hier: http://clean-code-advisors.com/ressourcen/application-katas. Technologisch sollten sie keine Herausforderungen darstellen. Aber methodisch kann man sich an ihnen abarbeiten. Deshalb liegen sie in mehreren Iterationen vor.

Wie passt darauf der Ansatz von Matthias? Wie flott segelt er durch diese Anforderungen? Wie leicht lässt sich eine DCI-Struktur über die Iterationen verstehen und verändern?

Diese Fragen gelten aber natürlich nicht nur für Matthias. Jeder, der eine Methode für die Softwareentwicklung im Ärmel hat, kann sich daran probieren. “Normale” Objektorientierung genauso wie Funktionale Programmierung oder der de facto Stil eines Teams. Ich selbst demonstriere Flow-Design immer wieder an solchen Beispielen im Rahmen von Artikeln oder im Seminar “Agile Architektur” der Clean Code Developer Akademie.

Doch die AppKatas sind weit weg von Matthias’ Aufgabenstellung. Da mag es schwer fallen zu sehen, was ich mit “mehr dreckige Realität” meine. Deshalb hier meine Version seines Überweisungsszenarios, als ganze Anwendung mit einem UI und persistenten Daten.

Application Kata - Banküberweisung

Auch das ist natürlich immer noch eine Spielzeugvariante dessen, was in Banken tatsächlich läuft. Aber es sind zumindest mehr Facetten darin enthalten, so dass es schwieriger wird, seinen Entwurfsweg zu finden. Die Entscheidungen sind nicht vorgekaut. Ein wie immer geartetes Modell – um das es ja beim Entwurf geht – liegt nicht auf der Hand.

Also, das ist eine Art von Herausforderung, wie ich sie häufiger formuliert und dann angegangen sehen möchte. Alles andere ist Spielkram.

PS: Wer sich beklagen möchte, in der Aufgabenstellung seien zu viele Dinge nicht ausformuliert und deshalb sei es schwierig zu entwerfen, der kann gern in den Kommentaren hier Fragen stellen. Dann konkretisiere ich als “Kunde” :-)


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