Gespräche mit dem Tod (9): Der Yoga-Urlaub

Es ist der erste schöne Tag im Jahr. Ich sitze im Schlosspark, genieße die Sonne und schaue mir auf dem Handy Videos von schaukelnden Pandabären an. Dies zeugt zwar von einem etwas schlichtem Gemüt, aber es bringt gute Laune.

Während ich leicht grenzdebil kichere, legt sich plötzlich eine knöcherne Hand auf meine Schulter. Ich schaue nach oben und erblicke den Tod.

„Mensch, Tod, alter Freund!“, rufe ich aus. „Was für eine freudige Überraschung.“

Wir nehmen uns zur Begrüßung in den Arm und drücken uns fest. Dann setzen wir uns nebeneinander auf die Bank. Der Tod seufzt laut und streckt die Beine von sich.

„Alles in Ordnung?“, frage ich besorgt. „Du siehst erschöpft aus. Quasi wie der Tod auf Latschen.“ Ich lache über mein morbides Wortspiel, aber der Tod stimmt nicht mit ein.

Gespräche mit dem Tod (9): Der Yoga-Urlaub

Der Tod.

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„Ich darf überhaupt keine Latschen tragen“, sagt der Tod ernst.

„Wieso denn?“, frage ich.

„Das erlaubt meine Unfallversicherung nicht“, erwidert er. „Bei Latschen ist die Gefahr zu groß, dass ich stolpere und mir den Knöchel breche. Oder das Genick.“

„Du hast eine Unfallversicherung?“, frage ich erstaunt.

„Na klar“, sagt der Tod. „Mir zahlt doch als Selbstständiger niemand den Verdienstausfall, wenn ich im Krankenhaus liege.“

„Verstehe“, erwidere ich.

„Bei dem Pensum, das ich täglich zurücklege, könnte ich auch gar keine Latschen tragen“, erklärt der Tod. „Ich benötige moderne Sneaker mit Dämpfung, Gelenkstabilisatoren und höchstem Tragekomfort.“

Der Tod hält mir stolz seinen rechten Fuß hin, damit ich seine State-of-the-art Schuhe betrachten kann.

„Das sind Maßanfertigungen für mich“, erklärt der Tod. „Von der NASA getestet. Und das Design hat Jay Z entworfen. War ein Deal, nachdem ich ihn bei einem Drogenexzess verschont habe.“

„Wie von Jay Z entworfen?“, frage ich skeptisch. „Die sind doch einfach nur schwarz.“

„Quatsch. Siehst du nicht die kleinen schwarzen Steine?“, fragt der Tod. „Das sind unbehandelte Rohdiamanten. Die Schuhe würden im Laden mehr als eine Millionen US-Dollar kosten.“

„Ist das nicht ein wenig übertrieben?“, werfe ich ein.

„Ganz und gar nicht“, erwidert der Tod. „Die Schuhe sollen ja nicht nur funktional sein, sondern auch etwas hergeben. Das ist in meinem Metier sehr wichtig. Oder würdest du dich von jemandem abholen lassen, der aussieht, als kaufe er sein Schuhwerk bei Orthopädie-Krüger um die Ecke?“

Ich schüttele den Kopf und bewundere pflichtgemäß seine Schuhe.

„Aber wie geht es dir denn nun?“, erkundige ich mich. „Hast du viel zu tun?“

„Frag‘ nicht“, seufzt der Tod. „Das Attentat in London, Luftangriffe in Syrien, der Zyklon, der Madagaskar getroffen hat.“ Er wird ganz still.

Ich mustere ihn genau. Der Tod sieht wirklich schlecht aus. Noch magerer als sonst. Sein Gesicht ist fahl und seine Augen zieren dunkle Ringe. Plötzlich vergräbt er sein Gesicht in seinen knochigen Händen und beginnt zu weinen. „Diese ganze Sterberei bringt mich noch um“, murmelt er. Aufmunternd lege ich meinen Arm um seine Schultern.

„Ich weiß, wie du dich fühlst“, sage ich mitfühlend. „Die letzten Wochen waren bei mir auch ziemlich stressig.“ Ich halte ihn im Arm und der Tod schluchzt wie ein kleines Kind.

Nach einer Weile sage ich: „Komm, lass‘ uns einfach den Frühling genießen.“

„Den Frühling genießen?“ Der Tod schüttelt ungläubig den Kopf. „Das ist für mich die arbeitsreichste Zeit im Jahr.“

„Wieso das?“, frage ich.

„Na, da holen die ganzen Biker ihre Motorräder aus der Garage und machen ihre Spritztouren“, erklärt der Tod. „Da kann ich stündlich jemanden von einem Baum oder einer Windschutzscheibe kratzen.“

„Aha“, sage ich. „So habe ich den Frühling noch nie gesehen.“

Wir schauen eine Weile schweigend auf die Wiese, wo zwei junge Hunde miteinander tollen. Im Hintergrund zwitschern ein paar Vögel. Ein Pärchen läuft Händchen haltend an unserer Bank vorbei.

„Aber du hast schon recht“, erklärt der Tod. „Ich darf mich nicht so stressen lassen.“

„Na siehst du“, sage ich. „Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung.“

„Ich sollte achtsamer mit mir, meinem Leben und meinem Job umgehen“, sagt der Tod.

Ich schaue ihn fragend an.

„Das Sterben darf nicht so geschäftsmäßig sein“, erklärt er. „Die Leute sollen den Moment des Sterbens bewusst und mit allen Sinnen erleben.“

„Da werden sich deine Kunden aber freuen“, sage ich ironisch.

„Natürlich“, entgegnet der Tod. „Sie sollen für ihr Geld ja auch etwas bekommen.“

„Wie? Für ihr Geld?“, frage ich. „Die Menschen bezahlen doch nichts fürs Sterben.“

„Indirekt schon. Durch ihre Angehörigen“, erklärt der Tod. „Hast du dich noch nie gefragt, warum eine Bestattung so teuer ist?“

„Warum denn?“, will ich wissen.

„Wegen meiner Provision“, antwortet der Tod. „Ich habe mit fast allen Bestattern eine Cash-Back-Vereinbarung. 35 Prozent ihrer Einnahmen gehen an mich. Bei kompletten Leichen sogar 40 Prozent.“

„Wieso das?“, frage ich.

„Na, weil sie dann einen kompletten Sarg verkaufen können“, erklärt er. „Das bringt mehr als so eine lumpige Urne.“

Erneut starren wir auf die Wiese. Eine Hummel setzt sich auf einen Krokus, bis er umknickt.

„Ich müsste mal ein paar Entspannungstechniken erlernen“, sagt der Tod. „Vielleicht fange ich mit autogenem Training an.“

„Oder Yoga“, schlage ich vor. „Dann tust du etwas für Geist und Körper.“

„Das stimmt“, sagt der Tod. „Ich habe eine Idee!“ Er klatscht begeistert in die knochigen Hände. „Wir können doch gemeinsam Yoga machen.“

„Was?“, stoße ich entsetzt hervor.

„Ja“, sagt der Tod strahlend. „Du und ich. Ein wenig Quality Time nur für uns. Dann sehen wir uns auch regelmäßiger.“

„Wir könnten uns auch zum Kartenspielen treffen“, sage ich. „Da sehen wir uns auch regelmäßig.“

„Wir sollen uns zum Spieleabend treffen?“, fragt der Tod ungläubig. „Bist du hirntot oder was?“ Er schüttelt fassungslos den Kopf.

Ich suche nach einer Ausrede, warum ich auf keinen Fall Yoga mit dem Tod machen möchte, aber mir fällt auf die Schnelle nichts ein.

„Lass‘ uns nach Indien fahren“, schlägt der Tod vor. „Einen Monat lang Yoga-Retreat.“

„Ich kann doch nicht einfach einen Monat wegfahren“, erkläre ich. „Da würde sich meine Familie aber schön bedanken.“

„Pah!“, stößt der Tod verächtlich aus.

„Was heißt hier ‚Pah‘?“, frage ich beleidigt. „Meine Kinder brauchen mich ja wohl.“

„Ja, klar doch“, sagt der Tod belustigt. „Wann hast du denn deine Tochter abgesehen vom Abendessen das letzte Mal außerhalb ihres Zimmers gesehen?“

Ich überlege, aber ich weiß es nicht.

„Die ist fast vierzehn“, sagt der Tod. „Die ist froh, wenn du dich nicht um sie kümmerst.“

„Aber mein Sohn“, werfe ich ein. „Der freut sich, wenn ich mit ihm an der Konsole zocke.“

Der Tod bekommt einen Lachanfall. „Der spielt eh lieber mit seinen Kumpels. Das sind wenigstens würdige Gegner und keine Opfer.“

Ich schaue ihn entrüstet an. „Ich bin überhaupt kein Opfer.“

„Aha“, sagt der Tod spöttisch. „Und wie viele Tore hat der Sohn das letzte Mal bei Fifa 17 gegen dich geschossen?“

„21“, erwidere ich kleinlaut.

„Und du?“, fragt der Tod weiter.

„Eins“, antworte ich.

„Und wie“, fragt er.

„Als der Sohn auf Toilette war.“

„Genau“, sagt der Tod. „Und zwar 30 Minuten lang.“

Missmutig starre ich vor mich hin. „Aber meine Frau, die hätte etwas dagegen, wenn ich einfach so für vier Wochen wegfahre.“

„Ach Gottchen“, sagt der Tod. „Ihr seid über 20 Jahren zusammen. Die will doch auch mal ihre Ruhe haben.“

„Dann hätte sie aber die Kinder und den Haushalt ganz alleine an der Backe“, werfe ich ein.

„Ich glaube, das nimmt sie gerne in Kauf“, erwidert der Tod. „Das wäre der reinste Wellness-Urlaub für sie, wenn du mal ein paar Wochen weg wärst.“

„Aber meinen Kunden kann ich nicht einfach sagen, dass ich wochenlang nicht da bin“, unternehme ich einen weiteren Versuch.

„Aber meinen Kunden kann ich nicht einfach sagen, dass ich wochenlang nicht da bin“, äfft mich der Tod nach. „Lass dir eins sagen, mein Freund. Auf dem Sterbebett wirst du mal nicht zu mir sagen: ‚Mensch, war das toll, als ich damals im Frühjahr 2017 so hart gearbeitet habe.‘“

„Und wenn schon“, murmele ich.

„Ich kann mir schon eher vorstellen, wie du in deiner letzten Stunde zu mir sagst: ‚Was hatten wir eine geile Zeit auf Goa! Nie wieder habe ich besseres Gras geraucht.‘“

„Wie, du willst jetzt auf einmal zum Kiffen nach Goa?“, frage ich ihn. „Ich dachte du willst zu einem Yoga-Retreat?“

„Naja, so ungelenk wie du bist, hätten wir beim Yoga bestimmt nicht viel Spaß“, sagt der Tod. „Du bekommst doch nicht mal den sterbenden Schwan hin.“

Beleidigt schaue ich auf den Boden und wir sitzen eine Weile schweigend nebeneinander.

In der Kutte des Tods vibriert es. Er holt sein Handy hervor und schaut auf den Bildschirm. Der Tod kichert.

„Was ist?“, frage ich.

„Gott hat mir eine DeathApp-Nachricht geschickt“, sagt er. „Ein Gif mit einem schaukelnden Panda.“

Er zeigt mir das Video und ich muss auch kichern. Wer kann schon schlecht gelaunt sein, wenn er einem Panda beim Schaukeln zusieht.

Dann bekommt der Tod eine neue Nachricht aufs Handy.

„Ich muss los“, erklärt der Tod. „Weißt du zufällig, wie ich von hier zum Seniorenstift ‚Schlossblick‘ komme?“

„Die Arbeit?“, frage ich.

„Jupp“, antwortet er. „Eine Doris Morschmüller soll ich abholen. Oder Morschmeier?“ Der Tod grübelt. „Egal, wird schon nicht die Falsche sein. Ob zwei Wochen früher oder später ist bei einer über 90-jährigen auch nicht so schlimm.“

Ich schaue ihn entgeistert an.

„Kleiner Scherz“, sagt der Tod und schaut nochmal aufs Handy. „Es ist Frau Morschfreier. War ich ja zumindest nicht ganz falsch.“

„Du musst einfach quer durch den Park“, sage ich und zeige ihm die Richtung.

„Danke“, sagt der Tod. „Auch für die Unterhaltung. Mir geht es schon viel besser.“

Zum Abschied nehmen wir uns wieder in den Arm und drücken uns fest. „Und überleg dir das mit Goa“, sagt er im Gehen. „Das wäre ganz großartig.“

Dann macht sich der Tod auf in Richtung Seniorenstift. Dabei pfeift er fröhlich „Because I got high“ und zieht dabei an einem imaginären Joint.


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