Als ich letzthin Armin besuchte, war er müde und „durchsichtig“. Offensichtlich ging es ihm nicht gut. Darauf angesprochen antwortete er:
„Ich bin nicht mehr allein. Ein Tumor hat sich in meinem Kopf eingenistet und er macht mir zu schaffen.“
Ich war entsetzt. „Um Himmels Willen Armin, dann musst du sofort in die Klinik, musst operiert und therapiert werden. Wieso bist du überhaupt noch hier im Sanatorium? Die können dir hier nicht helfen.“
„Das ist auch nicht nötig. Ich komme schon alleine zurecht. Ich versuche, mich mit ihm zu arrangieren.“
Das kam mir seltsam vor und ich begann zu überlegen: Wenn ein Arzt bei ihm einen Gehirntumor diagnostiziert hätte, wäre er dann nicht schon lange in der Klinik?
„Was sagt dein Arzt dazu?“, sondierte ich.
„Nichts, er weiß es nicht.“
„Wer zum …. hat denn die Diagnose gestellt?“
„Ich selbst.“
„Aber du bist doch kein Arzt. Oder hast du dich etwa selbst geröntgt?“ Zuzutrauen wäre es ihm, dachte ich. Armin war ein begnadeter Tüftler.
Er lächelte. „Mit Röntgen kriegst du das nicht raus, da musst du schon in die Röhre. Aber ich habe weder das eine noch das andere getan. Ich spüre ihn.“
Vielleicht, sagte ich mir, bildete er sich das nur ein.
„Was jetzt, Armin? Was willst du dagegen tun?“
„Ich spreche mit ihm.“
„Du sprichst mit deinem Tumor? Das ist doch verrückt.“
„Er ist zwar ein Parasit, aber genauso ein Lebewesen wie du und ich.“
„Aber das Ding ist nicht intelligent, es ist ein entarteter Teil von dir selbst!“
„Was weißt du schon über Tumore.“
Ich resignierte. „Und? Hat er dir geantwortet?“
„Ja, natürlich, aber es ist ein schwieriger Dialog.“
„Das kann ich mir vorstellen.“
„Du musst verstehen, dass er in einer anderen Welt zuhause ist.“
„Ja, in deinem Kopf.“
„Sei bitte nicht zynisch. Mein Mitbewohner scheint langsam zu begreifen, dass unser Schicksal ein gemeinsames ist. Wenn er weiter wächst, sterben wir zusammen.“
Mir wurde schlecht. Wenn Armin starb, würde ich meinen besten Freund verlieren. Ich beschloss, mich heimlich mit der Leitung des Sanatoriums in Verbindung zu setzen.
Als ich mit der Direktorin darüber sprach, sagte sie:
„Armin hat keinen Tumor, das haben wir geprüft. Er bildet sich den nur ein.“
Doch auf der Heimfahrt fragte ich mich, wie sie das geprüft hatte. Hatte sie Armin untersuchen lassen, oder hatte sie nur mit ihm gesprochen? Möglich wäre es. Manchmal habe ich den Eindruck, das Personal sei verrückter als die Patienten.
Man muss nicht krank sein, um mit sich selbst zu sprechen und ins Reine zu kommen. Euer Traumperlentaucher