Geschichte zweier Spiele, Teil 1/2: Call of Duty Modern Warfare 3

Von Stefan Sasse
Call of Duty Modern Warfare 3 box art.pngIn den letzten Wochen sind zwei große Titel fest etablierter Reihen erscheinen: Call of Duty Modern Warfare 3 und Assassin's Creed Revelations. Modern Warfare 3 ist der mittlerweile siebte Teil der Call-of-Duty-Reihe, während ACR der vierte Teil der Assassin's-Creed-Reihe ist. Nach dem Durchspielen beider Einzelspieler-Kampagnen war ich mehr als überrascht, wie fundamental entgegengesetzt die Geschichten sind, die in diesen Spielen erzählt werden. Beide vermitteln ein bestimmtes Wertesystem, kommentieren politische und gesellschaftliche Probleme der heutigen Zeit. Im Folgenden möchte ich zeigen, wie sie das tun und warum Modern Warfare nicht nur äußerst fragwürdig, sondern geradezu gefährlich ist, während die Assassin's-Creed-Spiele dem Spieler zutiefst wertvolle Fragen stellen und ihm etwas mitteilen, das von Bedeutung ist. Im Fokus steht dabei ausdrücklich die Geschichte selbst, die diese Spiele erzählen. Es geht nicht um Mechaniken, nicht um den Mehrspielermodus, nicht um die Grafik. In all diesen Bereichen sind beide Spiele gut, und trotz der sehr  unterschiedlichen Erzählqualität können beide exzellent unterhalten. Dies soll überhaupt nicht in Abrede gestellt werden. Nach dieser Vorrede zur Sache. 
Die Modern-Warfare-Reihe gehört vom Genre her zu den so genannten Ego-Shootern, landläufig gerne als "Killerspiele" geschmäht. Der Spieler nimmt die Welt durch die Augen des Charakters war, vornehmlich über Kimme und Korn einer ins Sichtfeld ragenden Waffe. Wie der Titel bereits andeutet spielt der Spieler Mitglieder einer "modernen Armee"; das Spiel ist in einer fiktiven, nahen Zukunft angesiedelt. Die über den Verlauf der bisherigen drei Teile erzählte Geschichte sieht dabei in etwa so aus: ein russischer Nationalist namens Zakhaev hat sich das Ziel gesetzt, Russland zur alten Größe zurückzuführen. Zu diesem Zweck schließt er sich mit islamischen Terroristen in einem unbenannten mittelöstlichen Land zusammen und finanziert einen Putsch. Während eine britische SAS-Einheit in Russland Zakhaev zu fassen versucht, interveniert eine US-Invasionsstreitmacht in dem Land. Eine explodierende Atombombe tötet die meisten US-Soldaten jedoch. Ein Versuch Zakhaevs, nukleare Raketen auf die USA abzuschießen, kann knapp verhindert werden. Zakhaev wird getötet (erstes Spiel). Darauf folgend wird Zakhaev in Russland als Held und Märtyrer verehrt; der Terrorist Makarov kann in seine Fußstapfen folgen. Die USA und GB arbeiten eng zusammen. Der SAS versucht erneut, sich auf die Spur der Terroristen zu heften, während es den amerikanischen Geheimdiensten gelingt, einen Mann in Makarovs Team einzuschleusen.  Dieser nimmt zum Schein an einem Terroranschlag auf den Moskauer Flughafen teil, wird aber von Makarov getötet und zurückgelassen. Dieser "Beweis" eines amerikanischen Terrorakts wird von Russland dann als Vorwand genutzt, eine Invasion in den USA zu starten, die wegen eines Ausfalls der Satelliten unbemerkt gelingt. Heftige Kämpfe an der Ostküste sind die Folge. Beim Versuch, Makarov endgültig auszuschalten müssen die Task-Force-Männer feststellen, dass ein amerikanischer General sie verraten hat. Sie schließen ein kurzfristiges Bündnis mit Makarov und töten den General (zweites Spiel). Im dritten Teil der Modern-Warfare-Reihe versucht der SAS weiterhin, Makarov zu finden (in Afrika und Osteuropa, hauptsächlich), während die Amerikaner erst die Invasion an der Ostküste zurückschlagen. Als die Russen in allen europäischen Großstädten einen gleichzeitigen Chemiewaffenanschlag als Vorbereitung für eine Invasion verüben, muss Europa verteidigt und gleichzeitig die Spur zu Makarov gefunden werden, der den russischen Präsidenten als Geißel hält. Es gelingt schließlich, die russische Staatsführung von Makarov zu trennen und Makarov zu jagen und zu töten.
Modern Warfare 2 cover.PNGDas offensichtlichste Problem der hier erzählten Geschichte ist natürlich ihre krasse Unlogik. Storykonstrukte wie "die NATO hilft den USA nicht, weil die Russen einen toten Amerikaner am Terorrort gefunden haben" oder "die Russen greifen alle europäischen Hauptstädte gleichzeitig an, und die US-Ostküste" wurden bereits vielfach persifliert und kritisiert. Um diesen Blödsinn soll es nicht gehen, zu offensichtlich ist er nur ein Vorwand, zugebenermaßen großartig inszenierte Szenen aneinanderzureihen. Wie sonst kann man im einen Moment hinter Abrams-Kampfpanzern durch die Hamburger Straßen vorrücken, während man nur Momente später unter der Kulisse des einstürzenden Eiffelturms kämpft? Problematisch ist vielmehr das dem Ganzen zugrundeliegende Narrativ. Der Spieler mit seinen wechselnden Charakteren ist Teil einer Militärmaschinerie, die reflexionslos gegen "den Feind" antritt, von dem Yatzee Croshaw zurecht bemerkte, dass er "ein Haufen Scheiße sei, dem "Russland" als Etikett angeheftet wurde". Der Feind begeht beständig Greueltaten zu kaum einem anderen Zweck als die Entmenschlichung zu betreiben, die scheinbar notwendig ist um auf ihn schießen zu können. Tötungen von Zivilisten, Giftgasanschläge, Gefangenenerschießungen und Ähnliches werden aufgefahren, während die US-Streitkräfte stets auf der moralischen Sonnenseite agieren.
Auch spielen Regierungen oder andere nicht-militärische Belange praktisch keine Rolle. Insbesondere Konstruktionen wie das Völkerrecht oder Menschenrechte sind für die Protagonisten nur da relevant, wo westliche Bürger betroffen sind. Weder haben die osteuropäischen Menschen irgendwelche Rechte, noch die Afrikaner. Hier ist es besonders auffällig, wenn hunderte Mitglieder der nur als "local militia" betitelten AK-47-Träger von der überlegenen Militärhardware des Spielers über den Haufen geballert und Luftschläge mitten in die dicht besiedelten Slums geführt werden. Auch Folter und Gewalt gegenüber besiegten Feinden ist absolut an der Tagesordnung und wird nicht nur nicht verurteilt, sondern geradezu gefördert. Das krasseste Ausmaß dieser moralischen Ambiguität findet sich in "Call of Duty Black Ops", einem Nebenprodukt der Reihe, das im Kalten Krieg angesiedelt ist, wo der Spieler aktiv einen Gefangenen foltern muss. Diese Folter, das bestätigt perverserweise sogar das unschuldige Folteropfer später selbst, ist dabei im Interesse der Sache notwendig. Eine solche Verabsolutierung des die Mittel heiligenden Zwecks zieht sich durch die komplette Geschichte und lässt jeden Tom-Clancy-Roman als Gralshüter des liberalen Staates erscheinen. 
Call of Duty 4 Modern Warfare.jpgVielleicht am merkwürdigsten ist dabei die fast völlige Entkleidung des Spielerhandelns von einem erkennbaren Wertekorsett. Zwar spielen die Designer gelegentlich mit Ikonen wie dem Eiffelturm oder der New Yorker Börse, dem Weißen Haus oder dem Kongressgebäude. Trotzdem kämpft der Spieler weder für einen greifbaren Zweck wie NATO oder die USA selbst, noch für abstraktere Werte wie Freiheit. Er kämpft, weil er Mitglied einer modernen Armee ist, und diese Mitgliedschaft allein rechtfertigt alle Handlungen und einen merkwürdigen Korpsgeist. "Call of Duty Modern Warfare" schafft - oder reflektiert - so ein in sich geschlossenes Wertesystem ohne großen Einfluss von außen. Man befindet sich in einem Konflikt, dessen Gegenstand vollkommen austauschbar ist. Ob man nun auf afrikanische Milizen, vietnamesische Guerilla, russische Soldaten oder nahöstliche Terroristen schießt macht für das Spielgefühl keinerlei Unterschied, ist lediglich eine ästhetische Kategorie. Im Modern-Warfare-Universum ist jeder Konflikt gleich, das Vorgehen von militärischen Notwendigkeiten und Rationalitäten diktiert, spielt die politische oder gesellschaftliche Dimension, die Frage von "richtig" und "falsch" keine Rolle. Notdürftig überdeckt wird das Ganze mit markigen Onelinern, die einen Patriotismus vorgaukeln, wo überhaupt keiner existiert. Modern Warfare bewegt sich durch ein moralisches Niemandsland und hat nur noch sporadische Berührungen mit einer anderen Realität als der Militärischen. Eine solche Geisteshaltung aber ist gefährlich, denn sie leistet einer ähnlichen Sicht auf reale Konflikte Vorschub. Einfache Lösungen, bei denen mit genügend Feuerkraft jedes noch so komplexe Problem aus dem Weg geräumt wird, führen aber entgegen dem Modern-Warfare-Narrativ direkt in die Katastrophe.

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