Generation Waschlappen

Er ging mit ihr, Arm in Arm, spazieren bei Smogalarm, der Klaus Eckmann, der mit seiner Band engagiert für eine bessere Welt eintrat. Draußen vor der Tür fiel saurer Regen, das Wort "Massenarbeitslosigkeit" hatte "Montanmitbestimmung" als Chiffre für die gesellschaftliche Grundstimmung abgelöst und die Weltmächte waren entschlossen, sich demnächst mit noch mehr Atomraketen mitten in Europa in Schach zu halten. Nuklearer Holocaust, kalter Krieg, Helmut Schmidt als Kanzler, der Russe eine alltägliche Bedrohung und auch der neue Golf wieder ohne Katalysator, das waren die guten alten Zeiten, in denen Angst in Wackersdorfer Hüttensiedlungen gebrütet, bei Ton Steine Scherben-Konzerten kein Eintritt gezahlt und Gesellschaftsveränderung durch Schwarzfahren angestrebt wurde.
Dunkle Zeiten, von Frank Schöbel seinerzeit in der Zeile "Alles im Eimer, Christina-Marie" packend zusammengefasst. Dass es noch viel schlimmer kommen sollte, konnte die Frohnatur aus Friedrichshain da noch nicht wissen: Wenige Momente nur blieben der Menschheit, soweit sie in Deutschland lebt, um sich über Mauerfall, das Ende des Waldsterbens und den Abzug aller SS20-Raketen von deutschem Boden und das von einem Tag auf den anderen aus allen Schlagzeilen verschwundenen Ozonloch zu freuen. Zwölf Jahre nach dem ersten Smogalarm am 17. Januar 1979 folgte im Januar 1991 die letzte Auslösung einer Smog-Vorwarnstufe. Der Weltuntergang, von Klaus Eckmanns Chaoten Kommando so lyrisch besungen wie keine Menschheitskatastrophe zuvor, schien abgesagt. Mitte der 90er Jahre schafften alle Bundesländer ihre Smog-Verordnungen wieder ab.
Doch alles wird besser, aber nichts wird gut, sang schon die von weiten Teilen der Bevölkerung längst vergessene Tamara Danz. Folgerichtig stand das Unheil schon bald in neuem Gewand vor der Tür: Rinderpest und Schweinegrippe, Missbrauchsskandale, Alcopops, Gewaltspiele, islamistischer Terror, Blutbäder im Reichstag, NPD-Kader bei der Volkszählung und als Fußballtrainer, Migration und Präsidentenrücktritt, Finanzkrise und Euro-Rettung, die Klimaerwärmung und der harte Winter, der Tod Michael Jacksons, Dioxinskandale, Spendenaffären bei der CDU, Kaltaquise am Telefon, drohende Dürren und mit letzter Not überstandene Überflutungen - gegen das, was die mittlerweile erwachsen gewordene Generation Waschlappen medial ertragen muss, sind Sklaverei, mittelalterliche Pest und Zweiter Weltkrieg fröhliche Kindergeburtstage gewesen.
Die Lust am Untergang, sie schert sich nicht um Anlässe, sie macht sich die Angst selbst. Ölpest und Oilpeak, Glatteis und Irakkrieg, autoaggressiv sucht ein Heer von Medienschaffenden nach frischem Futter für "verunsicherte Verbraucher" (dpa), die darauf konditioniert sind, im Notfall schon Furcht vor der Furcht zu äußern, die sie haben könnten, wenn sie irgendeinen Grund zu welcher hätten. Wer nicht arm ist, dem droht stets Gefahr, es zu werden, wer reich ist, muss aufpassen, dass er es bleibt, denn mit den Flakhelfern, die im Arbeitsdrillich aus alten Kanonen auf britische Flieger schoß, obwohl Winter war und die Bahn nicht immer ganz pünktlich war, stirbt die letzte in Entbehrungen geschulte Generation. Die hatten nicht und konnten nichts verlieren. Ihren Kinder und Enkel hingegen fehlt es an allem: Spazieren bei Smogalarm? Im sauren Regen in den Wald? Wie sollen sie denn? Saren Regen und Smog haben sie uns doch auch schon weggenommen.


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