Gelesen > Sexualität und Christentum (soweit ich es ertragen habe)

Vor vielen Jahren, es waren die lahmen 80er, fiel mir in der Stadtbücherei ein dickes Buch in die Hände, das verkündete, das Wissen und die Macht eines geheimen Ordens zu kennen. Der Orden waren, die Tempelritter (natürlich!). Der Gral war das Geheimnis, Jesus Christus sei als Pater Familiaris in einem Ashram in Indien im hohen Alter gestorben. Im Kreise seiner Kinder und seiner Frau Magda.

Ehrlich gesagt, die Pointe des Buches war ein ziemlicher Antiklimax. Ich hatte irgend etwas im Stile der Illuminaten erwartet. Jesus interessierte mich nicht so. Und ob er nun am Kreuz gestorben ist oder – leicht übergewichtig, das schüttere Haar immer noch lang, ab und zu kichernd im Neuen Testament blätternd – auf Goa, war mir egal. Immerhin war das Buch recht spannend geschrieben. Eine Ritterpistole, die auf echten Mythen beruht, die lose auf historischen Fakten basieren. Viel „man könnte sagen“ und “wenn man davon ausgeht, dass ..“ und natürlich auch „Aber was war auf dem Heuwagen? Forscher sagen heute ….“ Man kennt das aus „Galileo“.

Als ich die ersten ca. 20 Seiten von Dan Browns „Da Vinci Code“ gelesen hatte, wusste ich, worauf es hinaus läuft. Das Buch war trotzdem in der ersten Hälfte kurzweilig, dann übertrieb er es einfach mit immer neuen Wendungen, die nicht wirklich überraschend waren. Ein Trivialroman, der auf einem vergessenen populär“wissenschaftlichen“ Buch beruhte. Das einzige, das mich ärgerte, was der Erfolg Browns, bzw. dass er diesen mit so einem mittelmäßigen Roman erzielte. Aber die meisten erfolgreichen Dinge sind ja im besten Fall Mittelmaß.

Jetzt habe ich so viel zu anderen Büchern geschrieben und erwähne hier zum ersten Mal „Sexualität und Christentum“. Genau darum:

Dan Brown erregte […] gewaltiges Aufsehen. Er vertritt [in „Sakrileg“], Jesus sei verheiratet gewesen und habe Kinder gehabt. Dieses Buch ist […] als Roman klassifiziert, aber die Ausgangsposition dieser phantasievollen Erzählung ist […] plausibel.“ (19)

Dann ergeht sich der „Professor für Pastoraltheologie“ Raymond J. Lawrence Jr. Darin, dass die „Mutmaßung“ Browns hinsichtlich des Familienstandes JC’s „vermutlich“ „am ehesten“ zutreffe. In der Bible finden sich zwar keine Belege, aber „außerkanonische Texte“ (er nennt das Philippusevangelium) erwähnten eine „besondere Beziehung“ zu Maria Magdalena. Man könne das nicht so einfach als unhistorisch abtun.

Doch kann man. Genauso wie den Rest zumindest der ersten beiden Kapitel, die zu lesen ertragen habe. Es gibt keine Quellenarbeit oder zumindest Bibelexegese nach der historisch-kritischen Methode. Es gibt viele Vermutungen, Auslegungen und vor allem absolut unwissenschaftlichen Induktionen. Lawrence hat eine Agenda: die christliche Sexualmoral sei „falsch“ und beruhe auf willkürlich missverstandenen Lehren, bzw. kulturellen Traditionen, die nichts mit Jesus zu tun hätten. Diese Agenda bestimmt seine Argumentationslinie und, Mann, ist das eine miese Argumentation. Seine Quellen würden in eine Proseminarsarbeit passen, aber nicht zu einem ernst gemeinten Beitrag zur Religionsgeschichte. Seine Bibelzitate zum Beispiel stammen aus einer Übersetzung. Natürlich ist ein amerikanischer „Professor“ ein etwas besserer Lehrer, aber ich musste für meinen Magister in Religionsgeschichte mein Latinum (nach)machen und jeder Theologe muss „die drei Sprachen der Kreuzesinschrift“ (Latein, Altgriechisch, Hebräisch) kennen. Jeder Historiker, Religions- und andere, ist vor allem von Quellen abhängig. Wenn man nicht eng an den Quellen arbeitet, kommt so etwas wie „Sexualität und Christentum“ heraus: ein spekulatives, von persönlichen Interessen geprägtes Schein-Sachbuch.

Wie gesagt: es ist mir persönlich egal, ob Jesus nun Single, Familienvater oder schwul war. Mich interessiert das Thema als Religionswissenschaftler, der plötzlich feststellen musste, dass er mehr über den Buddhismus als über das Christentum weiß und diesen Makel beheben will. Aber ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, verarscht zu werden. Und nach der Lektüre der Einleitung, der ersten beiden Kapitel und dem Schluss des Machwerkes komme ich mir unglaublich verarscht vor.

Und ich habe den Vorteil, mich auszukennen. Die Fehlleistung „Professor“ Lawrences wäre mir zumindest nicht so krass ins Auge gefallen, wenn ich nicht parallel Diarmaid McCullochs „Christianity: The First Three Thousand Years“ lesen würde. Kein unumstrittenes Buch, aber etwa 10.000 mal besser recherchiert als „Sexualität und Christentum“ mit einem Apparat den man auch benutzen kann.

Was mich besonders wütend macht, ist dass Laien meistens nicht zwischen den gut recherchierten, wissenschaftlichen Büchern und dem Schrott unterscheiden können. Meine Mutter wollte sich über den Islam informieren und fragte mich, ob „dieses Buch“ gut sei. Ich schlug die erste Seite auf, las der ersten Absatz, in dem der einzig „erfolgreiche“ Kreuzzug (der erste) als Misserfolg abgetan wurde und konnte sofort sagen: „Nein“. Manchmal frage ich mich, ob die Sachbuchverlage mittlerweile die Position von Lektoren an Gymnasiasten vergeben.

McCulloch hat übrigens auch etwas zu Dan Brown gesagt:

Some overexcited modern commentators and mediocre novelists have even elevated her [Maria Magdalena] (on no good ancient evidence) to the status of Jesus’s wife“. (116)

 


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