Den Kirchenhistoriker und Experten für christliche Kunst Hans Georg Thümmel hat man mal einen der letzten Universalgelehrten genannt. Ob nun christliche Archäologie, russische Religionsphilosophen oder wie in Lektürekursen mit seinen Studenten mittelalterliche Predigtmärlein - vor seinem Interesse war kaum ein Gebiet sicher. Und schon immer hat Thümmel geschrieben. Jetzt also einen Überblick zur Stadtgeschichte Greifswalds, wobei für ihn hier die reine Stadtgeschichte immer zusammen mit der der Universität zusammen gesehen wird. Eine Entscheidung, die sofort einleuchtet, ebenso wie die, gleichzeitig auch - und hier kommt der Kirchen- und Kunsthistoriker zum Zuge - die Geschichte der Kirchengebäude der Stadt und der dazugehörenden Gemeinden.
Hier bezieht Thümmel nicht nur seine eigenen Arbeiten etwa zur Geschichte der Universität aus den letzten Jahren ein sondern auch neueste archäologische und bauhistorische Untersuchungen. Allerdings - und das macht sein Buch vor allem auch für Nichthistoriker interessant - streut er in einem lockeren Plauderton unzählige Anekdoten, kleinere Ereignisse und persönliche Erinnerungen ein. Und so ist ein äußerst anregend und vergnüglich zu lesendes Werk entstanden, dem man seine Herkunft aus einer Vortragsreihe im Greifswalder Dom noch anmerken kann.
Klar, dass auf 300 Seiten keine Vollständigkeit inklusive einer kompletten Bewertung der Quellenlage erwarten kann. Aber darauf kommt es Thümmel nicht an. Ein Abriss, eine Anregung zur Erinnerung und zum Weiterlesen und -forschen ist das Buch geworden, ebenso auch die Anfrage eines Wissenschaftlers an die aktuelle Entwicklung der Universitäten, die Erinnerungen eines Zeitgenossen an die Zeit seit der DDR. Und es sind die Fragen und Meinungen eines Wissenschaftlers und engagierten Christen über den Weg der Wissenschaften ebenso wie über pauschale Fehlurteile über Menschen, die in Diktaturen lebten.
Auch hier überschreitet Thümmel den Standpunkt des um eine scheinbare Objektivität bemühten Wissenschaftlers. Er wird zum engagierten Streiter für eine Universität, die gegen alle wirtschaftlichen Erfordernisse doch noch die Ideale einer breiten Allgemeinbildung verfolgen sollte. Und fern jeder Ostalgieseligkeit verteidigt er die Lebensweise von DDR-Bürgern, denen eigentlich oft nur die Anpassung an die Verhältnisse blieb, wenn sie denn im System überleben und wirken wollten. Gerade das ist ein Beitrag, dem man viel mehr Leser wünschen möchte.
Einen entscheidenden Fehler hat das 300 Seiten starke Buch aus meiner Sicht: Mit fast vierzig Euro ist es viel zu teuer. Der Verlag hätte durchaus erkennen können, dass „Greifswald - Geschichte und Geschichten“ eben kein reines Fachbuch ist, für das solche Preise gezahlt werden von Fachbibliotheken und Studentinnen. Es ist ein Buch, was eine viel breitere Leserschaft ansprechen kann und soll. Aber die ist wohl kaum bereit, derartig hohe Preise zu bezahlen. Vielleicht kann man ja mal eine preiswerte Taschenbuchausgabe in Angriff nehmen?