Geht die französische Esskultur den Bach runter? – Frankreich und sein “mal bouffe”

Hallo liebe Freundinnen und Freunde der Regenbogenkombüse,

wenn Sie zu den regemäßigen Leserinnen und Lesern der Regenbogenkombüse gehören, wissen Sie, dass ich mein Herz vor mehr als 30 Jahren nicht nur an einen gestandenen Ostwestfalen, sondern auch an unser Nachbarland Frankreich verloren habe. Und das genau in der Reihenfolge: am Jahreswechsel 80/81 lernte ich meinen jetzigen Ehemann kennen und im September 81 fuhr ich mit ihm und dem damaligen Wohnwagen meiner Eltern nach Frankreich. Gleich bei der ersten Begegnung mit einem französischen Wochenmarkt (welche Sie hier nochmals im unteren Teil nachlesen können), wusste ich, dass ich in meinem kulinarischen Paradies angekommen war. Eine derartige Fülle an Farben, Gerüchen, Aromen, eine solche Auswahl an Obst, Gemüse und Kräutern, an Käse, Wein und Brot kannte ich bis dato weder aus meiner Geburtsregion, dem Ruhrgebiet, noch aus Ostwestfalen, wo ich studiert habe.

Radieschen F 2012

Dazu kam das “gallische Naturell” der Franzosen, die melodiöse Sprache und die abwechslungsreichen Landschaftsbilder, die man beim Reisen durch Frankreich erkunden kann. Mich hatte es also ziemlich heftig “erwischt”! Und wie jede echte, wahrhaftige Liebe dauert auch die bei mir an, sodass ich noch immer und von Jahr zu Jahr mit wachsender Passion nach Frankreich fahre.

Getrocknete Tomaten für Tapenade

Vieles verändert sich – nicht immer nur zum Guten

Dieses Jahr hat meine Leidenschaft jedoch einen kleinen, aber deutlich verspürbaren Dämpfer erfahren. Was ist passiert?

Land und Leute an sich sind für mich noch immer so faszinierend wie vor 30 Jahren. Hier gibt es also keinen Punktabzug. Aber das Essen? Wo ist die französische Esskultur geblieben? Beziehungsweise warum muss man inzwischen so lange suchen, bis man sie endlich findet? Und dann ist vieles auch schon nicht mehr so, wie es war.

Natürlich kann man nicht erwarten, dass die Esskultur oder das Essverhalten eines Landes quasi auf dem Stand der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts “einfriert” und sich seitdem nichts mehr bewegt. Das Essen, Kochen, generelle Verarbeiten von Lebensmitteln, sowie das, was als Genuss verstanden wird und die allgemeinen  Verbraucheransprüche ändern sich genauso wie die gesellschaftlichen Bedingungen. Leben ist Wandel – Handel allerdings auch. Und genau hier liegt ein Teil des Hases im Pfeffer begraben.

Die moderne französische Ess- und Einkaufskultur

Wenn Sie früher durch Frankreich fuhren, gab es in den meisten Ortschaften noch die kleinen, traditionnellen Geschäfte: Also die Boulangerie, wo man Brot, die Boucherie, wo man Fleisch, die Poissonnerie, wo man Fisch  und die Épicerie, wo man Obst und Gemüse, Käse und andere Grundnahrungsmittel kaufte. Heute findet man in den meisten Ortschaften noch den Bäcker und, wenn man (als Nichtvegetarier) Glück hat, die Metzgerei. Der Rest ist in die neu entstandenen Supermärkte abgewandert. Je größer der Ort beziehungsweise das Einzugsgebiet ist, desto umfangreicher sind die Supermärkte. An den Peripherien der mittleren und großen Städte finden sich heute, genauso wie in Deutschland, die großen Einkaufszentren mit den bekannten Supermarktketten. Die größten von ihnen werden als Hypermarchés betitelt, in denen es vom Apfel bis zum Zubehör für Computer und Fernsehen (fast) alles zu kaufen gibt. Das Sortiment ist meist qualitativ hochwertig, die Preise auch.

Weil Frankreich sich nicht erst seit heute in einer stetigen Rezession befindet und auch die Franzosen inzwischen auf jeden Cent achten müssen, haben sich neben den großen Supermarkketten überall, ob auf dem Land oder in der Stadt, Discounter angesiedelt. Ob Aldi, Netto, Lidl und Penny – die uns bekannten Marken findet man alle in  Frankreich wieder. Die Tatsache an sich muss ja nicht schlecht sein, denn meist bieten die Discounter gute Qualität zum  guten Preis. Auch ich decke, zuhause wie auf Reisen in Frankreich, einen Teil meines alltäglichen Bedarfs im Discounter. Diesbezüglich will ich mich gar nicht zum Moralapostel aufspielen.

Viele Franzosen setzen zunehmend auf Convenience Food

Was sich jedoch, nach meinen Erfahrungen, eklatant gewandelt hat, ist das, was in den Einkaufswagen (und die sind in Frankreich meist so groß wie ausgewachsene Badewannen…) landet. Wie oft habe ich mich im letzten Urlaub dabei ertappt, dass ich wie gebannt auf die gefüllten Caddies der vor und neben mir an der Kasse Anstehenden geschaut habe und (hoffentlich nur innerlich) mit dem Kopf geschüttelt habe.

In den Einkaufswagen stapelte sich neben Toilettenpapier, Hundefutter und Baguette das, was man auf Neudeutsch Convenience Food nennt. Also Tiefkühlpizza, panierte, tiefgefrorene Fischgerichte, tiefgefrorene Burger, Tiefkühltorten, Ratatouille und Cassoulet in Dosen, in Plastik eingeschweißter Couscous- und Fleischsalat aus der Frischhaltetheke, Cerealienpackungen aller Couleur und Madeleines (ein typisch französisches Gebäck) in der super günstigen Familienpackung. Dazu literweise – nein, nicht Rotwein, wofür ich ja noch Verständnis haben könnte -reichlich gesüßte und eingefärbte Limonade. Kurz gesagt, es sah fast so aus, als ob ich in Deutschland wäre!

Das Bild kompletiert sich, wenn man aus dem Einkaufsmarkt kommt und als Erstes über MacDonald oder eine andere Fast Food Kette beziehungsweise deren Hinterlassenschaften in fettiger Papierform stolpert.

France Mai 2011

Dieses Bild ist oft schon passé.

Der Hackfleischklops als neue Nationalspeise?

Auch das Essen gehen gestaltet sich zunehmend schwieriger und dass nicht nur, weil ich vegetarisches oder veganes Essen bevorzuge. Natürlich gibt es noch die hoch dotierten Feinschmeckerrestaurants oder die Geheimtipps auf dem Land oder in einer Seitenstraße jenseits der großen städtischen Boulevards, wo es sich vorzüglich speisen lässt. Eine erschreckende Mehrheit der Restaurants sowie deren Kunden hat sich inzwischen allerdings mit dem, was die Franzosen “mal bouffe” (frei übersetzt: schlechter Fraß) bezeichnen, angefreundet. In diesen Etablissements sind die Crêpes und Crème brulée nicht mehr liebevoll und kompetent hausgemacht, sondern stammen aus der industriellen Massenfertigung. Das Fleisch kommt nicht mehr vom lokalen Schlachter, sondern vom Großhändler und ist oft schon fertig paniert oder mariniert. Obst und Gemüse werden nicht mehr täglich auf dem Wochen- oder Großmarkt gekauft, weil es zu viel Zeit (also Geld) kostet. Hier setzt man stattdessen auf Tiefkühlware.  Auf den Mittagskarten der Restaurants landauf und landab prangt dick das Steak haché avec frites, also die Hackfleischfrikadelle mit Pommes. Eine kulinarisch fragwürdie Kombination, die (und nicht die Stopfleber oder Austern) zur nationalen Lieblingsspeise avanciert zu sein scheint!

Die Folge: Frankreich wird deutlich “runder”

Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen.

Wenn ich zynisch wäre, könnte ich behaupten, dass ich mich selten in Frankreich so wohl gefühlt hätte, wie im letzten Urlaub. Denn endlich falle ich, die ich bis auf 2 Lebensphasen, in denen es mir gesundheitlich nicht gut ging, immer ein paar Pfund zu viel auf den Rippen hatte und habe, dort nicht mehr so auf. Denn auch in Frankreich mehren sich Hüftgold und Bauchspeck. Die durchschnittlichen Bekleidungsgrößen sind für Homme und Femme um etwa 2 Größen nach oben geschnellt.

“Frankreich wird fett”, beklagte jüngst ein führender Nationalpolitiker. Ein nicht zu übersehender Trend, der auch durch die neuesten Statistiken belegt wird: Mehr als 15 Prozent der französischen Bevölkerung leidet an Übergewicht. Dabei sind die französischen Frauen erstaunlicherweise mehr als die Männer und die Armen mehr als die Wohlhabenderen (ein Trend, den wir auch aus Deutschland kennen) betroffen. Besonders  alarmierend ist der rasante Anstieg an Übergewichtigen in der Altersgruppe von 18 bis 24, von denen satte  35 Prozent deutlich zu viel auf den Rippen haben. Außerdem gibt es ein Nord-Südgefälle, sodass die Region Nord-Pas de Calais nicht nur geographisch, sondern auch, was das Übergewicht beträgt, ganz oben steht.  Ebenso im Osten des Landes, z. B. im Elsass und in der Region Paris tritt man mit deutlich schwerem Fuß auf die (ungeliebte) Waage.

Die Regierung fühlt sich auch durch die steigenden Kosten im Gesundheitswesen zum Handeln veranlasst, setzt auf Aufklärung, drängt auf mehr Bewegung und diskutiert ebenfalls eine “Ampel-Kennzeichnung” der Lebensmittel.  In einigen Städten und Départments steht man dem vegetarischen Essen wohlwollend gegenüber und nimmt an der weltweiten Aktion “Veggie-Tag” teil.

Kürbis + Radieschen VK F 2012

Problem erkannt, Problem gebannt? Wahrscheinlich nicht. Denn auch Frankreich leidet an den gleichen Problemen, die zu einem Anstieg des Übergewichts auf der ganzen Welt führten. Wichtig ist meiner Meinung, dass die Franzosen sich auf ihre wahren Werte und ihre wunderbare traditionelle Esskultur zurückbesinnen. Dann geht es mit dem Gewicht wieder bergab und mit dem Wohlbefinden bergauf!

Gebratener Salat mit geschmolzenem Ziegenkäse, vegetarische Rezepte, französische Küche, Low Carb vegetarisch

Bis dahin bin ich froh, dass ich bei Reisen in Frankreich (meist) den Wohnwagen mit Kochherd und Kühlschrank bei mir habe. So kann ich auf die immer noch hervorragenden französischen Grundprodukte wie Käse, Baguette, Oliven, Olivenöl, Reis, Wein etc. zurückgreifen, sie mit saisonalem und Obst und Gemüse sowie mit frischen Kräutern kombinieren und esse auch im Urlaub gesund und lecker.

Bis bald in Frankreich oder in der nächsten Woche in der Regenbogenkombüse!

Ihre Heike Kügler-Anger

 


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