Gefährliche Orte

Gefährliche Orte, verrufene Orte, Gefahrenorte oder Kriminalitätsschwerpunkte – wie immer auch die Zonen genannt werden, in denen grundlegende Bürgerrechte nichts mehr gelten – es gibt davon in Deutschland schon eine ganze Menge. Gemeint ist hier übrigens nicht das Internet, von dem man spätestens seit den Veröffentlichungen des Edward Snowden ja weiß, dass hier Geheimdienste, aber auch soziale Netzwerke, Datenkranken wie Google, Amazon, Apple, Mikrosoft und alle möglichen sonstigen kommerziellen Anbieter die Nutzer nach Strich und Faden verfolgen, abfischen und ihre Daten auswerten. Nein, es handelt sich um bestimmte Gegenden in Städten, in denen unter dem fadenscheinigen Mäntelchen einer effektiveren Kriminalitätsbekämpfung jede Person völlig verdachtsunabhängig kontrolliert, registriert und durchsucht werden darf.

Da kann man natürlich weiterhin – genau wie im Internet – dem guten Glauben anhängen, dass wer sich nichts zu schulden kommen lässt, auch nichts zu verbergen hat und sich infolge dessen auch nicht vor irgendwelchen Überprüfungen durch die Polizei fürchten muss.

Das ist auch gar nicht der Punkt: Im Zuge einer sich verschärfenden sozialen Spaltung geht es vor allem darum, die braven Bürger vor den Verlierern der Gesellschaft zu schützen. Es geht sehr viel weniger um die tatsächliche Sicherheit, als darum, Angstgefühle in der Bevölkerung zu schüren – während die Anzahl von Übergriffen und Verbrechen vielerorts tatsächlich sinkt, nimmt die Angst der Leute vor Verbrechen zu. Und das ist keineswegs dasselbe. Das sieht man auch daran, dass gerade dort, wo es vergleichsweise wenige Ausländer gibt, die Vorurteile besonders groß sind. Aber der Wettbewerb um die Gutverdiener fordert entsprechende Maßnahmen – die Verlierer sollen draußen bleiben. Und so werden Innenstädte und Fußgängerzonen in deutschen Städten von nutzlosem Gesindel gesäubert – das kann sich gefälligst in ausgewiesenen Sonderzonen von der Staatsmacht schikanieren lassen.

Die Präsenz der Staatsmacht allein nützt reichlich wenig – seit dem Johnny K. auf dem Alexanderplatz aus nichtigen Gründen zu Tode geprügelt wurde und es einige weitere gewalttätige Übergriffe gab, ist die Polizei hier auffällig präsent. Trotzdem ist vor kurzem wieder ein junger Mann in dieser Gegend erstochen worden. Ist der Berliner Alexanderplatz nun ein gefährlicher Ort? Die Medien behaupten ja. Die Polizei sicherlich auch. Aber wenn man bedenkt, wie viele Menschen hier Tag für Tag unterwegs sind, muss ich sagen: Eigentlich passiert hier erstaunlich wenig. In dem kleinem Kaff, aus dem ich komme, habe ich deutlich mehr brenzlige Situationen erlebt, als hier in Berlin. Ein Nachbarsjunge hat seinen Vater erschossen. In dem Haus der Eltern meiner besten Freundin ermordete ein Mann seine Mutter. Der notorische Schulpsychopath fing mich immer wieder auf meinem Schulweg ab, um mich zu verprügeln. DAS war ein gefährlicher Ort. Aber niemand hatte ein politisches Interesse daran, ihn zur Gefahrenzone zu erklären. Wir mussten halt irgendwie klar kommen. Und wir kamen damit klar.

Das Gute daran ist, dass ich mich in angeblichen Gefahrenzonen unbefangen bewegen kann – in Marseille, der Westbank, in Chicago oder auf dem Alexanderplatz fühle ich mich genauso sicher wie sonstwo. Aber ich gehöre ja auch nicht zur Zielgruppe der Ordnungshüter – rein äußerlich bin ich so dermaßen etablierte Mitteleuropäerin, dass ich sogar gegen die Verkehrsrichtung ohne Licht am Fahrrad durch die Einbahnstraße fahren kann.

Aber genau deshalb ist da ja so zum Kotzen! Und deshalb komme ich wieder auf die Studie Die Konstruktion gefährlicher Orte. Eine Problematisierung mit Beispielen aus Berlin und Leipzig zurück. Wir werden damit auf die kommenden Zeiten des Leidens eingeschworen. By the way: Hier findet genau das statt, was unsere Medien dem armen Russland unter Putin bescheinigen. Wir brauchen dazu nicht einmal so eine nützliche Allzweckwaffe. Wir haben ja Angela Merkel.



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