Es ist so weit. Die Russen haben der Ukraine das Gas abgedreht. Und die (selbst)gerechte Empörung über diesen Schritt spiegelt sich in diversen Berichten deutscher Massenmedien wider. Wie könnte es auch anders sein? Tagesschau.de verkündet mit dem Datum vom 16. Juni, was jedem schon seit mehr als zwei Monaten klar war, der sich die Mühe gemacht hat, den Brief des russischen Präsidenten Vladimir Putin vom 10. April diesen Jahres an achtzehn europäische Regierungsoberhäupter zu lesen: „Russland liefert nur noch gegen Vorkasse“. Bild.de macht Panik unter der Überschrift „Putin dreht der Ukraine den Hahn zu – Droht jetzt auch uns eine Gas-Krise?“, um im Kleingedruckten dann wieder abzuwiegeln, und auch ntv.de „befürchtet“ in Wort und Bild (zumindest in der Überschrift) „Auswirkungen auf die EU“.
Gasbohrung, Söhlingen-Ost Z4, ExxonMobil Gasfackel – Foto: © by Battenbrook, This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Bloß gut, dass die Leser immer alle Artikel aufmerksam bis zur letzten Zeile durcharbeiten und dadurch Fehlinformationen oder –interpretationen vermieden werden. Stellen Sie sich bloß mal vor, das wäre anders! Grauenhaft, nicht wahr? Da würde die Gerüchteküche aber brodeln!
Aber schauen wir uns zunächst einmal an, worum es überhaupt geht:
In Folge der Krimkrise stellte Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew am 21. März diesen Jahres die Gültigkeit der 2010 in Charkiw geschlossenen Vereinbarung eines Preisnachlasses für Erdgas in Frage. Grundlage des gewährten Rabatts von 100 Dollar je 1.000 Kubikmeter war bis dato die Nutzung des Marinestützpunkts Sewastopol auf der Halbinsel und Autonomen Republik Krim, die sich inzwischen dem Beispiel des Kosovo folgend per Referendum von der Ukraine abgespalten und anschließend der russischen Föderation angeschlossen hatte. Damit war dieser Rabatt hinfällig geworden.
Der russische Energiekonzern Gazprom forderte kurze Zeit später die Ukraine auf, offene Rechnungen für Gaslieferungen im Gesamtwert von 4,5 Milliarden Dollar (3,3 Mrd. Euro) zu bezahlen – eine Summe, die der fast bankrotte Staat nicht aufbringen kann. Zuerst war von Seiten der EU und unserer Medien zwar von weit geringeren Summen die Rede – ich glaube mich in diesem Zusammenhang an eine Milliarde Euro zu erinnern – aber wer denkt schon zwei Monate zurück? (Allerdings möchte ich an dieser Stelle trotzdem darauf hinweisen, dass trotz Zinseszins und Schuldgeldsystem ein Zuwachs von 350 Prozent innerhalb von acht Wochen wohl eher ausgeschlossen werden kann. Verbuchen wir es also als weitere leidige Erfahrung mit medialer Berichterstattung, okay?)
Ob diese Forderung mit dem gleichen Nachdruck verfolgt worden wäre, wenn man der Russischen Föderation von Seiten der USA, EU und der neuen Kiewer Regierung nicht gewissermaßen und fortgesetzt in den Vorgarten gekackt hätte, werden wir vermutlich nie erfahren. Aber auch in diesem Falle gilt wohl das Prinzip, dass ein Gefallen den anderen nach sich zieht. Und im Grunde waren die Russen doch noch außerordentlich kulant. Im Falle der Nichtbegleichung wurde nicht – wie zu diesem Zeitpunkt von unseren Medien propagiert – ein Lieferstopp bis zur vollständigen Begleichung der offenen Posten verhängt, was soziale und wirtschaftliche Verwerfungen in dem Krisenland zur Folge gehabt hätte, sondern zukünftige Lieferungen wurden lediglich auf Vorkasse umgestellt (wie schon im Putin-Brief vom 10.4.14. angekündigt).
Zu beachten ist weiterhin, dass Moskau Kiew zuvor weitere Preisrabatte beim Erdgas gewährt hatte, nachdem der (später entmachtete) Präsident Viktor Janukowitsch erklärt hatte, ein über Jahre ausgehandeltes EU-Assoziierungsabkommen nicht zu unterzeichnen. Anfang April 2014, nach dem Sturz Janukowitschs und der Installation einer Übergangsregierung mit Beteiligung von Nationalisten, welche diese Vereinbarung nicht aufrechterhielt, kehrte Russland folgerichtig zum Gaspreis von 485,50 Dollar je 1000 Kubikmeter zurück. Er entspricht der Ausgangslage, die im Zuge des letzten großen Gaskonflikts Ende 2009 erreicht worden war (Quelle: Wikipedia) und darüber hinaus dem, was auch die westeuropäischen Abnehmer für das russische Erdgas zu zahlen haben. Dies betrachtet man von Seiten der Ukraine jetzt offenbar als illegale, weil politisch motivierte Gaspreiserhöhung, obwohl es tatsächlich nur die Rückkehr zu den vertraglich festgelegten Summen ist. Warum auch sollte die Russische Föderation einen Preisnachlass für eine Vereinbarung gewähren, die von Seiten ihres Vertragspartners nicht eingehalten wird?
Inzwischen sind von Seiten der EU nach offiziellen Angaben 1,5 Mrd. Euro geflossen, um angeblich damit die Gasschulden der Ukraine zu bezahlen. Allerdings ist genau dies offenbar nicht passiert, weil Gazprom den vollen Betrag von 3,3 Mrd. Euro (also immer noch 4,5 Mrd. Dollar) nun bei der internationalen Schiedsstelle für Handelsstreitigkeiten in Stockholm einklagen will. Anzunehmen ist daher, dass die EU-Gelder entweder als Vorauszahlungen für weitere Lieferungen verwendet wurden oder anderweitig versandeten. (Wir erinnern uns, dass der russische Präsident in seinem Brief vom 10. April die benötigten Vorauszahlungen, um einen angemessenen Vorrat für den kommenden Herbst und Winter anzulegen, auf insgesamt 5 Mrd. US-Dollar schätzte.)
Alles in allem sieht es so aus, dass diese gemeinen, geldgierigen Verbrecher von Gazprom doch tatsächlich darauf bestehen, Ware nur noch im Austausch gegen Bezahlung zu liefern. Unfassbar. Ob dieser Vorgehensweise ist offenbar sogar die Gaspipeline vor Empörung geplatzt. Und das zu recht! Man stelle sich vor, unser Einzelhandel würde das auch so halten! Den medialen Aufschrei möchte ich mir gar nicht vorstellen … oder vielleicht doch?
Ich meine, überlegen Sie doch mal. Sie gehen in den nächsten Supermarkt, füllen Ihren Einkaufswagen, schieben ihn freudestrahlend durch die weltmeisterschaftlich schwarz-rot-gold-dekorierten Gänge und vorbei an pasteurisierter Milch, während Sie aus den Lautsprechern mit den neuesten Nachrichten bezüglich bundespräsidial-pastoraler Waffensegnungen berieselt werden … und dann werden Sie tatsächlich durch so einen Engpass gelotst, an dessen Ende eine böswillige Person Ihre Einkäufe über einen Scanner zieht. Und wenn sie damit fertig ist, dann verlangt sie zu allem Überfluss auch noch Geld von Ihnen! Und zwar eine Summe, die (im Gegensatz zu obigem vertraglich vereinbarten Gaspreis) ohne Ihre vorherige Zustimmung vom Einzelhändler als „Warenwert“ festgelegt wurde. Willkürlich! Das wäre doch eine bodenlose Frechheit, nicht wahr? Nur zu toppen durch die Anzeige wegen Ladendiebstahls, die man gegen Sie erstatten würde, wenn Sie dieser unverschämten Forderung nicht nachkämen, die Waren aber dennoch mitnehmen wollten…
Vorkasse für die Ukraine? Unglaublich sowas! Die sollten sich echt schämen, diese Russen! Bloß gut, dass bald auch bei uns in großem Stile gefrackt wird! Denen werden wir es zeigen – und wenn es nur der ausgestreckte Mittelfinger ist, während das in den Boden gepumpte Gift so nach und nach unser Vieh, unser Trinkwasser und uns selbst dahinrafft. Kein Problem für uns, solange wir nur weiter mit zweierlei Maß messen können.
A propos Maß … „Frollein, bringens uns noch zwoa! Und machens mal die Glotze lauter! Is schließlich WM!“
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Gasbohrung, Gasfackel, Söhlingen-Ost Z4, ExxonMobil Gasfackel – Foto: © by Battenbrook, This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.