Der Archivar der Marktgemeinde Perchtoldsdorf schrieb ein Buch über die Eisenbahnen und Straßenbahnen im Süden Wiens – einst und heute. Er behandelt darin folgende Bahnstrecken, und zwar vor allem die im Bezirk Mödling verlaufenden Teilstrecken:
Den “360er” (Straßenbahn) von Wien-Rodaun nach Mödling;
die “Aspangbahn” von Wien nach Wiener Neustadt;
die Lokalbahn Wien – Baden;
die Lokalbahn Mödling – Hinterbrühl;
die Kaltenleutgebner Bahn;
die Flügelbahn Mödling – Laxenburg Kaiserbahnhof;
die “Pottendorfer Linie” von Wien nach Wiener Neustadt;
die Südbahn von Wien in Richtung Graz und Klagenfurt.
Drei davon sind verschwunden (der 360er, die Bahnen nach Laxenburg und in die Hinterbrühl) und nur noch in Resten und vereinzelten Bauwerken erkennbar. Die Kaltenleutgebener Bahn ist aufgelassen, existiert aber noch. Die restlichen Bahnen sind noch in Betrieb.
Jede der Bahnen hatte oder hat ihren eigenen Charakter und ihre eigenen Probleme.
Älteste elektrische Straßenbahn der Welt
Neu war für mich, dass die Lokalbahn in die Hinterbrühl die weltweit erste elektrische Straßenbahn im Dauerbetrieb war. Sie wurde 1883 in Betrieb genommen und zunächst mit einem sich bald als untauglich erweisenden Stromübertragungssystem ausgestattet: In über dem Schienenweg montierten dünnen Kupferrohren, die unten einen Schlitz hatten, zogen die Triebwagen an zwei Kabeln zwei „Schiffchen“ hinter sich her, die den Strom in das Fahrzeug übertrugen. Dass das störungsanfällig sein musste, ist klar. Doch auch die Umstellung auf Fahrleitungen mit Stromabnehmern hatte ihre Tücken, denn die Wagen waren ungünstig kontruiert, sodass die Stomabnehmer nach und nach die Dachkonstruktion eindellten. Das bog man aber nicht aus, sondern ließ die Delle bestehen.
Eine Bahnstrecke als Geschenk für den Kaiser
Ebenfalls bemerkenswert: Die Flügelbahn Mödling – Laxenburg war ein Geschenk des führenden Eisenbahnunternehmers Sina an Kaiser Franz Joseph, um bei diesem gut Wetter für die Eisenbahn zu machen. Da der Laxenburger Schlosspark bereits im 19. Jahrhundert zum Großteil für die Öffentlichkeit zugänglich war, und zwar gratis!, beförderte die Bahn nicht nur seine kaiserliche Hoheit, sondern auch viele Ausflügler, was sich für Sina dann auch finanziell auszahlte. Da die Züge leicht und die Strecke brettleben waren, genügten winzige Dampfloks mit der Achsfolge 1A, also einer Vorlaufachse und einer angetriebenen Achse.
Bahnhof unter entgleisten Güterwaggons begraben
Auch von Zugsunglücken wird berichtet, wobei ein Zusammenstoß zweier Züge des 360ers in Perchtoldsdorf, bei dem 30 Menschen zu Schaden kamen, eins der schwersten war. Auch ein ganzes Bahnhofsgebäude fiel einem Zugsunglück zum Opfer: der aufgelassene Bahnhof Rodaun der Kaltenleutgebener Bahn, der 1979 unter einem entgleisten Zug von Zementwaggons begraben wurde.
In kurzen Kapiteln gibt Gatscher-Riedl einen Überblick über die Entwicklung der Bahnlinien, dann folgt jeweils ein ausführlich kommentierter Bildteil mit historischen und modernen Fotos (vielfach auch von Nostalgiefahrten), die zu betrachten für einen Menschen, der die Gegend kennt, äußerst interessant ist.
Gregor Gatscher-Riedl: Bahnen im Süden Wiens. Auf Schienen durch den Bezirk Mödling. Kral-Verlag, Berndorf, 2015. 191 Seiten.
Bild: Wolfgang Krisai: Bahnhof Mödling. Tuschestift, Buntstift, 2015.