TV On The Radio, 23. Juni 2011, Muffathalle München
Es gibt eine eiserne Regel für den Besuch bei Live-Konzerten, die da lautet: „Hast Du eine(n) Band/Künstler(in) schon einmal in ihren/seinen Anfangstagen vor überschaubarer Gefolgschaft erlebt und war dies ein phänomenales (unvergessliches, unwiederbringliches u.ä.) Ereignis, dann vermeide jeden weiteren Besuch, solltest Du sie/ihn später noch einmal in größeren Hallen sehen können. Gehst Du wider besseren Wissens trotzdem hin, dann beschwer Dich nicht!“ Soweit die Regel.
TV On The Radio, seit Jahren mit einem Coolness-Faktor gesegnet, von dem der Großteil des Musikbusiness – männlich, weiblich, jung, alt, schwarz, weiß, egal – nur träumen darf, waren im Jahre 2006 schon einmal in München und spielten eine sagenhafte Show im Hansa 39, vor schätzungsweise nicht mehr als 350 Leuten. Warum also jetzt das Schicksal versuchen und sich mit grob geschätzt fünfmal so vielen Möchtegernhippstern in einer Halle drängen, die als gnadenloses Akkustikgrab verschrien ist? Die Lösung ist recht simpel: Weil eine Band erst dann richtig gut ist, wenn sie den Standard, den sie gesetzt hat, auch nach Jahren und an unvorteilhaften Orten, bestenfalls halten, vielleicht sogar noch toppen kann? Wollen wir doch sehen...
Gleich vornweg: Für den Kammerpop der Vorband Oh! Pears, die sich auf maximal einem Quadratmeter der Bühne ängstlich zusammen-drängte, muß man wahrscheinlich geboren sein – niemand möchte den Jungs zu nahe treten, aber viel schlimmer kann Amy Winehouse in Belgrad auch nicht geklungen haben. Geschenkt, wir kümmern uns um das Hauptprogramm. Wer vergessen haben sollte, dass TVOTR ursprünglich eine Gitarrenband sind – und nach der neuen Platte waren das nicht wenige – dem wird das schon mit den ersten Takten ins Bewußtsein gehämmert: Tunde Adebimpe, Kyp Malone, David Sitek und Jaleel Bunton, unterstützt von einer 1-Mann-Blechsection, geben aus dem Stand dem Affen Zucker und füllen die Halle mit dem, was man getrost eine „funky wall of sound“ nennen kann. Schon der zweite Song stammt vom ersten Major-Album „Desperate Youth, Bloodthirsty Babes“ und auch die nachfolgende Auswahl läßt keine Wünsche offen.
„I Was A Lover“, „A Method“, „Province“, „Dancing Choose“ – sie spielen das laut, aber eben nicht nur, sondern sind wahrscheinlich die einzigen, die bei dieser gehörigen Menge an Dezibel noch leidenschaft-lichen Soul, zähneknirschenden Blues und so manchen harten Rap mit unterbringen können und zwar so, dass die Stücke ein unverwechsel-bares Gesicht erhalten. „Will Do“ vom neuen Album „Nine Types Of Light“ schmilzt ohrenbetäubend und beim brachialen Dreiklang aus „Staring At The Sun“, „Repetition“ und „Wolf Like Me“ brechen auch unten im Publikum alle Dämme – die Halle tobt.
Und weil TV On The Radio offenbar die Band ist, die an diesem Abend jeden glücklich machen kann, dürfen auch die Oh! Pears für eine Zugebe noch ein wenig mittrommeln und lächeln darob seelig in die Runde. Für’s restlos begeisterte Publikum gibt’s am Ende noch eine Extraportion Extase – die Jungs spielen eine knackige Version des Fugazi-Klassikers „Waiting Room“ und sammeln so problemlos die restlichen Punkte bei den Berufspessimisten ein – grandios. Gegen jede Erwartung also ein vorzügliches Konzert: Raus mit schwammigem Kopf, die Ohren pfeifen – glücklich.