[caption id="attachment_822" align="aligncenter" width="300"] My Son, Vietnam. Quelle: Wikipedia Commons[/caption]
Nachdem ich nun einige Zeit nichts geschrieben habe, folgt diesmal wieder ein kleiner Essay von mir zum Thema Cham und Funan. Ich bin ja meinem eigentlichen Interesse, der Eisenzeit und da speziell der Sa Huynh-Kultur ein wenig untreu geworden. In letzter Zeit beschäftige ich mich sehr mit Funan, was vielleicht daran liegt, dass ich in Can Tho und Bac Lieu wohne und damit in einer Region, die Funan zugeschrieben wird.
Heute diskutiere ich hier die Beziehung zwischen Cham und Funan. Beides sind frühe Staaten auf dem Gebiet der heutigen Staaten Vietnam, Kambodscha und Laos. Beide sind aus frühen chinesischen Annalen bekannt und haben kulturell ähnliche Entwicklungen. Allerdings ist die Sache doch ein wenig komplizierter. Denn von einem bzw. von den Cham-Staaten können wir vor dem siebten Jahrhundert gar nicht reden. Die früheste Erwähnung eines „campanagara“ erfolgt in einer Inschrift Mitte des siebten Jahrhunderts. Auch die chinesischen Annalen sprechen nicht von „Chiem Thanh“ (sinovietnamesisch, chinesisch wäre Zhan Cheng), sondern von „Lam Ap“ (Lin-Yi). Ich muss hier voraus schicken, dass ich Lin-Yi und Früh-Champa nicht gleich setze. Meines Erachtens gibt es keinen stringenten Beleg dafür, Lin-Yi in Thua Thien-Hue oder Quang Nam zu lokalisieren. Diese Theorie basiert lediglich auf der Annahme kultureller Komplexität: Quang Nam bzw. Thua Thien-Hue ergaben archäologisch sehr reiche Befunde, wie die bedeutenden Grabungen in Tra Kieu, Distrikt Duy Xuyen. Mangels Beweisbarkeit korreliert man hier: Reiche Befunde, die auf einen Zentralort hindeuten müssen eine höhere politische Entität anzeigen, die nur Lin-Yi sein können. Fakt ist aber, dass die chinesischen Annalen lediglich davon sprechen, dass „Lin-Yi südlich von Rinan“ liege. Damit kommt alles südlich des Kap Ngang in Frage. Theoretisch könnte Lin-Yi zwischen Quang Tri im Norden bis Quang Nam/Quang Ngai im Süden lokalisiert werden. Ob die Bevölkerung von Lin-Yi Cham waren? Wer weiß. Wenn man nicht mal weiß, wo dieser Staat gelegen hat, ist es müßig zu diskutieren, wie dessen Bevölkerung wohl gestaltet war. Ganz zu schweigen davon, dass ohne linguistische Daten kaum eine ethnische Zuweisung möglich ist. Wenn man allerdings annimmt, dass die Sa Huynh-Kultur eine von austronesischen Bevölkerungen getragene Kultur ist, so dürfte ein Gros der vietnamesischen Küste eben von Austronesisch sprechenden Völkern besetzt gewesen sein. Lin-Yi, oder gar Xitu, irgendwo zu verorten stellt sich mir ähnlich gefährlich dar, wie die Interpretationsansätze von Coedés in seinen besten Jahren. Hier wird historische Archäologie mit dem Buch daneben betrieben und auf Teufel komm raus Text und Befund in eine Form gepresst. Es wird passend gemacht.
Funan wird von den chinesischen Annalen 3000 Li südlich von Rinan und 1500 Li südwestlich von Lin-Yi verortet. Nimmt man für ein Li 400-500 Meter an, so käme man auf 1500 km bzw. 750 km. Lin-Yi wäre dann tatsächlich irgendwo in Mittelvietnam (so viel wussten wir allerdings schon vorher). Es besteht allerdings Konsens, dass Funan im südlichen Mekongbecken lokalisiert werden darf, mit Fundstellen wie Angkor Borei und Oc Eo. Funan scheint dabei früher eine politische Stabilität erhalten zu haben als Lin-Yi/Champa. Funan wie Lin-Yi waren frühe Handelszentren, über die die chinesischen Händler den Handel mit dem Nahen Osten und Indien abwickelten. Daraus lässt sich der Reichtum beider Staaten erklären. Nach neuesten Erkenntnissen stellt sich die Bevölkerung Funans bestenfalls als prä-Khmer dar, eventuell als Gemisch austronesischer oder austroasiatischer Elemente. Alle Indizien weisen aber auf das erstere hin.
Wie aber sahen die Beziehungen zwischen Lin-Yi/Champa und Funan aus? Chinesische Quellen berichten von wechselseitigen Koalitionen, genauso wie von Kriegen. Es war also eine parallele Existenz, die von einer wechselseitigen Geschichte geprägt war. Trotzdem beschleicht mich ein ungutes Gefühl bei der pauschalen Zuweisung Austronesisch/Lin-Yi/Cham und Austroasiatisch/Funan/Prä-Khmer. Bei der Beschäftigung mit den frühen Texten wird man das Gefühl nicht los, dass da mehr ist, als nur eine nachbarschaftliche Beziehung.
1. Der Titel „Fan“
Die chinesischen Quellen erwähnen sinisierte Namen der Könige von Lin-Yi wie auch von Funan. Dabei fällt auf, dass bis ins vierte/fünfte Jahrhundert eine Vielzahl der Namen mit der Silbe „Fan“ beginnen: Fan Huda, Fan Wen, Fan Chan. Neben Königen gibt es auch eine Vielzahl an hohen Beamten mit „Fan“. Die chinesischen Ethnographen haben dies als Teil des Namens angesehen, aber kann es nicht viel mehr eine Art Titel sein? Da sowohl Könige wie Nicht-Könige ein „Fan“ bekommen können, ist es wohl kein königlicher Titel. Michael Vickery hat sich dieses linguistischen Problems angenommen und konnte ihn glaubhaft mit „pon“, einem frühen Khmer-Titel identifizieren. Ohne Zweifel handelt es sich um einen rituellen Titel für einen Lokalherrscher. Wenn wir von Funan oder Lin-Yi als Königreich sprechen, ist dies ein Anachronismus. Claude Jaques hat bereits sehr früh darauf hingewiesen, dass es niemals ein geeintes Funan gegeben habe. Aber zurück zum „Fan“. Es handelt sich um einen Titel, der in vielen Prä-Khmer-Inschriften vorkommt. Die letzte Erwähnung des Titels findet 719 statt. Danach werden Titel wie kanmratan an und später devaraja/cakravartin populär (im Khmer-Gebiet), während der geläufige Cham-Titel dann „yan po ku“ ist. Aber bis zum fünften Jahrhundert sprechen chinesische Quellen eindeutig für Funan wie für Lin-Yi von „Fan“. Aber warum hat die herrschende Elite des „austronesisch“ geprägten Prä-Champa austroasiatische Titel getragen? Die chinesischen Ethnographen sind an sich sehr korrekt, diskutieren dieses Problem allerdings auch nicht.
2. Die Stele C.96 in My Son
Die merkwürdigen Beziehungen zwischen Funan und Champa werden noch tiefer, wenn wir uns My Son zuwenden, jener Tempelstadt in Zentralvietnam, die Lesern meines Blogs bekannt sein dürfte, da ich dort ein Jahr gelebt habe. Die Stele C.96 in My Son ist von besonderer Relevanz. Die Stele datiert 658 und wurde von König Prakasadharma errichtet. Erstens erwähnt sie zum ersten Mal das Wort „Campa“, d.h. es wird zum ersten Mal von einem Champa-Staat gesprochen (campanagara). Zum zweiten gibt sie eine Gründungslegende wider, die von dem Brahmanen Kaundinya und der Prinzessin Soma berichtet. Jener Brahmane kam von weit her, besiegte Soma, heiratete sie und begründete die herrschende Dynastie der Könige. Diese Gründungslegende ist uns wohlbekannt. Stele K.5 in Thap Muoi, Provinz Dong Thap, gibt sie wider. Thap Muoi liegt 750 Kilometer südwestlich von My Son inmitten des Mekongdeltas. Leider gibt es keine absolute Datierung der Stele; sie wird aufgrund epigraphischer Hinweise ins sechste Jahrhundert datiert. Die Gründungslegende ist aber noch in zwei weiteren Kontexten bekannt. Die chinesischen Annalisten geben sie im Liang Shu, der offiziellen Geschichte der Liang-Dynastie von 635, wider. Auch das kurze Zeit später erschienene Jin Shu (648) erwähnt sie. Die Gründung durch Kaundinya (Huntian) und Soma scheint eine sehr populäre und weit verbreitete Geschichte gewesen zu sein. Die Frage aber lautet, warum hat ein Cham-König sie in My Son, der heiligen Tempelstadt der Cham, in eine Inschrift einmeißeln lassen? Übrigens haben die Cham eine ähnliche Gründungslegende, die von Po Inu Nagar berichtet. Allerdings sind deren früheste Hinweise mindestens Mitte des achten Jahrhunderts zu datieren. Auch die Viet führen sich auf einen Drachenkönig und eine Prinzessin zurück (die 100-Eier-Geschichte, je nach Variante gebar die Prinzessin hundert Eier oder hundert Kinder, die Arme!!). Es ist wohl ein weit verbreiteter Topos in der südostasiatischen Mythologie.
3. König Bhadravarman
Dieser König dürfte vielen bekannt sein, wird er doch mit der Gründung My Sons in Zusammenhang gebracht. Er ist der früheste erwähnte König der Cham (Inschrift C. XX, 658). Er wird mit Fan Fo identifiziert, allerdings gibt es hier keine wirklich überzeugenden Belege für. Ob er My Son wirklich begründet hat, ist fraglich. Die Inschrift erwähnt lediglich, dass Sambhudravarman jenen Tempel, den Bhadravarman aus Holz errichtet habe, nach einem Feuer wieder hergestellt habe – diesmal aus Ziegeln bestehend. Bhadravarman soll den Holztempel der Gottheit Bhadresvara gewidmet haben. Bhadresvara ist eine spirituelle Transformation des Königs (Bhadravarman) mit der Gottheit Shiva (Isvara). Dies ist ein typisches Zeichen früher hinduistisch-shivaitischer Einflüsse in Südostasien und bis ins 13./14. Jahrhundert weit verbreitet. My Son als Tempelstadt wird dabei von verschiedenen geographischen Besonderheiten flankiert. Neben dem Thu Bon als Heiligen Fluss (Ganges) auch von dem Heiligen Berg, dem Mahaparvata, heute als Rang Meo bekannt.
[caption id="attachment_823" align="aligncenter" width="300"] Vat Phu, Laos. Quelle: Wkipedia commons[/caption]
Ähnliche Bezüge finden sich in Südlaos, in Vat Phou in der Provinz Champassak. Während wir auf die Etymologie des Provinznamens nicht so sehr achten sollten, da er wohl erst nach dem 15. Jahrhundert entstanden ist, sind Inschriften des siebten Jahrhunderts erheblich wertvoller. Die Inschrift von Vat Louang Kao (K.365) spricht von einem Heiligen Berg „Lingaparvata“. Linga ist ein weiteres Symbol des Shiva. Der Lingaparvata ist der heilige Berg, der mit Vat Phou assoziiert ist. Das Sui Shu schreibt darüber hinaus, dass der Tempel dort dem Gott Bhadresvara geweiht sei. Warum aber sollte ein in Südlaos liegender Tempel des sechsten/siebten Jahrhunderts einer Gottheit geweiht sein, die eigentlich in My Son, knapp 300 Kilometer entfernt, ihren Sitz hat? Vat Phou ist bis heute ein Gelehrtenstreit wert, denn hier mischt sich Khmer mit Cham-Stil. Bhadresvara aber wird nicht nur hier, sondern auch in der Angkor-Ebene erwähnt; allerdings erheblich später (z.B. Banteay Srei, 968). Wichtiger erscheint jedoch, dass Südlaos als Heimat der Herrscher Zhenlas gehandelt wird. Treffen hier also Cham- und Khmertraditionen aufeinander? Zumindest scheinen die Indizien darauf hinzudeuten. Möglicherweise ist aber auch unser Verständnis der frühen Religionen Champas und Kambujas einfach unvollständig.
4. König Rudravarman
Ist es nur Zufall, dass um 500 sowohl in Lin-Yi als auch in Funan ein König Rudravarman erwähnt wird? Ich postuliere keineswegs, dass beide Könige identisch sind, auch wenn der funanesische König Rudravarman um 550 verschwindet. Ihn als ersten König von Zhenla zu identifizieren, entbehrt jeglicher Textgrundlage. Rudravarman scheint irgendwie mit dem Königshaus von Zhenla in Verbindung gestanden zu haben, aber wie, ist nicht wirklich durchsichtig. Anscheinend haben aber sowohl Lin-Yi als auch Funan um 500 ähnliche Traditionen gefolgt, um ihre Könige mit den gleichen Namen zu betiteln. Möglich wäre natürlich auch die Identifikation beider als eine Person. Ausschließen kann man gar nichts, beweisen aber auch nicht. Rudravarman wird in der berühmten Inschrift C.96 als Juwel der Ksatriya-Familie bezeichnet. Auch hier liegen Ähnlichkeiten zu Funan-Inschriften vor.
5. Cat Tien
Die archäologische Fundstelle Cat Tien liegt inmitten des Cat Tien Nationalparks, nördlich von Ho-Chi-Minh-City in den Provinzen Lam Dong, Dong Nai und Binh Phuoc. Cat Tien ist eine mysteriöse Fundstelle und auch ich muss zugeben, damit wenig anfangen zu können. In Cat Tien treffen sich drei verschiedene kulturelle Traditionen: Cham, Funan und etwas Lokales. Pauschal gesagt, wir wissen über Cat Tien so gut wie gar nichts. Im besten Fall kann es als Mischkultur verstanden werden. Es liegt außerhalb Funans, außerhalb Champas. Da das Tay Nguyen aber archäologisch noch gar nicht vollständig verstanden ist, ist es auch müßig, hier Lösungen vorzuschlagen. Trotzdem ist es offensichtlich, dass Kontaktzonen zwischen beiden Kulturen existieren.
6. Suryavarman
Suryavarman schließlich ist kein König von Funan, sondern von Angkor. Er kam um 1010 an die Macht, also zu einer Zeit, als Funan schon 500 Jahre untergegangen war. Über ihn ist wenig bekannt. Er machte sich verdient um die Errichtung des Phimeanakas in Angkor Thom und Preah Vihears an der Grenze zum modernen Thailand. König Udayadityavarman starb um 1000 ohne einen Nachfolger. Im Kampf um den Thron behauptete sich Suryavarman. Seine Herkunft ist nicht bekannt, doch geben die Quellen zu verstehen, dass er wohl kein Khmer war. Er war malaiischer Herkunft, was wohl als Cham aufgefasst werden kann. Er war Buddhist, während das religiöse System Angkors auf dem Hinduismus basierte. Die von diesen Quellen berichteten Ereignisse decken sich mit einer Phase freundschaftlicher Beziehungen zwischen Champa und Angkor. Nun sagt Suryavarman überhaupt nichts über die Beziehungen zwischen Cham und Khmer aus, die 500 Jahre zuvor in Funan stattgefunden hatten. Aber er zeigt, dass es selbst im devaraja/cakravartin-System Angkors kein Problem darstellte, einen König aus einem Nicht-Khmer-Haus zu haben. Die Cham hatten anscheinend ebenfalls keine ideologischen Probleme damit.
Ich will hier überhaupt nicht postulieren, dass Cham und prä-Khmer identisch sind. Es gibt neben diesen wenigen Indizien für Übereinstimmungen auch sehr viele kulturelle Unterschiede. Archäologisch fallen mir die Nutzung von Münzen, von Goldfolien ein. Glasfunde sind in der mit Funan assoziierten Oc Eo-Kultur erheblich größer als in Champa. Die Religion Champas bestand aus dem shivaitisch geprägten Hinduismus, während Funan ein visnuitisch geprägter Hinduismus präferierte. Dennoch möchte ich mit diesem kurzen Essay anregen, die Beziehungen zwischen Champa und Funan als intensiver zu erachten, als dies in der Literatur bislang getan wurde. Beide politischen Zentren waren eine wichtige Station auf der maritimen Seidenstraße und als solche neben Konkurrenten auch Handelspartner zur gleichen Zeit. Wir wissen zu wenig über die politische Struktur jener Zeit, um uns wirklich ein Bild davon zu machen. Die Relation zwischen Lin-Yi und Champa ist noch vollkommen unklar. Politisch scheinen die Staaten zumindest sehr eng miteinander verwoben zu sein.
Ich bin nun kein Historiker, sondern Archäologe. Ich bin deswegen offen für Kritik an diesem Text. Hinweise werden auch gerne gesehen. Es handelt sich hier um einen ersten Entwurf für ein Kapitel eines Buches über Funan/Oc Eo. Literaturangaben fehlen hier wegen der besseren Lesbarkeit.
[caption id="attachment_824" align="aligncenter" width="300"] Nui Ba The, Oc Eo.[/caption]
Nachdem ich nun einige Zeit nichts geschrieben habe, folgt diesmal wieder ein kleiner Essay von mir zum Thema Cham und Funan. Ich bin ja meinem eigentlichen Interesse, der Eisenzeit und da speziell der Sa Huynh-Kultur ein wenig untreu geworden. In letzter Zeit beschäftige ich mich sehr mit Funan, was vielleicht daran liegt, dass ich in Can Tho und Bac Lieu wohne und damit in einer Region, die Funan zugeschrieben wird.
Heute diskutiere ich hier die Beziehung zwischen Cham und Funan. Beides sind frühe Staaten auf dem Gebiet der heutigen Staaten Vietnam, Kambodscha und Laos. Beide sind aus frühen chinesischen Annalen bekannt und haben kulturell ähnliche Entwicklungen. Allerdings ist die Sache doch ein wenig komplizierter. Denn von einem bzw. von den Cham-Staaten können wir vor dem siebten Jahrhundert gar nicht reden. Die früheste Erwähnung eines „campanagara“ erfolgt in einer Inschrift Mitte des siebten Jahrhunderts. Auch die chinesischen Annalen sprechen nicht von „Chiem Thanh“ (sinovietnamesisch, chinesisch wäre Zhan Cheng), sondern von „Lam Ap“ (Lin-Yi). Ich muss hier voraus schicken, dass ich Lin-Yi und Früh-Champa nicht gleich setze. Meines Erachtens gibt es keinen stringenten Beleg dafür, Lin-Yi in Thua Thien-Hue oder Quang Nam zu lokalisieren. Diese Theorie basiert lediglich auf der Annahme kultureller Komplexität: Quang Nam bzw. Thua Thien-Hue ergaben archäologisch sehr reiche Befunde, wie die bedeutenden Grabungen in Tra Kieu, Distrikt Duy Xuyen. Mangels Beweisbarkeit korreliert man hier: Reiche Befunde, die auf einen Zentralort hindeuten müssen eine höhere politische Entität anzeigen, die nur Lin-Yi sein können. Fakt ist aber, dass die chinesischen Annalen lediglich davon sprechen, dass „Lin-Yi südlich von Rinan“ liege. Damit kommt alles südlich des Kap Ngang in Frage. Theoretisch könnte Lin-Yi zwischen Quang Tri im Norden bis Quang Nam/Quang Ngai im Süden lokalisiert werden. Ob die Bevölkerung von Lin-Yi Cham waren? Wer weiß. Wenn man nicht mal weiß, wo dieser Staat gelegen hat, ist es müßig zu diskutieren, wie dessen Bevölkerung wohl gestaltet war. Ganz zu schweigen davon, dass ohne linguistische Daten kaum eine ethnische Zuweisung möglich ist. Wenn man allerdings annimmt, dass die Sa Huynh-Kultur eine von austronesischen Bevölkerungen getragene Kultur ist, so dürfte ein Gros der vietnamesischen Küste eben von Austronesisch sprechenden Völkern besetzt gewesen sein. Lin-Yi, oder gar Xitu, irgendwo zu verorten stellt sich mir ähnlich gefährlich dar, wie die Interpretationsansätze von Coedés in seinen besten Jahren. Hier wird historische Archäologie mit dem Buch daneben betrieben und auf Teufel komm raus Text und Befund in eine Form gepresst. Es wird passend gemacht.
Funan wird von den chinesischen Annalen 3000 Li südlich von Rinan und 1500 Li südwestlich von Lin-Yi verortet. Nimmt man für ein Li 400-500 Meter an, so käme man auf 1500 km bzw. 750 km. Lin-Yi wäre dann tatsächlich irgendwo in Mittelvietnam (so viel wussten wir allerdings schon vorher). Es besteht allerdings Konsens, dass Funan im südlichen Mekongbecken lokalisiert werden darf, mit Fundstellen wie Angkor Borei und Oc Eo. Funan scheint dabei früher eine politische Stabilität erhalten zu haben als Lin-Yi/Champa. Funan wie Lin-Yi waren frühe Handelszentren, über die die chinesischen Händler den Handel mit dem Nahen Osten und Indien abwickelten. Daraus lässt sich der Reichtum beider Staaten erklären. Nach neuesten Erkenntnissen stellt sich die Bevölkerung Funans bestenfalls als prä-Khmer dar, eventuell als Gemisch austronesischer oder austroasiatischer Elemente. Alle Indizien weisen aber auf das erstere hin.
Wie aber sahen die Beziehungen zwischen Lin-Yi/Champa und Funan aus? Chinesische Quellen berichten von wechselseitigen Koalitionen, genauso wie von Kriegen. Es war also eine parallele Existenz, die von einer wechselseitigen Geschichte geprägt war. Trotzdem beschleicht mich ein ungutes Gefühl bei der pauschalen Zuweisung Austronesisch/Lin-Yi/Cham und Austroasiatisch/Funan/Prä-Khmer. Bei der Beschäftigung mit den frühen Texten wird man das Gefühl nicht los, dass da mehr ist, als nur eine nachbarschaftliche Beziehung.
1. Der Titel „Fan“
Die chinesischen Quellen erwähnen sinisierte Namen der Könige von Lin-Yi wie auch von Funan. Dabei fällt auf, dass bis ins vierte/fünfte Jahrhundert eine Vielzahl der Namen mit der Silbe „Fan“ beginnen: Fan Huda, Fan Wen, Fan Chan. Neben Königen gibt es auch eine Vielzahl an hohen Beamten mit „Fan“. Die chinesischen Ethnographen haben dies als Teil des Namens angesehen, aber kann es nicht viel mehr eine Art Titel sein? Da sowohl Könige wie Nicht-Könige ein „Fan“ bekommen können, ist es wohl kein königlicher Titel. Michael Vickery hat sich dieses linguistischen Problems angenommen und konnte ihn glaubhaft mit „pon“, einem frühen Khmer-Titel identifizieren. Ohne Zweifel handelt es sich um einen rituellen Titel für einen Lokalherrscher. Wenn wir von Funan oder Lin-Yi als Königreich sprechen, ist dies ein Anachronismus. Claude Jaques hat bereits sehr früh darauf hingewiesen, dass es niemals ein geeintes Funan gegeben habe. Aber zurück zum „Fan“. Es handelt sich um einen Titel, der in vielen Prä-Khmer-Inschriften vorkommt. Die letzte Erwähnung des Titels findet 719 statt. Danach werden Titel wie kanmratan an und später devaraja/cakravartin populär (im Khmer-Gebiet), während der geläufige Cham-Titel dann „yan po ku“ ist. Aber bis zum fünften Jahrhundert sprechen chinesische Quellen eindeutig für Funan wie für Lin-Yi von „Fan“. Aber warum hat die herrschende Elite des „austronesisch“ geprägten Prä-Champa austroasiatische Titel getragen? Die chinesischen Ethnographen sind an sich sehr korrekt, diskutieren dieses Problem allerdings auch nicht.
2. Die Stele C.96 in My Son
Die merkwürdigen Beziehungen zwischen Funan und Champa werden noch tiefer, wenn wir uns My Son zuwenden, jener Tempelstadt in Zentralvietnam, die Lesern meines Blogs bekannt sein dürfte, da ich dort ein Jahr gelebt habe. Die Stele C.96 in My Son ist von besonderer Relevanz. Die Stele datiert 658 und wurde von König Prakasadharma errichtet. Erstens erwähnt sie zum ersten Mal das Wort „Campa“, d.h. es wird zum ersten Mal von einem Champa-Staat gesprochen (campanagara). Zum zweiten gibt sie eine Gründungslegende wider, die von dem Brahmanen Kaundinya und der Prinzessin Soma berichtet. Jener Brahmane kam von weit her, besiegte Soma, heiratete sie und begründete die herrschende Dynastie der Könige. Diese Gründungslegende ist uns wohlbekannt. Stele K.5 in Thap Muoi, Provinz Dong Thap, gibt sie wider. Thap Muoi liegt 750 Kilometer südwestlich von My Son inmitten des Mekongdeltas. Leider gibt es keine absolute Datierung der Stele; sie wird aufgrund epigraphischer Hinweise ins sechste Jahrhundert datiert. Die Gründungslegende ist aber noch in zwei weiteren Kontexten bekannt. Die chinesischen Annalisten geben sie im Liang Shu, der offiziellen Geschichte der Liang-Dynastie von 635, wider. Auch das kurze Zeit später erschienene Jin Shu (648) erwähnt sie. Die Gründung durch Kaundinya (Huntian) und Soma scheint eine sehr populäre und weit verbreitete Geschichte gewesen zu sein. Die Frage aber lautet, warum hat ein Cham-König sie in My Son, der heiligen Tempelstadt der Cham, in eine Inschrift einmeißeln lassen? Übrigens haben die Cham eine ähnliche Gründungslegende, die von Po Inu Nagar berichtet. Allerdings sind deren früheste Hinweise mindestens Mitte des achten Jahrhunderts zu datieren. Auch die Viet führen sich auf einen Drachenkönig und eine Prinzessin zurück (die 100-Eier-Geschichte, je nach Variante gebar die Prinzessin hundert Eier oder hundert Kinder, die Arme!!). Es ist wohl ein weit verbreiteter Topos in der südostasiatischen Mythologie.
3. König Bhadravarman
Dieser König dürfte vielen bekannt sein, wird er doch mit der Gründung My Sons in Zusammenhang gebracht. Er ist der früheste erwähnte König der Cham (Inschrift C. XX, 658). Er wird mit Fan Fo identifiziert, allerdings gibt es hier keine wirklich überzeugenden Belege für. Ob er My Son wirklich begründet hat, ist fraglich. Die Inschrift erwähnt lediglich, dass Sambhudravarman jenen Tempel, den Bhadravarman aus Holz errichtet habe, nach einem Feuer wieder hergestellt habe – diesmal aus Ziegeln bestehend. Bhadravarman soll den Holztempel der Gottheit Bhadresvara gewidmet haben. Bhadresvara ist eine spirituelle Transformation des Königs (Bhadravarman) mit der Gottheit Shiva (Isvara). Dies ist ein typisches Zeichen früher hinduistisch-shivaitischer Einflüsse in Südostasien und bis ins 13./14. Jahrhundert weit verbreitet. My Son als Tempelstadt wird dabei von verschiedenen geographischen Besonderheiten flankiert. Neben dem Thu Bon als Heiligen Fluss (Ganges) auch von dem Heiligen Berg, dem Mahaparvata, heute als Rang Meo bekannt.
[caption id="attachment_823" align="aligncenter" width="300"] Vat Phu, Laos. Quelle: Wkipedia commons[/caption]
Ähnliche Bezüge finden sich in Südlaos, in Vat Phou in der Provinz Champassak. Während wir auf die Etymologie des Provinznamens nicht so sehr achten sollten, da er wohl erst nach dem 15. Jahrhundert entstanden ist, sind Inschriften des siebten Jahrhunderts erheblich wertvoller. Die Inschrift von Vat Louang Kao (K.365) spricht von einem Heiligen Berg „Lingaparvata“. Linga ist ein weiteres Symbol des Shiva. Der Lingaparvata ist der heilige Berg, der mit Vat Phou assoziiert ist. Das Sui Shu schreibt darüber hinaus, dass der Tempel dort dem Gott Bhadresvara geweiht sei. Warum aber sollte ein in Südlaos liegender Tempel des sechsten/siebten Jahrhunderts einer Gottheit geweiht sein, die eigentlich in My Son, knapp 300 Kilometer entfernt, ihren Sitz hat? Vat Phou ist bis heute ein Gelehrtenstreit wert, denn hier mischt sich Khmer mit Cham-Stil. Bhadresvara aber wird nicht nur hier, sondern auch in der Angkor-Ebene erwähnt; allerdings erheblich später (z.B. Banteay Srei, 968). Wichtiger erscheint jedoch, dass Südlaos als Heimat der Herrscher Zhenlas gehandelt wird. Treffen hier also Cham- und Khmertraditionen aufeinander? Zumindest scheinen die Indizien darauf hinzudeuten. Möglicherweise ist aber auch unser Verständnis der frühen Religionen Champas und Kambujas einfach unvollständig.
4. König Rudravarman
Ist es nur Zufall, dass um 500 sowohl in Lin-Yi als auch in Funan ein König Rudravarman erwähnt wird? Ich postuliere keineswegs, dass beide Könige identisch sind, auch wenn der funanesische König Rudravarman um 550 verschwindet. Ihn als ersten König von Zhenla zu identifizieren, entbehrt jeglicher Textgrundlage. Rudravarman scheint irgendwie mit dem Königshaus von Zhenla in Verbindung gestanden zu haben, aber wie, ist nicht wirklich durchsichtig. Anscheinend haben aber sowohl Lin-Yi als auch Funan um 500 ähnliche Traditionen gefolgt, um ihre Könige mit den gleichen Namen zu betiteln. Möglich wäre natürlich auch die Identifikation beider als eine Person. Ausschließen kann man gar nichts, beweisen aber auch nicht. Rudravarman wird in der berühmten Inschrift C.96 als Juwel der Ksatriya-Familie bezeichnet. Auch hier liegen Ähnlichkeiten zu Funan-Inschriften vor.
5. Cat Tien
Die archäologische Fundstelle Cat Tien liegt inmitten des Cat Tien Nationalparks, nördlich von Ho-Chi-Minh-City in den Provinzen Lam Dong, Dong Nai und Binh Phuoc. Cat Tien ist eine mysteriöse Fundstelle und auch ich muss zugeben, damit wenig anfangen zu können. In Cat Tien treffen sich drei verschiedene kulturelle Traditionen: Cham, Funan und etwas Lokales. Pauschal gesagt, wir wissen über Cat Tien so gut wie gar nichts. Im besten Fall kann es als Mischkultur verstanden werden. Es liegt außerhalb Funans, außerhalb Champas. Da das Tay Nguyen aber archäologisch noch gar nicht vollständig verstanden ist, ist es auch müßig, hier Lösungen vorzuschlagen. Trotzdem ist es offensichtlich, dass Kontaktzonen zwischen beiden Kulturen existieren.
6. Suryavarman
Suryavarman schließlich ist kein König von Funan, sondern von Angkor. Er kam um 1010 an die Macht, also zu einer Zeit, als Funan schon 500 Jahre untergegangen war. Über ihn ist wenig bekannt. Er machte sich verdient um die Errichtung des Phimeanakas in Angkor Thom und Preah Vihears an der Grenze zum modernen Thailand. König Udayadityavarman starb um 1000 ohne einen Nachfolger. Im Kampf um den Thron behauptete sich Suryavarman. Seine Herkunft ist nicht bekannt, doch geben die Quellen zu verstehen, dass er wohl kein Khmer war. Er war malaiischer Herkunft, was wohl als Cham aufgefasst werden kann. Er war Buddhist, während das religiöse System Angkors auf dem Hinduismus basierte. Die von diesen Quellen berichteten Ereignisse decken sich mit einer Phase freundschaftlicher Beziehungen zwischen Champa und Angkor. Nun sagt Suryavarman überhaupt nichts über die Beziehungen zwischen Cham und Khmer aus, die 500 Jahre zuvor in Funan stattgefunden hatten. Aber er zeigt, dass es selbst im devaraja/cakravartin-System Angkors kein Problem darstellte, einen König aus einem Nicht-Khmer-Haus zu haben. Die Cham hatten anscheinend ebenfalls keine ideologischen Probleme damit.
Ich will hier überhaupt nicht postulieren, dass Cham und prä-Khmer identisch sind. Es gibt neben diesen wenigen Indizien für Übereinstimmungen auch sehr viele kulturelle Unterschiede. Archäologisch fallen mir die Nutzung von Münzen, von Goldfolien ein. Glasfunde sind in der mit Funan assoziierten Oc Eo-Kultur erheblich größer als in Champa. Die Religion Champas bestand aus dem shivaitisch geprägten Hinduismus, während Funan ein visnuitisch geprägter Hinduismus präferierte. Dennoch möchte ich mit diesem kurzen Essay anregen, die Beziehungen zwischen Champa und Funan als intensiver zu erachten, als dies in der Literatur bislang getan wurde. Beide politischen Zentren waren eine wichtige Station auf der maritimen Seidenstraße und als solche neben Konkurrenten auch Handelspartner zur gleichen Zeit. Wir wissen zu wenig über die politische Struktur jener Zeit, um uns wirklich ein Bild davon zu machen. Die Relation zwischen Lin-Yi und Champa ist noch vollkommen unklar. Politisch scheinen die Staaten zumindest sehr eng miteinander verwoben zu sein.
Ich bin nun kein Historiker, sondern Archäologe. Ich bin deswegen offen für Kritik an diesem Text. Hinweise werden auch gerne gesehen. Es handelt sich hier um einen ersten Entwurf für ein Kapitel eines Buches über Funan/Oc Eo. Literaturangaben fehlen hier wegen der besseren Lesbarkeit.
[caption id="attachment_824" align="aligncenter" width="300"] Nui Ba The, Oc Eo.[/caption]