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Miriam und Jörg Kachelmann haben über den Vergewaltigungsprozess gegen den Wettermoderator, der inzwischen rechtskräftig freigesprochen worden ist , ein Buch geschrieben. Und in diesem Buch üben sie grundsätzliche Kritik an dem deutschen (Straf-)Rechtssystem.
Der 44-jährige Wachmann Dirk B. wird wohl kein Buch über seinen Prozess schreiben, er wird voraussichtlich auch nicht in Talkshows auftreten, er wird froh sein, wenn er bald wieder in die Anonymität seines früheren Lebens zurückkehren kann, unbehelligt von unberechtigten Vorwürfen und Presseartikeln. Auch er war wegen Vergewaltigung angeklagt und ist seit gestern rechtskräftig freigesprochen.
Es gibt einige Parallelen zwischen den Verfahren Jörg Kachelmann und Dirk B., beide Männer wurden durch eine Frau der Vergewaltigung bezichtigt, beide sind inzwischen von diesem Vorwurf freigesprochen, beide verbrachten eine erhebliche Zeit in Untersuchungshaft – Dirk B. immerhin 239 Tage, für die er jetzt 5.975,00 Euro Entschädigung aus der Staatskasse erhält, ein ähnlich lächerlich niedriger Betrag wie derjenige, den Herr Kachelmann erhalten hat.
Es gibt aber auch Unterschiede zwischen den Prozessen: da wäre zunächst einmal, dass Jörg Kachelmann schon im ersten Prozess freigesprochen wurde, Dirk B. hingegen erst verurteilt wurde und dann den Weg über ein Verfahren vor dem zuständigen Oberlandesgericht (in diesem Fall Celle) und einen erneuten Prozess vor dem Landgericht Hannover gehen musste, bevor er gestern freigesprochen wurde. Aber es gibt auch den Unterschied, dass sich der äusserst erfahrene Vorsitzende Richter am LG Hannover Harald Zimbehl gestern nicht dazu verleiten liess, gegen Dirk B. bei Verkündung des Freispruchs nachzutreten, sondern ohne Wenn und Aber freisprach, nachdem zuvor auch die Staatsanwaltschaft – anders als diejenige in Mannheim – auf Freispruch plädiert hatte.
Was war geschehen? Im März 2010 erhob die 14-jährige Tochter von Freunden, deren Bruder das Patenkind des nun Freigesprochenen war, den Vorwurf, Dirk B. habe sie 2x vergewaltigt. In 2 Instanzen wurde er dafür zu 3,5 Jahren Haft verurteilt, erst das OLG Celle hob diese Entscheidung auf und verwies zur Neuverhandlung an das Landgericht Hannover.
Dort wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt über die Glaubwürdigkeit des angeblichen Opfers und über die Glaubhaftigkeit ihrer diesbezüglichen Aussage – und dort fand man heraus, dass die Aussagen der jungen Frau zwar detailreich und deswegen sehr überzeugend wirkten, aber in sich nicht stimmig seien. Und deswegen seien die Aussagen nicht glaubhaft und könnten nicht die Grundlage einer Verurteilung sein. Tatsächlich, dies klingt doch nach einer weiteren Parallele mit dem Fall Kachelmann.
Aber im Gegensatz zu dem Prozess in Mannheim erfolgten all diese Aufklärungen durch das Gericht ohne grossen Presserummel, ohne dem Aufbieten von Leumundzeugen – und in strikter Anwendung und klarer Übereinstimmung mit der Strafprozessordnung. Und Gleiches galt auch für das Urteil und für dessen mündliche Begründung: Richter Harald Zimbehl erklärte, dass der Zeugenaussage aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen nicht gefolgt werden könne und sprach deswegen ohne Wenn und Aber frei – und stellte dabei sogar ohne jeglichen Unterton fest, dass die Zeugin wahrscheinlich aufgrund ihrer Persönlichkeitsbildung nicht als Falschbeschuldigerin eingestuft werden könnte.
Natürlich ändert dies Alles nichts an dem Martyrium, welches Dirk B. durchlaufen hat. Aber es zeigt, dass das Strafrechtssystem durchaus in der Lage ist, angebliche Beziehungstaten angemessen zu behandeln – auch wenn es für die Beteiligten häufig lange, manchmal viel zu lange dauert. Aber es ist also unter Umständen nicht allein das System an sich, welches fehlerhaft ist, sondern es liegt meist an den handelnden Personen innerhalb des Systems.
Erörtert wurde im Rahmen dieses Prozesses übrigens auch die Quote der offensichtlichen Falschbeschuldigungen, aber leider konnte man auch dort nur wieder auf die Studie des Landeskriminalamtes Bayern aus dem Jahre 2005 zurückgreifen, die bei Sexualdelikten eine solche von 7,4% ermittelt hatte. Die grosse Grauzone, also der Bereich, in dem sich nicht abschliessend klären liess, ob man es nun mit einer Falschbeschuldigung zu tun hat oder nicht, blieb weiterhin unbeleuchtet – und gibt so auch zukünftig jedem, der diese Grauzone für seine Polemik instrumentalisieren will, breiten Raum zur Diskussion.
Der den Freispruch ebenfalls fordernde Oberstaatsanwalt Thomas Klinge wies – ebenfalls jeden falschen Zungenschlag wohltuend vermeidend – auf die Schwierigkeit dieser Verfahren hin, nämlich die Situation, dass oft als Beweismittel nur die Aussagen der angeblich Beteiligten blieben und dass gerade bei psychisch kranken Anzeigenden ein Motiv für eine Falschaussage nicht oder nur schwer zu erkennen sei. Dies mache gerade solche Verfahren noch verwirrender und die falsche Verdächtigung für den davon Betroffenen noch schrecklicher.
Dirk B. wurde freigesprochen, bei ihm hat das System letztendlich funktioniert, auch wenn es sehr, sehr lange gedauert hat und für ihn letztendlich unerträgliche Folgen hatte. Für ihn bleibt eine traumatische Zeit zurück, die nicht wieder gut gemacht werden kann. Er ist ein Opfer, aber immerhin er ist letztendlich durch gute und erfahrene Staatsanwälte und Richter als ein solches Opfer wahrgenommen und gewürdigt worden. Dies ist dann vielleicht der grösste Unterschied zwischen dem Verfahrensausgang Dirk B. und dem Verfahrensausgang Jörg Kachelmann. Es bleibt zu hoffen, dass deswegen Dirk B. mit seinem Freispruch besser leben kann als Jörg Kachelmann mit dem seinen.
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