Ich habe letzte Woche einem Gespräch zwischen zwei Typen im Bus gelauscht. Die waren wohl Kollegen. Hörte sich jedenfalls so an. Es ging um Bartwuchs. Das heißt, um den Wuchs, der gestutzt werden soll. »Der Chef hat dem Tom letztens zu verstehen gegeben, dass er einen Dreitagebart nicht an ihm sehen will«, sagte der eine zum anderen. Aber der andere nickte nur. »Rasieren Se sich, soll er gesagt haben.« »Er ist der Boss«, antwortete der andere knapp. Ich traute meinen Ohren nicht. Die Kerle sitzen mit diesem Tom wahrscheinlich in einem Boot - und die stehen auf der Seite des Kerls, der ihnen nicht nur einen Lohn bezahlt, sondern gleich noch deren Styling an sich reißt. »Ist ja letztlich sein Unternehmen.« »Stimmt schon. Und ich meine, man muss ja auch gepflegt auftreten.« »Steht dem Tom eh nicht. Gut, dass es ihm mal einer gesagt hat.« »Und wenn es der Chef ist, dann will das was heißen.« Ich musste aussteigen und überließ diese zwei emanzipierten Charaktere ihrer selbst. Schade eigentlich, sicher wäre es noch aufschlussreicher geworden.
Dieser Dialog ließ mich aber nicht mehr los. Ich dachte mir: Komisch ist das schon, denn er geschah zu einer Zeit, da es einen Bundespräsidenten gibt, die wie keiner zuvor die Freiheit preist. Und in Sonntagsreden betonen Politiker dieses System der freiheitlich-demokratischen Grundordnung regelmäßig. Werktags rasieren sich aber die Leute gegen ihren Willen oder stellen sich auf die Seite derer, die Rasuren verordnen.
So ist es in vielen kleinen Dingen des Alltags. Was »ökonomisch vernünftig« ist, das ist freiheitlich. Und was freiheitlich wäre, muss erstmal mit der ökonomischen Verträglichkeit abgeglichen werden. Ein Recht auf freie Berufswahl gibt es wohl - aber wieviel von dieser Freiheit ist übrig, wenn Schulabgänger nicht die Stelle finden, die sie gerne hätten und wenn die Arbeitsagentur junge Leute in einen Job drängt, den sie gar nicht machen wollen. Ähnlich geht es Erwerbslosen. Und wie sehr sich Freiheit an ökonomischen Kennzahlen zu orientieren hat, ist nirgends besser als bei Hartz IV zu beobachten. Die Reden um den Bart sind sozusagen die Sublimierung dieser Einstellung, die man in dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung hören kann.
Das ist ja schon bizarr. Da schicken die Herolde der Freiheit ihre Soldaten in jenen Teil der Welt, den sie als unfrei bezeichnen, damit diese die Bahnen für die Freiheit freischießen - und hierzulande muss man im Bus zuhören, wie die Freiheit an den Bartstoppeln eines Angestellten hängenbleibt, wie Soldaten beim Ausfall im Stacheldrahtverhau. Ich frage mich, wofür das alles? Da marschiert das Militär im Freiheitsdienst und die eigenen Freiheiten des Alltags werden zu etwas, was sich jemand ohne finanzielle Mittel nicht mehr leisten kann. Hätte der Kollege der beiden Typen genug Geld, müsste er ja nicht einen Scheißjob ausfüllen, bei dem ihm ein Boss flüstert, er habe sich gefälligst zu rasieren. Wegen der Freiheit war das Militär nie im Auslandseinsatz. Ist mir schon klar. Aber nicht mal dieses Narrativ färbte auf die inneren Prozesse der Freiheit ab.
Die Befreiung von den Taliban hat nicht für Freiheit sensibilisiert, sondern vielleicht eher das Gegenteil bewirkt. Wenn wir jetzt so tun, als habe die Welt endlich eine Freiheit zu erfahren, die wir schon lange besitzen, dann hört sich das so an, wie dass bei uns das Höchstmaß an Freiheit erreicht ist. Genau das ist ja auch das Thema des amtierenden Bundespräsidenten. Man sagte immer, sein Thema sei die »Freiheit in Verantwortung«. Aber genau das stimmt so nicht. Sein Thema ist, den Leuten klarzumachen, dass sie am Ende aller Freiheitsbekundungen angelangt sind, weil man dieses Höchstmaß an Freiheit, das man jetzt hat, erstmal in Verantwortung zu verwalten hat. Mehr geht nicht, sonst bricht das System zusammen. Deshalb, lieber Lohnabhängiger, rasiere dich, wenn es dein Boss so will.
Die Waren von Gillette stabilisieren das freiheitliche System und garantieren dir weiterhin Wohlstand und Freiheit. Denn sonst bleiben die Kunden aus, weil sie sich ekeln und die Auftragsbücher bleiben leer. Wenn sich plötzlich zu viele nicht mehr rasieren, dann bekommt die Freiheit einen langen Bart. Daher dem Kunden die Serviceleistung eines glatten Gesichts garantieren, damit die Kunden auch weiterhin ihr Geld auf die Sparkasse bringen. Denn nur glatten Bankergesichtern ist zu trauen. Glatte Versicherungstypen meinen es gut mit dir. Und waren diese unfreien Gesellen, diese unterdrückerischen Taliban nicht auch alle bärtig? Waren sie Freunde der Unfreiheit, weil sie Bart trugen? Oder trugen sie Bart, weil das der unfreie Geist so mit sich bringt? Sind Stoppeln die kratzige Ankündigung antikapitalistischen Geistes?
Es gehört wohl zum Paradox unserer Zeit, Menschen lauschen zu dürfen, die wahrhaftig glauben, sie lebten als autonome Menschen im besten und freiesten aller Systeme, die aber dann der Einschränkung persönlichster Angelegenheiten mit Einsicht begegnen. Sei es beim Thema Rasur oder eben bei den Eingriffen in die Privatheit des eigenen Internetzugangs. Da schwebt man zwischen Verständnis und Verdrängung. Weniger paradox ist es wohl, dass genau zu diesem Zeitpunkt einer von Freiheit predigt, die in dessen Reden aber immer schön undefinierbar bleibt. Genauso undefinierbar ist die Freiheit in einem System, das rein aus »ökonomischer Vernunft« heraus Vorschriften als Normalität duldet, die Dinge regeln, die nicht geregelt gehören.
Wir belächeln heute die Konventionen unserer Urgroßeltern. Dieses Spießige und Anstandswauwauige, das Hochgeknöpfte und »Heimlich-in-der-grünen-Wiese-Geficke«, das Kaiserfixierte und Obrigkeitsstaatliche. Wer sagt denn, dass man nicht auch über uns spötteln wird? Über diese Konvention von »Hauptsache Arbeit« bis hin zum »Zieh dich arbeitgeberfreundlich an«. Jede Zeit ist auf ihre Weise zwanghaft. Jede Kultur schafft es anders, ein Übermaß an Freiheit einzudämmen und dieses Korsett als die Verfeinerung der Freiheit hinzustellen. Die Wiener Kongress unterdrückte die Demokratie, um die Freiheit zu garantieren. Und auch die Mauer sollte Freiheit sichern. Und uns sagt man, wir sollen homo laboris und homo oeconomicus mischen, damit wir frei sein können.
Und wenn ihr einen Job in der Geisterbahn ergattert oder in einem Motto-Restaurant, dass sich »Räuberhöhle«, dann heißt es flexibel sein, wenn der Boss sagt: »Rasieren Sie sich ja nicht mehr.« Man sieht also, die Freiheit des Bartwuchses ist sicher - wenn man vorher den richtigen Job ergriffen hat. Wenn ich diese beiden Typen wiedersehe, sage ich ihnen einfach, sie sollen Tom davon erzählen.
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Dieser Dialog ließ mich aber nicht mehr los. Ich dachte mir: Komisch ist das schon, denn er geschah zu einer Zeit, da es einen Bundespräsidenten gibt, die wie keiner zuvor die Freiheit preist. Und in Sonntagsreden betonen Politiker dieses System der freiheitlich-demokratischen Grundordnung regelmäßig. Werktags rasieren sich aber die Leute gegen ihren Willen oder stellen sich auf die Seite derer, die Rasuren verordnen.
So ist es in vielen kleinen Dingen des Alltags. Was »ökonomisch vernünftig« ist, das ist freiheitlich. Und was freiheitlich wäre, muss erstmal mit der ökonomischen Verträglichkeit abgeglichen werden. Ein Recht auf freie Berufswahl gibt es wohl - aber wieviel von dieser Freiheit ist übrig, wenn Schulabgänger nicht die Stelle finden, die sie gerne hätten und wenn die Arbeitsagentur junge Leute in einen Job drängt, den sie gar nicht machen wollen. Ähnlich geht es Erwerbslosen. Und wie sehr sich Freiheit an ökonomischen Kennzahlen zu orientieren hat, ist nirgends besser als bei Hartz IV zu beobachten. Die Reden um den Bart sind sozusagen die Sublimierung dieser Einstellung, die man in dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung hören kann.
Das ist ja schon bizarr. Da schicken die Herolde der Freiheit ihre Soldaten in jenen Teil der Welt, den sie als unfrei bezeichnen, damit diese die Bahnen für die Freiheit freischießen - und hierzulande muss man im Bus zuhören, wie die Freiheit an den Bartstoppeln eines Angestellten hängenbleibt, wie Soldaten beim Ausfall im Stacheldrahtverhau. Ich frage mich, wofür das alles? Da marschiert das Militär im Freiheitsdienst und die eigenen Freiheiten des Alltags werden zu etwas, was sich jemand ohne finanzielle Mittel nicht mehr leisten kann. Hätte der Kollege der beiden Typen genug Geld, müsste er ja nicht einen Scheißjob ausfüllen, bei dem ihm ein Boss flüstert, er habe sich gefälligst zu rasieren. Wegen der Freiheit war das Militär nie im Auslandseinsatz. Ist mir schon klar. Aber nicht mal dieses Narrativ färbte auf die inneren Prozesse der Freiheit ab.
Die Befreiung von den Taliban hat nicht für Freiheit sensibilisiert, sondern vielleicht eher das Gegenteil bewirkt. Wenn wir jetzt so tun, als habe die Welt endlich eine Freiheit zu erfahren, die wir schon lange besitzen, dann hört sich das so an, wie dass bei uns das Höchstmaß an Freiheit erreicht ist. Genau das ist ja auch das Thema des amtierenden Bundespräsidenten. Man sagte immer, sein Thema sei die »Freiheit in Verantwortung«. Aber genau das stimmt so nicht. Sein Thema ist, den Leuten klarzumachen, dass sie am Ende aller Freiheitsbekundungen angelangt sind, weil man dieses Höchstmaß an Freiheit, das man jetzt hat, erstmal in Verantwortung zu verwalten hat. Mehr geht nicht, sonst bricht das System zusammen. Deshalb, lieber Lohnabhängiger, rasiere dich, wenn es dein Boss so will.
Die Waren von Gillette stabilisieren das freiheitliche System und garantieren dir weiterhin Wohlstand und Freiheit. Denn sonst bleiben die Kunden aus, weil sie sich ekeln und die Auftragsbücher bleiben leer. Wenn sich plötzlich zu viele nicht mehr rasieren, dann bekommt die Freiheit einen langen Bart. Daher dem Kunden die Serviceleistung eines glatten Gesichts garantieren, damit die Kunden auch weiterhin ihr Geld auf die Sparkasse bringen. Denn nur glatten Bankergesichtern ist zu trauen. Glatte Versicherungstypen meinen es gut mit dir. Und waren diese unfreien Gesellen, diese unterdrückerischen Taliban nicht auch alle bärtig? Waren sie Freunde der Unfreiheit, weil sie Bart trugen? Oder trugen sie Bart, weil das der unfreie Geist so mit sich bringt? Sind Stoppeln die kratzige Ankündigung antikapitalistischen Geistes?
Es gehört wohl zum Paradox unserer Zeit, Menschen lauschen zu dürfen, die wahrhaftig glauben, sie lebten als autonome Menschen im besten und freiesten aller Systeme, die aber dann der Einschränkung persönlichster Angelegenheiten mit Einsicht begegnen. Sei es beim Thema Rasur oder eben bei den Eingriffen in die Privatheit des eigenen Internetzugangs. Da schwebt man zwischen Verständnis und Verdrängung. Weniger paradox ist es wohl, dass genau zu diesem Zeitpunkt einer von Freiheit predigt, die in dessen Reden aber immer schön undefinierbar bleibt. Genauso undefinierbar ist die Freiheit in einem System, das rein aus »ökonomischer Vernunft« heraus Vorschriften als Normalität duldet, die Dinge regeln, die nicht geregelt gehören.
Wir belächeln heute die Konventionen unserer Urgroßeltern. Dieses Spießige und Anstandswauwauige, das Hochgeknöpfte und »Heimlich-in-der-grünen-Wiese-Geficke«, das Kaiserfixierte und Obrigkeitsstaatliche. Wer sagt denn, dass man nicht auch über uns spötteln wird? Über diese Konvention von »Hauptsache Arbeit« bis hin zum »Zieh dich arbeitgeberfreundlich an«. Jede Zeit ist auf ihre Weise zwanghaft. Jede Kultur schafft es anders, ein Übermaß an Freiheit einzudämmen und dieses Korsett als die Verfeinerung der Freiheit hinzustellen. Die Wiener Kongress unterdrückte die Demokratie, um die Freiheit zu garantieren. Und auch die Mauer sollte Freiheit sichern. Und uns sagt man, wir sollen homo laboris und homo oeconomicus mischen, damit wir frei sein können.
Und wenn ihr einen Job in der Geisterbahn ergattert oder in einem Motto-Restaurant, dass sich »Räuberhöhle«, dann heißt es flexibel sein, wenn der Boss sagt: »Rasieren Sie sich ja nicht mehr.« Man sieht also, die Freiheit des Bartwuchses ist sicher - wenn man vorher den richtigen Job ergriffen hat. Wenn ich diese beiden Typen wiedersehe, sage ich ihnen einfach, sie sollen Tom davon erzählen.
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