Die freie Wirtschaft greift zunehmend auf Freelancer zurück. Kein Wunder: Angesichts der Komplexität der Digitalisierung sind externe Spezialisten mehr denn je als Berater gefragt. Doch reichen deine bisherigen Fähigkeiten für Beratungen aus?
Fachwissen allein genügt nicht
Stelle dir vor, du bist als Freelancer auf der Suche nach Tipps, um neue Kunden zu gewinnen. Vielleicht hat dich genau dieses Bedürfnis zu Freelance Start geführt. Nur können dir ein paar Tipps allein keine komplette Marketing-Strategie an die Hand geben. Und genau darum geht es: Heutzutage braucht es für den Unternehmenserfolg eine umfassende Strategie, welche die komplexe Kundenreise online wie offline berücksichtigt.
Vor dem Internet in seiner jetzigen fortgeschrittenen Form waren Endverbraucher bloße Empfänger von Unternehmensbotschaften. So haben sie beispielsweise Prospekte gelesen und je nach Angeboten Kaufentscheidungen getroffen. Das ist natürlich nur eine ganz grobe Skizzierung der einstigen Kundenreise. Allerdings war das Informationsangebot und damit die Auswahl vor der Digitalisierung sehr viel kleiner als heute.
Die Kundenreise wird komplexer
Mittlerweile geht der Kunde selbst ins Netz, googelt, vergleicht verschiedene Produkte und Dienstleistungen von zahlreichen Anbietern. Er besucht die entsprechenden Websites, schaut sich zum Beispiel Videoclips und die Fanpage des Unternehmens bei Facebook an. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Um im Netz positiv aufzufallen, muss der Kunde an mehreren Kontaktpunkten abgeholt werden. Im Fachjargon nennt sich das Touchpoint Management der Customer Journey. Nur, dass du es mal gehört hast.
Um bei dem Beispiel deiner Suche nach einer Marketing-Strategie zu bleiben: Du merkst im Laufe deiner Recherche womöglich, dass du eigentlich einen ganzen Online-Kurs und nicht nur ein paar Tipps zu dem Thema bräuchtest. Deine erste Anlaufstelle hierfür wird höchstwahrscheinlich wieder Google sein. Du scannst die Suchergebnisse und klickst auf einen Link. Nun landest du auf der Website des Anbieters, welche dir sehr gepflegt und übersichtlicht erscheint. Dort erhältst du weitere Informationen zum Online-Kurs. Klasse!
Da der Preis für den Kurs jedoch recht hoch ist, beschließt du, dich weiterhin bei Facebook über den Anbieter zu informieren. Und findest – nichts. Oder, beinahe noch schlimmer, eine Fanpage, auf die zum letzten Mal etwas vor Jahren passiert ist. Die Folge: Dein Vertrauen in den Kursanbieter schwindet und du suchst dir wahrscheinlich eine Alternative.
Koche nicht nur dein eigenes Süppchen
Was hat das nun alles mit unserem Thema Freelancer als Berater zu tun? Jede Menge. Denn Unternehmen müssen die komplexe Kundenreise berücksichtigen, wenn sie wirtschaftlich erfolgreich sein wollen. Deshalb funktioniert es auch nicht, Freelancer zu engagieren, die anschließend nur ihr eigenes Süppchen kochen.
Dazu ein Beispiel aus meiner Vergangenheit: Vor zwei Jahren wollte ein Unternehmen mich für den Aufbau seines Corporate Blogs engagieren. Auf meine Frage, wann ich mit anderen Abteilungen wie PR und Marketing sprechen könnte, blickte ich in fragende Gesichter. Das seien Bereiche, um die ich mich nicht zu kümmern bräuchte. Ein freundlich ausgedrücktes „Das geht Sie nichts an“ also. Nun ja.
Ich versuchte trotzdem, meinen Standpunkt deutlich zu machen. Nämlich, dass ein Unternehmensblog nur ein Bestandteil einer zusammenhängenden Kommunikationsstrategie ist. Aber ich stieß auf taube Ohren. Und entschied mich nach einigen abgelehnten Beratungsanläufen dafür, den Auftrag nicht anzunehmen.
Stehe dem Kunden zur Seite
Als Freelancer hast du eine Verantwortung gegenüber dem Kunden. Natürlich hätte ich den oben beschriebenen Auftrag annehmen können. Es ging schließlich um eine langfristige, lukrative Zusammenarbeit. Dann jedoch hätte ich ins Blaue hinein einen Blog aufgesetzt, der bestenfalls irgendwie für den Kunden funktioniert hätte. Das volle Potenzial eines Blogs wäre bei derart planlosem Vorgehen selbstverständlich auf der Strecke geblieben.
Im schlimmsten Fall jedoch wären die Blogbeiträge mit anderen PR- oder Marketingmaßnahmen kollidiert. Stelle dir zum Beispiel vor, du liest die Pressemitteilung eines Unternehmens und im hauseigenen Blog steht das genaue Gegenteil. Nicht gerade seriös, geschweige denn vertrauenerweckend.
Für mich ist sowas ein absolutes No-Go. Hätte ich dem Auftrag damals angenommen, wäre das kurzfristig zwar lohnend für mein Konto gewesen. Doch will der Kunde natürlich Ergebnisse sehen. Und er fragt dich, den Freelancer, wo die Ergebnisse sind bzw. warum sie ausbleiben. Mit anderen Worten: Denke mit. Und nicht nur an die Kohle, wenn es um einen Auftrag geht. Sieh in puncto Strategie wirklich genau hin. Versuche, dem Kunden nach bestem Wissen und Gewissen bei seinem Problem zu helfen. Und lasse ihn weiterziehen, wenn du, aus welchen Gründen auch immer, nicht helfen kannst.
Beratungskompetenzen: Das brauchst du
Mein Rat an dich: Eigne dir so früh wie möglich die Fähigkeiten eines Beraters an. Dazu gehören:
1. Fachwissen
Ich hatte es bereits angedeutet: Ein guter Berater ist Experte auf seinem Gebiet, bildet sich kontinuierlich weiter und behält die Trends seiner Branche im Blick. Ein sehr guter Berater blickt darüber hinaus über den eigenen Tellerrand, informiert sich also auch über andere Bereiche wie Management, Kundenbindung, Markenbildung o. ä. Auf diese Weise vermeidest du, zum „Fachidioten“ zu werden. Verschiedene Lernbereiche befruchten sich gegenseitig, auch wenn sie auf den ersten Blick nichts oder nur wenig miteinander zu tun haben.
2. Soziale Umgangsformen
Womöglich sind für dich kultivierte Umgangsformen wie ein gepflegtes Erscheinungsbild, Pünktlichkeit und Höflichkeit gegenüber dem Kunden selbstverständlich. Gut so! Denn längst nicht alle Freelancer bzw. Berater haben diese Eigenschaften tatsächlich. Du kannst auf deinem Fachgebiet noch so gut sein. Wenn du unzuverlässig, vorlaut oder schmuddelig unterwegs bist, verbaust du dir jede Menge Chancen.
3. Integrität
Als Berater erhältst du umfassende Einblicke in höchst sensible Bereiche eines Unternehmens – ein großer Vertrauensbeweis. Mal abgesehen davon, dass du in aller Regel ohnehin eine Verschwiegenheitserklärung bzw. einen Vertrag mit entsprechenden Klauseln unterschreibst, solltest du stets wertschätzend mit diesem Vertrauensbeweis umgehen. Heißt: Behalte Interna für dich. Auch wenn eine Zusammenarbeit mal nicht gut lief, ist das kein Grund, dich bei Dritten über einen Kunden auszulassen.
Zur Integrität gehört auch, dass du dich an Absprachen hältst und nicht gegen deinen Kunden arbeitest. Nehmen wir an, dass zwei Friseure mit identischen Angeboten und in unmittelbarer Nachbarschaft deine Beratung wünschen. Wäre es fair, beide zur gleichen Zeit zu beraten? Wohl eher nicht.
Zeige stets, dass du vertrauenswürdig bist. Der Investment-Berater Gerald Hörhan verwendet den Begriff „Handschlagqualität“, der mir sehr gut gefällt. In einer Vorlesung sagte er:
Unterschätzt wird auch die Ehrlichkeit gegenüber dem Kunden. Besitzt man keine Handschlagqualität, wird das erste Geschäft mit einem Kunden das letzte gewesen sein.
Ein weiterer wichtiger Faktor für Intergrität ist die Übernahme von Verantwortung: Sei dir als Berater bewusst, dass du einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Zukunft eines Unternehmens hast. Berate also nach bestem Wissen und Gewissen. Und übernimm Verantwortung für eventulle Fehler, die du machst.
4. Erfahrung
Das hören insbesondere die ganz jungen Freelancer nicht so gerne. Wichtig ist jedoch, dass Erfahrung mit dem Alter verknüpft sein kann, es aber nicht zwangsläufig sein muss. Ein Angehöriger der Generation Y versteht vermutlich mehr von deren Wünschen als ein 55-jähriger Marketer. Junior Consultants haben also durchaus ihre Stärken.
Erfahrung zeigt sich nicht unbedingt an der Zahl deiner Berufsjahre, sondern anhand dessen, ob und wie intensiv du dich in der Praxis mit deinem Fachgebiet beschäftigt hast. Ein schönes Beispiel ist das Bloggen: Du kannst 1.000 Bücher zu diesem Thema lesen. Das Bloggen lernen wirst du erst, wenn du loslegst. Das gilt für alle Bereiche als Freelancer: Komme ins Tun. Das verspricht die höchste Lernkurve.
5. Respekt
Bringe dem Kunden zu jeder Zeit und Gelegenheit Respekt entgegen. Auch dann, wenn du nicht denselben Respekt zurückbekommst. Dann verhältst wenigstens du dich professionell. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass du Geringschätzungen oder andere Entgleisungen einfach hinnehmen solltest. Verliere jedoch nicht selbst die Facon, da dich dies als Berater unprofessionell wirken lässt.
Was tun bei Beratungsresistenz?
Da die Digitalisierung so rasend schnell voranschreitet, kommen viele Menschen nicht mehr hinterher. Jeden Monat scheint ein neues Gadget angesagt zu sein, und was gestern noch der scheinbar richtige Social-Media-Kanal war, ist heute schon wieder out. Die damit einhergehende Überforderung ist völlig verständlich. Wenn es dir als Freelancer gelingt, gemeinsam mit dem Kunden den Blick auf das Wesentliche zu lenken, hilfst du als Berater in diesem Chaos unheimlich weiter. Damit kannst du viel Druck aus der Sache herausnehmen und zugleich das herausarbeiten, was funktioniert.
Was aber, wenn der Kunde gar keine Beratung will? Wenn du als Freelancer einfach nur “Befehlsempfänger” bist und Anweisungen erteilt bekommst? Das ist eine heikle Situation, nach der du im Einzelfall abwägen musst. Prüfe, ob es sich womöglich um einen Kunden des Todes handelt. Mein Kollege Marc Ostermann hat in seinem Artikel sehr hilfreiche Anzeichen zusammengefasst und weist Lösungswege auf.
Mein Tipp: Höre auf dein Bauchgefühl. Es kann in Ordnung sein, wenn du als Freelancer Teil einer funktionierenden Kampagne bist. Dann weiß der Kunde, was er tut und braucht nicht unbedingt Beratung. Anders sieht die Sache aus, wenn du das Schiff auf den Eisberg zusteuern siehst. Und der Kapitän nicht einmal daran denkt, auf seine Berater auf der Kommandobrücke zu hören. Dann würde ich dir raten, das Schiff zu verlassen, bevor es sinkt.
Du kannst als Berater noch so versiert sein – wenn dein Rat nicht erwünscht ist, nützt das alles nichts. Im Gegenteil, bei Fehlschlägen wirst du womöglich zum Sündenbock erklärt. Ganz nach dem Motto: Wenn es gut läuft, war natürlich der Chef dafür verantwortlich. Wenn es schlecht läuft, der Freelancer.
Werde zum Star in deiner Nische
Weißt du, was passiert, wenn deine Beratungen fruchten? Der Kunde wird sehr zufrieden sein. So zufrieden, dass er dich am liebsten nicht mehr ziehen lassen möchte. Und/oder dich weiterempfiehlt. Daher lohnt es sich, wenn du dir neben deinem eigenen Fachwissen auch Fähigkeiten zur umfassenden Beratung aneignest. So fühlt der Kunde sich bei dir aufgehoben. Und du als Freelancer kannst dich über spannende Herausforderungen freuen.