"Free #Amina Abdallah" - The Great Blog'n'Roll-Swindle

Facebookprofilfoto inclusive Kitschparole.

#Amina - A Gay Girl In Damascus - eine junge syrische Bloggerin, die oppositionell & attraktiv ist, lesbisch & scharfzüngig, die Poesie & Protest zu vereinigen, zu verschmelzen versteht - natürlich ist diese Merkmalskombination medienwirksam und daher ist es nicht unerwartet, dass die junge Frau zum Star der Blogosphäre (und der traditionellen Presse) aufstieg. 
Eine moderne Märchenfigur, welche der 2.0-Version der Märchen aus 1001 Nacht entstiegen zu sein scheint - nennen wir sie doch im folgenden Share-azade, weil auch sie zum Schutze ihres Lebens im Angesicht eines Despoten schrieb - Parallelen finden sich zuhauf. Ihre Stimme, vertausendfacht in den sozialen Netzwerken, wurde zu einer Quelle, sie wurde Kommentatorin und Zeugin in Personalunion und Zehntausende ihre faszinierten Zuschauer.
Den Bloggern mag man diesen quellenprüfungsfreien Ausrutscher noch verzeihen, nicht jeder genoss eine Ausbildung zum Journalisten, musste sich somit nicht mit journalistischen Kern- und Grundtugenden wie Quellenskepsis und -sicherheit herumärgern. Aber gerade weil im grauen  Medienmarkt der bloggenden Verstärkern ein großes Geraune zu vernehmen und die soziale Resonanz unübersehbar war, sprang die Meldung über. Sie überwand die mediale Aufmerksamheitshürde und wurde Agenturmeldung und somit zur virale Ware mit Gütesiegel und somit auch zum offenkundigen Desaster der etablierten Medien.
MacMaster, der Erfinder am Reissbrett, der Schöpfer dieser Sehnsuchtsfigur ist a) ein Mann, b) laut meines Wissens heterosexuell, c) amerikanischer Staatsbürger & d) gegenwärtig nicht durch polizeistaatliche Repressionen gefährdet. Soweit die Fakten.
Es sei die Frage erlaubt, wie es also passieren kann, dass er eine global wirksame, mediale Figur erschafft, deren biografischen  Eckdaten bei genauerer Betrachtung (oder Prüfung) nicht mehr preis geben als die für die Erzählstruktur eines Krimis (oder auch eines Märchens) notwendigen, minimalen Plausibilitätskriterien.
MacMasters Motivation und Antrieb muss in den nächsten Tage noch geklärt werden, festhalten kann man schon jetzt, dass er sich - möglicherweise unintendiert - recht roher Schablonen des Orientalismus bedient hat um seine glutäugige Heldin zu erschaffen. Aber - dies sollte nicht unerwähnt bleiben - seine Netzwerkromanfigur hat auch offengelegt wie verbreitet diese stereotypen Vorstellungen über die arabische Welt auch (oder vielleicht gerade) im netzaffinen Westen sind.
Es musste eine binationale, lesbische Schönheit sein, welche die notwendigen Reformen einfordert, das koloniale Muster der notwendigen externen Intelligenz als Avantgarde des Wandels ist nur spärlich verhüllt. Und wäre seine Kampagne von solchem Erfolg gekrönt, wenn seine Protagonistin nicht attraktiv wäre - wahrscheinlich nein, in der hollywood'sken Welt von MacMaster werden Revolutionen scheinbar nur von castbaren Widerständlerinnen angeführt. 
Und auch der hochwirksame Verstärker der offen gelebten Homosexualität in einem homophoben Land darf nicht unterschätzt werden -  was bleibt: Die Nutzung hochwertige Triggerreize für die westlichen Adressaten. Die drei Kategorien - (attraktive) Weiblichkeit, westliche Bildung & Homosexualität genügten um einen medial wirksamen Wirbel zu erzeugen, der eine grundlegende Quellenskepsis suspendierte.
#Amina teilte aus dezidiert queer/feministischer Sicht aus, kritisierte mit scharfer Zunge und geschmeidiger, fein sezilierter Sprache den obrigkeitshörigen Staat und die strukturelle, paternale Gewalt, forderte Frauenrechte, offene Sexualität, eine freie Presse und andere demokratischen Rechte ein und überzuckerte zu guter Letzt diese Forderungen noch mit lieblichen lyrischen Einsprengseln - eine fleischgewordene Utopie.
Natürlich ist eine solche Person denkbar im Rahmen der syrischen Zivilgesellschaft, auch wenn Verneiner der regionalen Entwicklungen gerne in das gegenteilige Horn stossen, aber in diesem Falle war #Amina keine autonome, glaubwürdige Stimme einer mit brutaler Gewalt konfrontierten Bevölkerung, sondern das klebrige Phantasma eines Fremden.  
Seine (über die hochfrequentierte Facebookgruppe lancierte) Meldung, das Amina am hellichten Tage von Kräften der Sicherheitsdiensten verschlept wurde und jede Spur von ihr fehlt, entbehrt nicht einer gewissen Glaubwürdigkeit, die syrisch-iranische Kooperation gegenüber dem digitalen Widerstand kennt solche Praktiken sicherlich.
Dennoch darf (trotz der Möglicheit, dass dieses Szenario exakt so stattfinden könnte) diese Erzählung über den Widerstand eines Einzelnen, nicht aus der fiktionalen, Konjunktivsphäre in die Nachrichtenwelt übergehen - folgt man dem Ansatz einer kritischen Öffentlichkeit und eines qualitativen Journalismus.
Berücksichtigt man jetzt noch die erregungspornografischen Elemente der Inszenierung der (fiktiven) verängstigten Eltern, zeichnet sich der abstossende Beigeschmack dieser westlichen Identitätsspielerei sehr deutlich auf unseren Geschmacksknospen ab.
#Anima ist eine Heldengeschichte, schmierig und grobreizorientiert, geprägt von kulturellen Vereinfachungen und verfasst aus der sicheren Distanz, dort wo keine Sicherheitsdienste Blogger während des Einkaufes verschwinden lassen, um sie in Knästen Verhören zu unterziehen, deren Brutalität wir uns nicht auszumalen imstande sind, aber 15.000 Follower können sich doch eigentlich nicht irren, oder?  
Meine Kritik an MacMasters Vorgehen ist folgende: Seine intellektuelle Spielerei, seine Fingerübung zur Erschaffung eines staatlich gefährdeten Subjekts ist schlüssig, eine offen homosexuell lebende Frau, die religiöse und staatliche Autoritäten angreift lebt in Syrien gefährlich. Aber dieser Allgemeinplatz ist auch ohne fundierte Regionalstudien schnell zu umreissen.
Weshalb muss also jemand, der in sicherer Distanz zu den Ordnungskräften lebt, eine solche Figur erschaffen, wenn tatsächliche Aktivisten existieren, die Tag für Tag ihre körperliche Unversehrtheit aufs Spiel setzen, um aus Syrien heraus, mit den Mitteln des digitalen Widerstands, gesellschaftliche Veränderungen anzustossen? Und weshalb muss dieser Reissbrettentwurf solch plumpen Reizschemata folgen?
Abgesehen von diesen Kritikpunkten glaube ich, dass sich MacMaster der Folgeschäden seiner Tat absolut nicht bewusst ist, denn neben dem autoritären syrischen Staatsapparat, der jetzt jede bloggestützte Anklage seiner Herrschaftspraktiken als westlich forciertes Gemurmel zurückweisen kann, wird sich im Falle der tatsächlichen staatlichen Entführung eines homosexuellen Aktivisten der verärgerte Follower sich zuerst an das Phantom #Amina erinnern und dem Aufruf möglicherweise zuerst einmal misstrauen (und im schlimmsten Falle ignorieren) - insbesondere, wenn der/die Inhaftierte eine mangelnde Attraktivität ausstrahlt.
Möglicherweise müssen wir alle das (eigentlich vermeidbare) Husarenstück dieses Scheibtischtäters als Subtext verinnerlichen, wenn wir uns wieder an Dinge begeistern, die zu passgenau sind um wahr zu sein oder uns in Gefilden bewegen, in denen eine gesunde Quellenskepsis angebracht wäre.
Ohne die Recherchedefizite & die informelle Kooperation von sozialen Netzwerken & Presseagenturen wäre die unappetitliche Fiktion #Amina vielleicht niemals so überlebensgroß geworden - Share-Azade, eben - märchenhaft. Zu den restlichen realen Aktivisten in "Fabelhaft" kann vermerkt werden: Und wenn sie nicht gestorben sind, foltert man sie vielleicht noch heute - näheres kann bei AI erfragt werden.

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