Frauenrechte in der jesidischen Community

Lesehinweis
PZ: Junge männliche Yeziden belästigen  – wie kürzlich berichtet – im Schwimmbad Mädchen, während ihre eigenen Schwestern oder Frauen oft nicht mal alleine auf die Straße gehen dürfen. In welchem Dilemma befinden sich irakische Yezidinnen, die nach Pforzheim kommen?
Geoghegan: An der deutschen Schule lernen sie, dass sie auch als Mädchen einen Wert haben. Dass sie gleichberechtigt sind und ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Sie sehen, dass ihre Mitschülerinnen meist viel freier leben als sie. Sie sehen junge Frauen frei auf den Straßen spazieren und selbstbestimmt ins Schwimm- bad gehen oder ins Kino. Sie wiederum sind ab der Pubertät von ständiger Kontrolle umgeben, damit sie „sauber“ bleiben bis zur Ehe und sich bloß nicht in einen Nichtyeziden – oder in den falschen Yeziden – verlieben. Erst durch die Erfahrung der Freiheit der anderen wird ihnen ihre eigene Unfreiheit bewusst und dadurch zum Problem. Das kann zu seelischen Krankheiten und sogar zu Selbstmordgedanken führen.
PZ: Wie müssen die sexuellen Aktivitäten der jungen Männer auf Frauen wirken, die für ähnliche Handlungen im Irak umgebracht würden?
Geoghegan: Die meisten jungen Frauen haben zwar die Tatsache akzeptiert, dass in der yezidisch-kurdischen Kultur mit zweierlei Maß gemessen wird. Über die jungen yezidischen Männer, die mit Nichtyezidinnen „ein bisschen Spaß haben“, wie die es nennen, wird in „der Gesellschaft“ nicht gelästert. Wie mir ein yezidischer Interviewpartner erklärte: „Mann darf, weil er ist Mann.“ Trotzdem regen sich immer mehr junge Yezidinnen hier in Deutschland darüber auf, dass sie als „Schlampe“ und „eine Schande für die Familie“ beschimpft werden, wenn sie mit einem nichtyezidischen Jungen bloß gesehen werden, während die Jungs sich ungestraft mit Andersgläubigen sexuell vergnügen dürfen. Eine junge Yezidin brachte ihre Frustration wie folgt zum Ausdruck: „Wenn wir Andersgläubige lieben, dann sind wir eine Schande. Aber wenn die Jungs mit Andersgläubigen Sex haben, dann sind sie wahre Männer! Es gibt aber auch junge Frauen, die die Jungs in Schutz nehmen, und den andersgläubigen Schlampen die Schuld geben, die ihre Brüder verführen.“
PZ: Den Familienclan zu stärken, etwa durch eine arrangierte Ehe, ist wichtiger als das Glück und die Unversehrtheit des Einzelnen. Wie erklärt sich diese archaische Haltung?
Geoghegan: Das Individuum ist eine Erfindung der Moderne. In traditionellen Gesellschaften hat das Wohl und die Ehre des Familienkollektivs absoluten Vorrang vor dem Wohl, der Würde und der Unversehrtheit des Einzelnen. Yezidische Kinder werden von klein auf zu lebenslanger Dankbarkeit und Gehorsam gegenüber den Eltern – vor allem dem Vater – erzogen. Und dazu, die eigenen Wünsche den Wünschen der Familie unterzuordnen.
[...]
PZ: Was sollte ein künftiges Integrationskonzept berücksichtigen?
Geoghegan: Die ungeheure Eigenmacht der yezidischen Gesellschaft sowie die Tatsache, dass die irakischen Yeziden nicht freiwillig auf ihre Traditionen verzichten werden. Sie haben sich jahrhundertelang gegen die Islamisierung gewehrt. Die dafür entwickelten Strategien setzen sie hier ein, um sich gegen die soziale und wertmäßige Integration zu wehren. Mit der Folge, dass auch die Bildungs- und Berufsintegration erheblich erschwert und die Integration im Sozialsystem gefestigt werden. Ein erfolgreiches Integrationskonzept setzt eine entschlossene, souveräne und konsequente Haltung seitens der Aufnahmegesellschaft voraus.
PZ: Woran machen Sie das fest?
Geoghegan: Ich habe mir einen Satz aus dem besagten Urteil des Oberlandesgericht Hamm eingeprägt, weil er sich für mich als Leitsatz für den Umgang mit den Yeziden eignet – sowie mit allen anderen Migrantengruppen, die auf ihr Recht pochen, an integrationshinderlichen Traditionen festzuhalten. Er lautet: „Das Grundgesetz enthält zwar das Gebot der Toleranz und der Offenheit für andere Kulturkreise und darf somit nicht dazu führen, dass fremde, andersartige Gebräuche leichthin eingeschränkt werden. Dies gilt jedoch nur, solange diese Bräuche nicht im eklatanten Widerspruch zu der allgemeinen Werteordnung stehen.“ Die Werte, um die es da geht, sind die Menschenwürde, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie die Freiheit der Eheschließung.
http://www.pz-news.de/pforzheim_artikel,-PZ-Interview-mit-der-Soziologin-Miriam-Geoghegan-ueber-die-Rolle-der-Yezidinnen-und-die-Freizuegigkeit-_arid,341504.html

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