Frankfurt: “Der Tanz um das Goldene Flughafenkalb” – Teil 4: Die Wahrheit über “Deutschlands größte Arbeitsstätte”

Die Wahrheit über „Deutschlands größte Arbeitsstätte“ und ein Verwaltungsgerichtshof im Dienst der herrschenden Kräfte.

Dass der Frankfurter Flughafen ein großartiger Jobmotor sei, ist längst zu einer hegemonialen Glaubenstatsache geworden. Entsprechend formuliert FAZ-Redakteur Thomas Holl am 9.11.2013: „Mit mehr als 78.000 Beschäftigten ist der Flughafen Frankfurt nicht nur die größte Arbeitsstätte in Hessen, sondern auch in ganz Deutschland.“ Bei aller Religiosität, ist diese Behauptung sachlich richtig?

Goldenes_Kalb

Glaubenssache? Das Frankfurter “Goldene Kalb” – Motiv © BI Sachsenhausen

Der Frankfurter Flughafen ist keine Arbeitsstätte, da es um, am, im, auf dem Flughafen sehr viele unterschiedliche Unternehmen (Arbeitgeber) aus verschiedenen Branchen gibt. Zutreffender ist die Bezeichnung „Industriegebiet“ oder „Gewerbegebiet“. Abgesehen davon: Das Finanzgericht Münster entschied in einem aktuellen Urteil vom 2. Juli 2013 (Link: Aktenzeichen – 11 K 4527/11 E), dass der Heimatflughafen von Flugbegleitern keine regelmäßige Arbeitsstätte ist, auch wenn dieser mit einer gewissen Nachhaltigkeit immer wieder aufgesucht wird, um z. B. arbeitsvertragliche Pflichten zu erledigen.
Grund: Laut aktueller Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist eine regelmäßige Arbeitsstätte nur dann gegeben, wenn der Ort der Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit ist. Und dieser Ort liegt bei Flugbegleitern und Piloten nicht am Heimatflughafen, sondern in der Luft.
Busfahrer, die in Deutschland hin- und herfahren, tun dies auch nicht an der Arbeitsstätte „Busbahnhof-Hauptbahnhof Frankfurt“. 78.000 Beschäftigte minus ca. 28.000 Flugbegleiter und Piloten = 50.000 Beschäftigte. (Diese Zahlen, wie auch die folgenden Zahlen, konnten aufgrund fehlender Verifizierungsmöglichkeiten teilweise nur geschätzt werden.)
Ein Bahnhofsviertel des Grauens! Niemand mag sich das Bahnhofsviertel ohne Polizisten vorstellen. Fraport rechnet Polizei, Post, Zoll usw. ein. 50.000 minus ca. 3.500 = 46.500.
Fraport wühlt jenseits des eigenen Betriebszauns nach direkt Beschäftigten, solange die nicht zum Konzern gehörenden Firmen nur irgendwie in Sichtweite des Flughafens liegen. Flughafenaffin seien sowieso alle.
Mit dem Quartier „Gateway Gardens“ vereinnahmt Fraport einen ganzen Frankfurter Stadtteil für sich und mit „The Squaire“ fast einen ganzen Frankfurter Stadtteil. 46.500 minus ca.11.5000 = 35.000.
Der Frankfurter Hauptbahnhof hat täglich etwa 350.000 Reisende (Pendler). Das Bankenviertel mit ca. 100.000 Beschäftigten wird sich nicht zufällig in direkter Nähe des Hauptbahnhofs befinden. Was spräche also dagegen, sämtliche Banker in Mitarbeiter der Arbeitsstätte „Frankfurt Hauptbahnhof“ umzudefinieren? Der Zusammenhang zwischen dem größten Kopfbahnhofs Europas und der Tatsache, dass das Viertel mit der weltweit größten Hoteldichte direkt am Hauptbahnhof liegt, scheint genauso evident. Was spräche also dagegen, sämtliche Hotelmanager und ihre Bediensteten in Mitarbeiter der Arbeitsstätte „Frankfurt Hauptbahnhof“ umzunudeln?

Was ist mit den sonstigen kommerziellen Aktivitäten der sonstigen Wirtschaftszweige auf dem Flughafen? Die Angestellten, die in der B-Ebene des Frankfurter Hauptbahnhofs für ihre jeweiligen Arbeitgeber Würste, Bücher und Gürtel verkaufen, sind auch nicht direkt Beschäftigte der Arbeitsstätte „Frankfurt Hauptbahnhof“. Was ist mit Fraport-Mitarbeitern auf dem Flughafen, die z. B. Immobilien vermieten? Folgt man der funktionalen Betrachtung des Statistischen Bundesamts, dürfen sie niemals als flughafenaffin dazugezählt werden. 35.000 minus ca. 15.000 = 20.000. Spätestens wenn S-Bahn-Fahrer, die an der S-Bahn-Station Flughafen halten, als direkt Beschäftigte des Frankfurter Flughafens gelten, sollten Gläubige wieder zu Atheisten werden.

82% der neuen Arbeitsplätze sind verlagert

E-Mail-Anfrage an den Städtebauer und Flughafenplaner, Albert Speer, dessen Büro gemeinsam mit Fraport einen Masterplan für die „Airport City Frankfurt“ entwickelt hat: „Die Fraport AG wirbt mit ‚Deutschlands größter Arbeitsstätte‘, schließt in ihre Rechnung aber auch diejenigen Beschäftigten ein, die in der Airport City z.B. im Einzelhandel tätig sind. Was denken Sie, wie viele Beschäftigte werden effektiv benötigt, um einen reibungslosen Flugbetrieb am Frankfurter Flughafen zu gewährleisten?“ Die Anfrage blieb unbeantwortet. Im Verhältnis zur Größe des Fraport-Betriebsgeländes von rund 2240 Hektar sind es sehr, sehr wenige.
Anfrage des ARD-Politikmagazins „Report Mainz“ vom 14.02.12: „Wie viele Arbeitsplätze haben Firmen mit ihrer Ansiedlung am Flughafen geschaffen?“
Fraport: „6450 Arbeitsplätze.“ Auf Nachfrage von „Report Mainz“ erklärten die betreffenden Firmen, dass mehr als 5300 (82%) Arbeitsplätze nur von bestehenden Firmenstandorten im Rhein-Main-Gebiet in neue Gewerbegebiete am Flughafen verlagert worden seien.
In der Literatur heißt es über Fraport: „So sieht die Mehrzahl der neuen Arbeitsplätze offenbar aus: Minijobs, Teilzeit- oder Schichtarbeit mit harter körperlicher Arbeit zu derart geringen Löhnen, dass viele einen zweiten Job brauchen, um mit ihren Familien leben zu können. Im Flughafenumland gibt es dafür keine Bewerber. Zu solchen Bedingungen arbeiten Menschen, die in ihrer Heimat keine Arbeit finden.“
Anfrage an den Magistrat der Stadt Frankfurt: „Liegt es nach Auffassung des Magistrats im Interesse der Stadt Frankfurt, wenn ein Unternehmen (Fraport) zwar neue Stellen schafft, diese jedoch kostenneutral finanziert, wobei die Kosten pro Mitarbeiter entsprechend reduziert werden?“ Bericht des Magistrats an die Stadtverordnetenversammlung vom 18.03.2013. „Für die einzelnen Mitarbeiter ergeben sich unterschiedliche Kostenansätze, die zu Kostensenkungen führen, sobald durch normale Fluktuation Mitarbeiter der Fraport AG ausgeschieden und diese Stellen verstärkt mit Kollegen der Fraport Tochtergesellschaft Airport Service Personal GmbH ersetzt wurden.“ Lufthansa lagerte schon vor Jahren Teile ihrer Belegschaft aus und erteilte an Fraport den Auftrag, für sie Bodenpersonal zu rekrutieren. Diese Fraport-Mitarbeiter verdienen heute ca. ein Drittel der ursprünglichen Lufthansalöhne. Motto: Aus einem Arbeitsplatz mach zwei oder drei!

Aktenzeichen: 9 C 574/12.T

Kassel, 1.10.2013. „Der 9. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat heute über eine weitere Klage gegen die vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung festgesetzten An- und Abflugverfahren zum und vom Flughafen Frankfurt Main entschieden und die gegen die Endanflüge auf die Südbahn (25L) und die Nordwest-Landebahn (25R) gerichtete Klage der Stadt Offenbach abgewiesen. Auch mit seinem heutigen Urteil bestätigt der Verwaltungsgerichtshof nochmals seine bisherige Rechtsprechung, der zufolge die An- und Abflugverfahren der sicheren und flüssigen Abwicklung des Flugverkehrs dienen, dessen Kapazität durch das in einem gesonderten Verfahren zuvor planfestgestellte Vorhaben zum Bau bzw. zum Ausbau eines Flughafens bestimmt wird. Weiter führt der Gerichtshof zur Begründung seines Urteils im Wesentlichen aus, dass bei der Berücksichtigung der Lärmbelange der Stadt Offenbach durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung kein Abwägungs- oder Ermittlungsmangel festzustellen sei. Der Umstand, dass in dem vorangegangenen Planfeststellungsverfahren über den Ausbau des Flughafens Frankfurt Main keine konkreten Flugverfahren überprüft worden seien, führe für das Verfahren über die Festsetzung des Endanflugs zu keinem gesteigerten Abwägungsanspruch der Stadt Offenbach. (…) Für die Stadt Offenbach sei auch berücksichtigt worden, dass die Lärmbelastungen die Schwelle der Unzumutbarkeit in weiten Teilen des Stadtgebiets überschreiten. Die Festsetzung der Endanflugverfahren infolge der Inbetriebnahme der Nordwest-Landebahn sei aber sachlich deshalb besonders gerechtfertigt, weil sie der sicheren Durchführung unabhängiger Parallelanflüge auf verschiedene Landebahnen dienten und die dabei einzuhaltenden Präzisionsanflugverfahren und die daraus folgenden Vorgaben zu Sicherheitsabständen beachteten (…).“

„Die freie ökonomische Entfaltung Fraports führt zum wirtschaftlichen Wohl aller (Frankfurter Untertanendogma), der Bürger muss bei Fluglärm aber mehr eingebunden werden (Frankfurter Untertanensprech).“

Epilog

Deutschlands größte Arbeitsstätte ist zugleich auch Deutschlands größte Illusionsstätte. Sie glitzert durch das Umdefinieren, Eingemeinden und Absaugen von Arbeitsplätzen. Warum sollte ein Flughafenbetreiber als bloßer Verwalter bzw. Organisator von Mobilität auch die Arbeitsstätte schlechthin sein? Sind die eigentlichen Arbeitsstätten nicht eher dort zu erwarten, wo Menschen und Güter herkommen bzw. hinbefördert werden? Und wenn ein hohes Passagier- und Frachtaufkommen – im Gegensatz zu dem oben Festgestellten – tatsächlich ein Gradmesser für mehr Arbeitsplätze sein sollte, ist zu bedenken, dass das Autobahnkreuz Frankfurt bei ca. 330.000 Fahrzeugbewegungen pro Tag deutlich mehr Passagiere/Autofahrer und Tonnen Fracht befördert als der Frankfurter Flughafen. Die über das Frankfurter Kreuz transportierte Fracht hat nicht nur aufgrund ihres viel höheren Volumens eine hohe regionale Relevanz. Dagegen: Mehr als 90% der umgeschlagenen Luftfracht am Frankfurter Umlade-Hub kommt nicht aus der Region und wird auch nicht in die Region ausgeliefert.

Ein Flughafen ist nur Verkehrsinfrastruktur. Normalerweise verbindet man die einzelnen Verkehrsträger und -wege so, dass sie den Bedarf der Menschen optimal decken und lässt nicht zu, dass ein Ego-Shooter-Flughafen über jeden angemessenen Bedarf hinaus die Menschen einer ganzen Region terrorisiert.
Nach Stefan Schulte, dem Vorstandsvorsitzenden der Fraport AG, ist „mit dem Planfeststellungsbeschluss klar verabschiedet worden, dass ein Bedarf für zukünftiges Wachstum im Luftverkehr hier in der Region bejaht wird.“ Salopp und ungezwungen könnte man auch sagen: Der Clanfeststellungsbeschluss sagt „Ja“ zu dem Bedürfnis der Luftverkehrsunternehmen, in der Rhein-Main-Region noch viel mehr rumzufliegen als bisher.

WirSindVieleFRAdemo93

“Wir sind viele und wir ziehen an einem Strang!” – Foto: © – 93. Montagsdemo 17.03.2014 – Frankfurter Flughafen -  BI FloersheimHochheim

Dass sich die Zukunftsentwicklung einer gesamten Region den betriebswirtschaftlichen Zielen eines lobbystarken Großkonzerns unterwerfen muss, ist Kolonialismus. Nur eine jahrzehntelange Propaganda kann aus einem innerstädtischen Umsteige- und Umladeflughafen, der die Bewohner der Region verachtet, einen Ast machen, auf dem die Bewohner dieser Region sitzen. In diesem Zusammenhang sind auch die zahllos von Fraport in Auftrag gegebenen Gutachten zu sehen. Zuletzt ermittelte das nach eigener Aussage „unabhängige, unvoreingenommene und redliche“ Schweizer Forschungsunternehmen Infras die Sicherung von rund 116.000 Stellen in der Region durch den Frankfurter Flughafen. Die Infras-Medienmitteilung vom 11.03.14, die am nächsten Tag in der FAZ, der Frankfurter Neuen Presse und der Offenbach Post lanciert wurde, verfasste Fraport allerdings selbst.

Es ist zu prüfen, ob der Frankfurter Flughafen angesichts immer besser werdenden Alternativen nicht in gewisser Weise und in gewissen Grenzen überflüssig ist.

Da sagte der Herr zu Mose: „Auf, geh hinunter; denn dein Volk, das du aus Ägypten herausgeführt hast, begeht eine große Sünde. Sie sind sehr eilig von dem Wege abgewichen, den ich ihnen befohlen habe. Sie haben sich ein Stierbild gemacht und es angebetet, sie haben ihm geopfert und ausgerufen: Dies ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland herausgeführt hat.“

von Claus Folger

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Hier finden Sie alle 4 Teile der Artikelreihe:

Frankfurt: “Der Tanz um das Goldene Flughafenkalb”
- Teil 1 von 4 Mit Vorwort
- Teil 2 Propaganda und Lügen
- Teil 3 Jetzt spricht der Mittelstand
– Teil 4 Die Wahrheit über “Deutschlands größte Arbeitsstätte”

 

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Quellen – weiterführende Links

Das Motiv “Goldenes Kalb” © BI Sachsenhausen
Foto: © – 93. Montagsdemo 17.03.2014 – Frankfurter Flughafen -  BI FloersheimHochheim


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