Fordismus im Spital: Das Geld liegt auf der Strasse?
IHS-Studie: Sparpotenzial von zwei Milliarden bei Spitälern,
titelte der Standard: http://derstandard.at/1334796297731/IHS-Studie-Sparpotenzial-von-zwei-Milliarden-bei-Spitaelern
Da haben wir es wieder, tun wir besser Spezialisieren,
tun wir besser Kooperieren,
heben wir die Potentiale und schon geht’s.
Interessant: Diese Studie wurde
von der Vinzenz-Gruppe (http://www.vinzenzgruppe.at/) bezahlt!
Dabei handelt es sich um den größten privaten Krankenhausträger Österreichs:
Krankenhäuser der Barmherzigen Schwestern Wien, Linz und Ried,
Orthopädische Spital Speising, Wien
St. Josef Krankenhaus, Wien
Göttlicher Heiland, Wien
Herz-Jesu, Wien
2.200 Betten und 5.000 Mitarbeiter!
Im Vergleich dazu der Anteil der
Akutversorgung des Wiener Krankenanstaltenverbundes
(Zahlen aus den letzten Geschäftsbericht 2010)
(Betten/Mitarbeiter)
AKH 2134 /6811
KES 251/708
RUD 805/2508
Hietzung/Rosenhügel 1134 /3326
Gersthof 114/254
Baumgartner Höhe/OWS 1126/2500
Floridsdorf 202/570
Donauspital 978/3395
Sophienspital 94/246
KFJ/Preyer 777 / 2413
Psych Ybbs 145/326
Wilhelminenspital 1075/3271
Das ergibt über 8800 Betten mit über 26300 Beschäftigten.
Dass der KAV darüber hinaus eine große Anzahl an Geriatriezentren und insgesamt 33.000 Mitarbeiter beschäftigt, sei hier einmal weggelassen.
Wenn sich nun die Frage auftut, weshalb die „Heiligen“ der Vinzengruppe als kleiner Player das knappe Geld ins IHS (Institut für Höhere Studien) tragen, um sich eine Studie zu bestellen, dann wird die Antwort bald klar, wenn man die Kurzfassung der Studie überfliegt http://www.vinzenzgruppe.at/media/pressearchiv_doc/12Studie_Kurzfassung_FIN_0425.pdf
Laut der Studie können auch kleine Spitäler wirtschaftlich effizient arbeiten, wenn Kooperationsmodelle umgesetzt werden. Dies sei dann auch eine Alternative zur Schließung von Standorten, betonte der Geschäftsführer der Vinzengruppe Heinisch.
Aha, haben wir nicht bisher gehört, dass man kleine Standorte schließen müsse, weil die nicht ökonomisch arbeiten? Wird deshalb nicht dzt. in Wien das Kaiserin Elisabeth Spital, das Sophienspital und Gersthof verlagert?http://www.wien.gv.at/gesundheit-soziales/spitalskonzept.html
IHS-Text: "Sowohl bildgebende Verfahren, Labordiagnostik, Pathologie, Sterilisation als auch Küche, Einkauf und Verwaltung lassen sich für mehrere Spitäler gemeinsam erledigen, sodass mögliche Kostennachteile von kleineren Spitälern ausgeglichen werden."
Supi, das ist die Begleitmusik zur Planung des Krankenhaus Nord im Wiener KAV. Was heißt das konkret:
Es reist der Patient, seine Proben und sein OP Besteck durch den Stau!
Es gab z.B. einmal einen Planungsstand, an dem diskutiert wurde, im KH Nord völlig auf die Pathologie zu verzichten und Proben, sowie Leichen (für letztere ist der Transport weniger zeitkritisch) ins Donauspital zu schicken. Wenn wir den Wiener Verkehrsstau berücksichtigen, schaut das für die intraoperative Diagnostik (Chirurg entnimmt im OP eine Probe und wartet auf den pathologischen Befund, um zu entscheiden, wie radikal er operieren muss) ganz mau aus.
Für die Zentralsterilisationen, die im KAV ja umgesetzt werden, heißt das zusätzliche Endoskope, OP-Bestecke, …etc. weil sich die „Turn- Around-Zeiten“ durch die Transporte zu einem anderen Standort verlängern, so dass man zusätzliches Gerät benötigt, um einen Patienten nach dem anderen untersuchen oder operieren zu können.
Für die bildgebenden Verfahren (Röntgen, CT, MR, Nuklearmedizin) heißt das, dass entweder der Arzt den Patienten, dessen Bilder er befunden soll, gar nicht mehr zu Gesicht bekommt (Tele-Radiologie, so wie das an vielen Standorten während der Nachtstunden bereits üblich ist) oder der Patient für sein Röntgen einen Hin- und Rücktransport benötigt. Auch letzteres existiert bereits, wo man an den neuen Geriatriezentren auf die (natürlich teure) Installation lokaler Röntgenanlagen verzichtet.
Der größte Wahnsinn, der sich seit einigen Jahren durch die Gehirne der Gesundheitsökonomen zieht, ist der Einsparungseffekt durch Schwerpunktbildung.
In der IHS Studie fällt darauf auch der größte Anteil (795 Mio Euro) dieses Wunschkonzertes.
Es klingt ja auch so logisch und nach der Win-Win-Situation, die alle spieltheoretisch Geschulten suchen. Es ist auch die Erfolgsstory des Fordismus (http://de.wikipedia.org/wiki/Fordismus) der industriellen Warenproduktion am Fließband:
Zerbrechen eines Prozesses auf kleine, sich wiederholende Teile,
die von nur auf diesen „Handgriff“ spezialisierten Personen („Spezialisten“) hoch repetitiv abgearbeitet werden, Fließband eben.
Die „Qualitätsberater“ feiern diese Entwicklung noch mit dem Hinweis auf die hohe Qualität mit der dieser einzelne Handgriff (z.B. Mammografiebefund, Blinddarmoperation) geliefert wird, da ja bekanntlich „Erfahrung den Meister macht“.
Gegen diese zwei Erfolgsversprechungen, ist scheinbar schwer zu argumentieren, denn es entspricht der Erfahrung aus der Fertigungsindustrie, dass „Tin Lizzy“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Ford_Modell_T) ja wirklich billiger und so für den Normalverbraucher erschwinglich wurde.
und kaum jemand möchte bezweifeln, dass ein Operateur, der seine erste OP durchführt i.d.Regel mehr Komplikationen hat, als wenn er den Eingriff schon ein Dutzend mal durchgeführt hat. Man kennt das auch als „Lernkurve“.
ABER
Erstens ist die Medizin keine Fertigungsindustrie und zweitens flacht die Lernkurve einmal ab und kann (bei zunehmendem Desinteresse oder Überlastung auch wieder fallen). Auch kann Überspezialisierung betriebsblind machen, was nur am Fließband nicht aber in einem komplexen Prozessablauf unerhebblich ist.
Warum ist die Medizin keine Fertigungsindustrie?
In der Warenproduktion spielt der Diagnosegang keine Rolle,
bzw. ist an die (meist von der Gemeinschaft und nicht vom individuellen Industrieunternehmen bezahlten) Forschung ausgelagert.
Ehe die ganzen Fließbandleistungen, für die man in der Medizin bezahlt wird losgehen, ist in den meisten Fällen die ganz banale Frage abzuklären, was hinter seinem „Herr Doktor, mir geht’s nicht gut“ eigentlich steckt.
Natürlich gibt’s da Leitlinien und Algorithmen, was die aber alle nicht vermögen, ist eine möglichst fehlerfreie Übersetzung der geäußerten Beschwerden. Wie schon ganz früh auf diesem Blog angeführt, müssen „Herzschmerzen“ nicht immer die Ursache in dem „supradiaphragmalen Muskel“liegen (http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=31564), so dass die Leitlinie: Abklärung der Angina pectoris rasch mehr kosten als bringen kann.
Für die Fertigungsindustrie ist klar, dass ein Auto produziert werden soll, und das ging am Fließband mit Spezialisten einfacher.
In der Medizin verlangt gerade die Abklärung des eigentlichen Zieles (Leistungsanforderung) den Generalisten und nicht den Spezialisten.
Da diese ärztliche Tätigkeit (ärztliches Gespräch, Nachdenken, Hinterfragen) kaum finanziell abgegolten wird, können wir immer mit Studien belästigt werden, die erst hinter diesem Prozessschritt anfangen von Einsparungen herumzufaseln.
Also warum hat die Vinzenzgruppe dem IHS Geld für eine Studie bezahlt?
Damit sie „was in der Hand haben“, um ihre Existenzberechtigung „als kleine Häuser“ beweisen zu können, und um den schon laufenden „Privatisierungsprozess“ des öffentlichen Gesundheitssystems zu untermauern:
http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=53877
http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=53958
http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=54026
Dazu passen auch Bestrebungen von der Stadt Wien,
das St. Joseph Spital (Vinzengruppe) zu der Gebärklinik Wiens,
man nennt das dort Eltern-Kind-Zentrum, Wiens aufzuwerten
http://www.sjk-wien.at/media/pdf_stjosef/Medieninformation_Geburtenrekord_2012_01_12.pdf
Aber trotz Geburtenrekord wird es dort erst ab 2016 (!) eine neonatologische Überwachung geben, denn das ist wieder teuer und bis dahin ist es billiger, wenn kritische Neugeborenen rasch mal ans AKH, ins Wilhelminenspital, an die Rudolfstiftung oder ins Donauspital gebracht werden, denn die öffentliche Hand leistet sich so was natürlich.
Somit ist es entweder pure Unwissenheit oder blanker Zynismus, wenn man von Einsparungen durch Spezialisierung spricht und dabei noch von einer Zunahme der Prozessqualität faselt ...
Und natürlich freut sich die Wirtschaftskammer, wenn sie hört, dass man die Lohnnebenkosten dämpfen kann: http://portal.wko.at/wk/format_detail.wk?angid=1&stid=673517&dstid=0&cbtyp=1&titel=Gesundheitssystem