Föhr 2018 – Tag 6: Seid ihr alle gut drauf?

„Keine Schmerzen! Hast du gehört? Keine Schmerzen!“ Es ist neun Uhr, ich liege neben den Reckstangen an der Strandpromenade im Gras und Beach Body zwingt mich, Sit-ups zu machen. Dabei boxt er mir jedes Mal, wenn ich in die Ausgangsposition zurückkehre, in den Magen, was äußerst schmerzhaft ist, und brüllt mir wie der Trainer von Rocky ins Ohr, dass ich gefälligst keine Schmerzen haben soll. (Beach Body ist eine sehr komplexe Persönlichkeit.)

Nach 30 Minuten endet endlich meine Tortur. Oder wie Beach es nennt: meine P.A.F.F.-Session („Power Aufwach Fit & Fun-Session“). Als Beach Body außer Sichtweise ist, krieche ich erschöpft zum Bäcker.

Guten Appetit! #schoenefoehrien #werbungdaortsnennung #keingelddafür

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am Jul 28, 2018 um 2:03 PDT

Die Länge der Schlange vor der Bäckerei lässt vermuten, dass gerade für die Fortsetzung von „Good Bye, Lenin“ die Szene „Südfrüchte-Lieferung in der Kaufhalle Rügen-West“ gedreht wird. Auch heute bekomme ich kein Gratis-Brötchen. Morgen werde ich mir den Bart abrasieren, dann gehe ich vielleicht als frühreifer Zehnjähriger durch.

Aber wenigstens gibt es zu meiner Erleichterung genügend Camping-Wecken. Seit ich 1997 das erste Mal auf Föhr im Urlaub war, habe ich nämlich einen wiederkehrenden Alptraum, bei dem ich Camping-Wecken bestelle, woraufhin die Verkäuferin diabolisch lacht und sagt: „Die sind heute schon aus.“ Dann wache ich schweißgebadet auf.

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Nach dem Frühstück gehen die Frau und ich auf den Föhrer Bauernmarkt, der immer Mittwoch- und Samstagvormittag auf dem Rathausplatz in Wyk stattfindet. (Ob heute Mittwoch oder Samstag ist, wissen wir allerdings nicht.) Es ist ja wichtig, die örtlichen Landwirte zu unterstützen (Stichwort „Nachhaltiger Tourismus“)

Der Bauernmarkt. Das zweiwöchentliche merkantile Zentrum von Föhr. #schoenefoehrien #werbungdaortsnennung #scheissaufdiekohle

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am Jul 28, 2018 um 1:00 PDT

Das Angebot auf dem Markt erweist sich allerdings als sehr überschaubar. Es gibt insgesamt fünf Stände. An zweien wird Käse angeboten, an zweien Marmelade und an einem Obst und Gemüse. Das hat aber den Vorteil, dass wir so bei jedem Händler etwas kaufen und somit unsere Gunst gleichmäßig verteilen können. Wie man das von der sizilianischen Mafia kennt, die ein engmaschiges Netz von Hilfeleistungen und Abhängigkeiten knüpft, um zu gegebener Zeit einen Gefallen einzufordern. So können wir dann irgendwann vielleicht mal einen der Insel-Bauern bitten, eine missliebige Person für uns in einer Jauche-Grube zu entsorgen. (Das kann unter Umständen ja mal hilfreich sein.)

An dem zweiten Marmeladenstand preist uns der Händler sein reichhaltiges Angebot an und erklärt, sie würden ihre Waren sogar bis nach Kanada verkaufen und das müsste ja seinen Grund haben. Mir liegt auf der Zunge, der Grund könne auch sein, dass die Marmelade fürchterlich schmeckt und jemand sie regelmäßig einem verhassten Verwandten nach Kanada schickt, um damit seine Geringschätzung auszudrücken. Ich lasse es aber lieber bleiben, denn eventuell schuldet der Gemüsebauer dem Marmeladenhändler noch einen Gefallen und letzterer lässt mich ob meiner ehrabschneidenden Bemerkung gegenüber seiner Konfitüre auf irgendeinem Kartoffel-Acker verbuddeln.

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Da das Wetter doch besser ist, als gestern vorhergesagt, beschließen die Frau und ich heute noch einen weiteren ausgiebigen Strandtag einzulegen. (Ein Halbsatz, den ich möglicherweise bis zum Ende des Urlaubs täglich „copy & pasten“ werde.) Am Strand ist heute nicht mehr der heiße Sand auf Platz 1 der thematischen Agenda, sondern der Wind. Der ist gestern gegen späten Nachmittag aufgezogen und hat den Sand ein wenig abgekühlt, so dass man ans Wasser gehen kann, ohne sich die kompletten Fußsohlen wegzuschmurgeln.

Steife Brise aus Südost. #schoenefoehrien #werbungdaortsnennung #nomoneynocry

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am Jul 28, 2018 um 3:01 PDT

Da der Samstag traditionell Ab- und Anreisetag ist, hat sich die Zusammensetzung unserer Strandkorbnachbarschaft leicht verändert. Beispielsweise sind unser beinverwundeter Nachbar zur Linken und seine Familie abgereist. Als ich mir es mir im Strandkorb bequem mache, entdecke ich am linken Fuß eine gerötete Stelle am großen Zeh, die sich als dünne Linie bis zur Hälfte meines Innenrists erstreckt. Die Frau spekuliert, dass ich möglicherweise die gleiche bakterielle Infektion habe, die des Nachbarns Beinwunde verursacht hatte. Das wäre für meine Sozialkontakte am Strand von Vorteil, denn so könnte ich jetzt seinen Platz einnehmen und die Strandbesucher würden regelmäßig bei mir vorbeikommen, um sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen. Vielleicht sollte ich am Strand Socken tragen. Dann bin ich „der Merkwürdige“ und den will niemand besuchen.

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Im Strandkorb schräg rechts vor uns (Nummer 182) ist auch ein neues Paar eingezogen. Anscheinend kinderlos. Vielleicht machen sie aber auch einfach ohne ihre Kinder Urlaub. Es ist ja nicht immer alles, wie es aussieht. Wir zum Beispiel werden ja auch von den anderen Strandbesuchern fälschlicherweise für BDINKBWTCITBDEONs gehalten („Bloody Double Income No Kids Bastards Who Toss Champagne In Their Beach Chairs Every Other Night“). Die werden Augen machen, wenn ab morgen die Tochter und der Sohn hier am Strand aufschlagen. Dann sind wir die „Bloody Double Income Two Kids Bastards Who Toss Champagne In Their Beach Chairs Every Other Night”.

Aber zurück zu den neuen Nachbarn aus 182. Die Frau ist von kurzer stämmiger Statur mit schwarzen halblangen Haaren und erscheint mir noch nicht ganz in Urlaubsstimmung zu sein. Sie nörgelt, dass sie heute Morgen im Supermarkt nicht zuvorkommend genug behandelt wurde, erzählt genervt von einem Paketboten, der es letzte Woche gewagt hatte, eine Lieferung in ihrer Abwesenheit nicht vor die Tür zu legen, echauffiert sich darüber, dass ihr Coffee-to-go zu kühl sei, und regt sich noch über allerlei andere Nichtigkeiten auf, die einen eigentlich nicht tangieren sollten, wenn man an einem Strand sitzt und aufs Meer schauen kann. Naja, noch zwei bis drei Tage und dann wird sie genauso tiefenentspannt wie wir sein. Oder ihr Großhirn wird sich ebenfalls in Kartoffelbrei verwandelt haben, so dass sie alles vergisst, was sie heute noch ärgert.

Ihr Mann, ein Hüne von 1,90 und rund 100 Kilo, ist ein eher schweigsamer Typ und verliert nicht viele Worte. Im Gesicht trägt er einen monströs langen rotbraunen Bart, der ihn zu einem exzellenten „Sons of Anarchy“-Statisten qualifiziert. Vielleicht ist er aber auch tatsächlich der Anführer des Hell’s-Angels-Chapter „Wyk auf Föhr“. In diesem Fall möchte ich nichts über seine Frau gesagt haben. Eigentlich ist sie eine sehr sympathische Person, die selbstverständlich jedes Recht der Welt hat, sich über was auch immer zu ereifern. Sei es über den unverschämten Supermarkt-Angestellten, den ignoranten Paketboten oder den inkompetenten Barista, der nicht in der Lage, ist einen wohltemperierten Kaffee zuzubereiten.

Nachdem der Hüne zum Baden im Meer war, stelle ich fest, dass sein Bart in nassem Zustand gar nicht mehr so furchteinflößend wirkt. Eher wie ein nassem Otter, der sich an die Oberlippe des Typs hängt.

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Im Strandkorb 181 gibt es zwischenzeitlich einen kleinen Disput, bei dem ein älteres Ehepaar uneins darüber ist, was mit dem Wein zu tun ist, den sie zu Beginn des Urlaubs von ihrem Vermieter geschenkt bekommen haben. Der Gatte möchte ihn einfach stehen lassen, die Ehefrau empfindet das als unhöflich und schlägt vor, sie sollten den Wein mitnehmen und dann zuhause wegkippen. Das findet wiederum der Mann albern, da könnten sie ihn ja auch verschenken. Seine Frau lehnt das vehement ab, weil dies kein gutes Licht auf ihre Weinexpertise werfen würde.

Die Diskussion nimmt an Heftigkeit zu und streift noch ein paar unaufgearbeitete Konflikte („Warum soll sich bitteschön ausgerechnet meine Mutter über den Wein freuen?“). Die Kur-Kapelle sieht schwarz, was die Versöhnung angeht, und spielt in der Ferne „Some broken hearts never mend“.

Ganz so pessimistisch würde ich die Situation nicht einschätzen, aber der Anwalt aus unserem Nachbarstrandkorb schaut ganz interessiert zu dem streitenden Ehepaar. Wahrscheinlich ist er auf Familien- und Scheidungsrecht spezialisiert und wittert zahlungskräftige Mandanten.

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Am frühen Nachmittag zieht es sich ein wenig zu und die Frau und ich verlassen den Strand. Bevor wir nach Hause gehen, machen wir einen kleinen Abstecher Richtung Südstrand, um einen Blick auf den Event-Höhepunkt des Tages zu werfen: Das Holi Beach Festival. Dabei handelt es sich um eine Strandparty, bei der wummernder Disco-Beat gespielt wird und sich die Tänzerinnen und Tänzer stündlich mit Farbpulver bewerfen.

Holi Beach – Föhr goes crazy. #schoenefoehrien #werbungdaortsnennung #keinepinkepinke

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am Jul 28, 2018 um 6:47 PDT

Vor der Bühne tanzen rund 100 Menschen von jung bis alt. (Vielleicht nicht ganz so jung und ganz so alt wie das Kur-Kapellen-Publikum am Musikpavillon.) Der DJ ist gut drauf, wie ein Kapuzineräffchen auf Speed, und heizt dem Partyvolk ordentlich ein. Mit bestem Hamburger Lispel-Dialekt vergewissert er sich fünfminütlich, ob auch alle gut drauf sind – wahrscheinlich macht der Speedkonsum vergesslich –, was dann immer von den tanzwütigen Touristen johlend bejaht wird.

Für 15 Uhr ist die Stimmung bemerkenswert ausgelassen. Fast wie im Berghain morgens um fünf. Nur ohne Schmuddel-Sex in versifften Dark-Rooms.

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Gegen frühen Abend regnet es dann tatsächlich und es gewittert sogar ein wenig, was eine wohlduftende Regenluft erzeugt. Glücklicherweise ist der Niederschlag aber nur von kurzer Dauer, so dass wir an unserem letzten kinderfreien Abend noch einen Drink am Strandkorb einnehmen können. Wir müssen ja unserem Ruf als BDINKBWTCITBDEONs gerecht werden.

Gute Nacht!

„Die Kinder vermissen mich so sehr, dass sie innerhalb von einer Viertelstunde achtmal versucht haben, mich anzurufen.“
„Sie wollten das WLAN verlängert bekommen.“
„ACHTMAL ANGERUFEN!“

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 28. Juli 2018

P.S. Nach der Rückkehr ins Ferienappartement kniffeln wir noch. Es geht 3:0 und 868:596 für mich aus, wobei ich einen neuen Runden-Rekord für diesen Urlaub mit 426 Punkten aufstelle. Die Frau hält es trotzdem für keine gute Idee, dass ich meinen Job hinwerfe und mein Geld künftig mit einem Kniffel-YouTube-Kanal verdiene.

Die Lektion für den heutigen Tag lautet: „Wenn dir das Leben einen Kniffel gibt, wirf noch einen.“

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Alle Teile des Föhr-Tagebuchs finden Sie hier.

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