Flusszeit

Es gibt keinen Stillstand, alles ist in ständiger Bewegung, im Fluss, so würden es Philosophen und Landschaftsgärtner nennen, es gibt uns nicht, wir sind nie die, die wir eben noch waren, denn im nächsten Augenblick sind wir schon wieder andere, die Seraphe sagt, hast du deine Tasche gepackt, sie ist die Mutter, die in einigen Minuten das Kind an den Vater übergibt, schon ist sie eine andere Mutter, sie ist die gehetzte Mutter, die verlassene Mutter, das Kind läuft ins Zimmer, räumt Sachen auf die Seite, gleich ist es das Wochenendkind, noch ist es das wartende Kind, während der Rohm an seiner Tastatur sitzt, er beschreibt das Geschehen, den Wandel, dem er selbst unterliegt, die Welt ist eine volle Schachtel, drin Popstars, Schimpftiraden, Talk Talk Talk stecken, die Welt ist ein schreiendes Blutbecken, Flammen fallen vom Himmel, da muss man nur einmal die Augen und die Zeitungen aufmachen, die Welt verschäubelt, sie ist gemerkelt, der Glaube allein kann LEIDER keine Guttenberge versetzen, die Welt besteht aus Ulmen, auch aus einem Ulmen, der sich als Schauspieler verdingt, es klingelt, das Kind wird geholt, nun ist es das Treppen absteigende Kind, wir sind nie wir, wir sind stets und immer schon die Zukünftigen, die wir auch nie sind, denn dann sind wir schon wieder Zukünftige, Schwätzschwätzschwätz, denke ich, worüber schreibe ich hier, lass den Pathos ein, lasst ihn endlich ein, die Mutter steigt mit dem Kind zur Tür hinunter, schon sind sie scheidende Wesen, die Mutter spricht mit der Freundin des Vaters, die liebt das Inlinern, die fährt die Berge rauf, die Berge runter, die kenne ich überhaupt nicht, schon ist das Kind fort, nun ist es das abwesende Kind, die Mutter, die die Seraphe ist, die mir Geliebte, Gespielin, Zuarbeiterin ist, steht schon am Schreibtisch, sie blickt in den Grund meiner Schreibe, da gibt es keinen Grund, vielleicht einen Abgrund, wir müssen noch einmal über die Ferienverteilung reden, sagt die Seraphe, Geschiedene leben mit dem Handel, da wird geschachert, muss so sein, keiner gibt auf, wer aufgibt, der verliert, wir sind nie die, von denen wir glauben, die wären wir, das ist alles viel komplizierter, die Welt ist aus ARD und ZDF gemacht, aus RTL und PRO7, die sagen uns schon, wer wir sind, das Kind ist nun fort, die Seraphe niest, ich kann es hören, nun ist sie die niesende Seraphe, ich bin der schreibende Rohm, der sich in seinen Text hinein schwätzt, der sich aus dem Leben schreibt, der nicht mehr der ist, der er eben noch war, der sich in jeder Sekunde neu erfindet, dem jede Sekunde ein Wort und jede Stunde eine Seite und jeder Tag ein Kapitel ist, da wird am Lebensroman gearbeitet, wenn Sie drin vorkommen wollen, dann müssen Sie sich melden, die Seraphe läuft ins Wohnzimmer, sie wird nun die Fernsehfrau, ich werde ihr folgen, wir sind immer nicht wir, weil wir im nächsten Augenblick schon wieder andere sind, wir könnten uns etwas von Fassbinder ansehen, auch von Peckinpah, die Welt ist ein Topf, übervoll mit Blut und Filmen, Sperma und Gesprächen, Flüstern und Schreiben, mit Liebe und Hass, aber jeder kann Jedermann sein, er muss es nur wollen, heb die Hand und sprich mir nach, ich bin jetzt der Rohm, erschwätz mir einen Text über die Welt, über die Seraphe, den Rohm, das Kind, und ganz am Ende komme ich vielleicht auch drin vor, aber eben nur vielleicht, den dann bist du vielleicht auch schon längst Geschichte, aber die wolltest du doch sein, werde ich dann sagen.

(Erschienen bei Getidan)



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