Fiskalpakt

Von Marc Schanz

Die Euro-Krise nimmt kein Ende. Wer kann sich noch an eine krisenfreie Zeit erinnern? Ich kann es nicht! Ich fühle mich wie auf einem Schiff, das durch einen niemals endenden Sturm fährt und dabei ständig hin und her geworfen wird. Es ist ein ekliges Gefühl, ohne festen Boden, ohne Orientierung zu sein. Hunderte Male wurde uns versprochen, gleich ist der Sturm vorbei, nur noch dieses eine Manöver, dann sind wir wieder im ruhigen Wasser, dann sind wir wieder in Sicherheit! Diesmal soll uns also der Fiskalpakt von der Krise erlösen, natürlich endgültig und das auch noch für alle Ewigkeit!

Wäre die Krise doch nur ein Sturm! Die Euro- und die Finanzkrise ist, obwohl sie überall und ständig präsent ist, so merkwürdig unwirklich. In den Meiden ist sie ein Dauerthema, jeder spricht von ihr und dennoch hat man dieses sonderbare Gefühl, sie einfach nicht fassen zu können. Das Zermürbende an der Krise ist, die unangenehme Ahnung zu haben, etwas läuft gewaltig schief, ohne benennen zu können, was es eigentlich ist. Woran liegt das nur? Machen wir etwas Ungewöhnliches, machen wir eine Schiffsreise und gehen an Bord des Tankers Teutonia.
Es ist ein stolzes Schiff, das schon lange auf den Weltmeeren zu Hause ist. Auf der Brücke der Teutonia steht seit einiger Zeit die erfahrene Kapitänin Angie. Bisher haben das Schiff und seine Besatzung nur schönes Wetter erlebt. Die pure Abenteuerlust der Kapitänin treibt das Schiff in die Untiefen des Nordens mit seinen berüchtigten Schlechtwetterzonen. Von Tag zu Tag wird das Wetter immer kälter und schlechter, die ersten Eisschollen werden gesichtet. Trotz der Widrigkeiten hält die Kapitänin an ihrem Kurs fest. Dann geschieht das Unglück, der Tanker rammt einen Eisberg, der zum Glück etwas klein geratenen ist. Der Rumpf schlägt Leck und Wasser strömt ein. Auf der Brücke bricht Panik aus. Eine glückliche Fügung des Schicksals will es, dass sich der renommierte Experte für Wasserangelegenheiten, Herr von Sinnen, an Bord befindet. Diskret, ohne die Passagiere zu beunruhigen, wird er auf die Brücke geholt und über die Notlage informiert. Mit einem selbstsicheren Lächeln verkündet der Experte: „Der Wassereinbruch ist kein Problem. Sprengt einfach nur ein zweites Loch in den Rumpf, dann kann das Wasser wieder ablaufen!“ Alle sind erleichtert und beginnen sogleich mit der Vorbereitung für die Sprengung.

Der Plan ist Irrsinn, jeder erkennt das sofort! Und doch machen wir derzeit etwas Vergleichbares, wenn wir stur am Austeritätskurs festhalten. Weshalb versteht niemand den Irrsinn an den ökonomischen Rettungsplänen, die niemals funktionieren können? Das liegt daran, dass die Finanzströme weder sichtbar noch fühlbar sind, wie das eben bei Wasser der Fall ist. Jeder weiß aus eigener Erfahrung: Wasser fließt immer bergab. Die „Naturgesetze“ des Geldes lassen sich nicht mit eigenen Sinnen erfahren. So wissen die wenigsten, dass der Betrag von Guthaben minus der Schulden weltweit immer und jederzeit gleich Null ist.

Der ökonomische Analphabetismus in unserem Land ist erschreckend, selbst in der Wissenschaft. Dort wurde mit der Idee des Geldschleiers das Phänomen Geld zu einem unberührbaren Gegenstand für die Wissenschaft erklärt. Das rächt sich nun, wir haben einen blinden Fleck und können deshalb die Ursache der Krise nicht sehen. Bisher gibt es nicht einmal eine vernünftige Theorie, nicht einmal einen Ansatz, wie sich Finanzsysteme und Wirtschaften in einer Währungsunion verändern und verhalten. Es ist kein Wunder, dass wir sinnlos über die Tugenden einer schwäbischen Hausfrau philosophieren, während die Ursache der Euro-Krise in den spezifischen Bedingungen einer Währungsunion zu suchen ist. Die hirnlose Floskel einer „marktkonformen Demokratie“, die unsere Kanzlerin in den Mund nahm, belegt eindrucksvoll die Unkenntnis unserer Regierung. Die Währunsgunion hat nämlich in weiten Teilen den Finanzmarkt abgeschafft! Die Umgehung der Märkte ist eines der zentralen Probleme des Euros!

Die Zahlungsströme zwischen den Mitgliedsländern werden nicht mehr über die Märkte abgewickelt, sondern erfolgen direkt über das Target2 Zahlungssystem der Notenbanken. Die sich dort auf türmenden Ungleichgewichte zeigen die rege Nutzung dieses Mechanismuses, der in der Krise die Funktion des Finanzmarkts übernommen hat.Zudem wird aufgrund des riesigen, blinden Flecks nicht erkannt, dass sich in der Währungsunion die Bedingungen für die Staatsfinanzierung dramatisch verändert haben. Der Euro ist selbst für seine Mitglieder eine Fremdwährung. Kriselnde, aber auch gesunde Staaten sind plötzlich von einem Kollaps bedroht, der nicht eintreten würde, wenn die Staaten noch über ihre eigenen Währungen verfügen würden. Das ist ein unverantwortbarer Konstruktionsfehler des Euros, der selbst nach über drei Jahren Krise und trotz zahlreicher Rettungsschirme und diverser Brandmauern nicht behoben werden konnte.
Ohne Berücksichtigung der spezifischen Sonderheiten einer Währungsunion wird die Krise nicht zu lösen sein. Ein Rettungsplan wie der Fiskalpakt, der die Staaten nur isoliert betrachtet, kann nur scheitern. Er ignoriert die schlichte Tatsache, dass eine Intervention in einem Land direkte Auswirkungen auf alle anderen Länder der Währungsunion hat. Beachte ich die komplexen Wirkmechanismen einer Währungsunion nicht, werde ich durch unbedachte Eingriffe zwangsweise Krisen in den anderen Mitgliedsländern auslösen. Wie alle bisherigen Rettungsversuche, wird der Fiskalpakt die Krise nicht beenden, sondern verstärken.

Der Fiskalpakt wird scheitern, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Alle, die meinen, das ist doch nur dummes Bloggergeschwafel, alle Staatsschuldenhasser, alle Freunde der schwäbischen Hausfrau und alle die glauben, die Krise sei auf fehlende Moral oder schlechtes Genmaterial in der Südperipherie zurück zu führen, sollte eine Tatsache zum Nachdenken anregen: weshalb befinden sich nur Euro-Länder in der Krise? Zwar könnte der Euro der Träger eines bisher unbekannten, genmanipulierten Erregers sein, der diese sonderbare Moralkrankheit auslöst, erheblich wahrscheinlicher ist es doch, dass die Krise durch die Wirkmechanismen einer fehlkonstruierten Währungsunion verursacht wird.

Die Krisenländer können im Korsett der Währungsunion nicht überleben. Es gibt für sie nur drei alternativlose Wege: Staatsbankrott, Austritt aus der Währungsunion oder eine Finanzierung ihres Verbleibs in der dysfunktionalen Währungsunion. Die Strategie des Fiskalpaktes ist eine Finanzierung der Krisenländer, wobei sich die Schulden der Krisenländer weiterhin auf türmen dürfen. Zur Aufrechterhaltung der Finanzierung müssen die Krisenländer ihre Souveränität über ihr Königsrecht an einen Gouverneursrat abgeben, der absolute Immunität geniest und ohne jegliche Kontrolle willkürlich über die Schulden der europäischen Krisenländer herrschen darf. Den Krisenländern wird nichts anderes als eine Diktatur auf erzwungen, der Fiskalpakt ist die Pervesion einer Rettung. Übrigens, wir sollten nicht den Irrtum begehen und uns sicher fühlen. Wir gehören ebenso zu den Krisenländern, denn wir haben ebenfalls die Fremdwährung Euro.

Eine Spekulation gegen uns ist jederzeit möglich, auch wir werden den „Schutz“ des Gouverneursrats in Anspruch nehmen müssen, der Verlust unserer Demokratie und Freiheit ist daher nur eine Frage der Zeit. Der Tanker Teutonia ist weiter auf Kurs Richtung Norden, die Kapitänin Angie hält das Ruder fest in ihren Händen. Das Wetter ist so schlecht wie all die Tage zuvor. Dank der Gnade der Geburt auf hoher See bin ich mit an Bord. Ein ungutes Gefühl treibt mich heute an Deck. Ich schaue aufs Meer und erstarre vor Schreck. „Ein Eisberg!“, schreie ich, „direkt vor uns!“ Ein Matrose der Teutonia, der auf meine Rufe aufmerksam wurde, kommt gemächlich auf mich zu: „beruhigen sie sich, die Kapitänin oben auf der Brücke kann sie ohnehin nicht hören!“ Mit ruhiger Stimme fügt er hinzu, „außerdem ist alles in bester Ordnung, alles verläuft nach Plan!“ „Wie bitte?“, rufe ich entsetzt, „wie kann das sein? Wir steuern geradewegs auf einen Eisberg zu!“

„Wir haben einen der besten Experten an Bord und der Kurs wurde absichtlich so gewählt“, entgegnet mir der Matrose, „aber damit sie sich wieder beruhigen, erkläre ich ihnen den genialen Plan. Wir werden mit voller Fahrt den Eisberg durchstoßen und wenn werden wir auf der anderen Seite herauskommen, werden wir wieder im warmen, eisfreien Meer sein! Sie sehen also, alles wird gut!“ „Wie soll das bitte möglich sein? Der Eisberg ist zu groß! Und verstehen sie nicht, wir fahren immer noch Richtung Norden! Hinter dem Eisberg wird nur noch mehr Eis sein!“, mein Entsetzen wird zur Panik. Der Matrose fixiert mich mit seinen kühlen Augen und antwortet mir in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet: „wenn es die Kapitänin und ihr Experte sagen, dann werden wir den Eisberg ohne Schrammen durchbrechen und hinter ihm beginnt die Karibik! Basta!“


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