Filmkritik zu Leonardo DiCaprio als ‘J. Edgar’

Filmkritik zu Leonardo DiCaprio als ‘J. Edgar’

Der inzwischen 38-jährige Leonardo DiCaprio hat wirklich schon einiges in seiner Karriere erlebt. Er war der tragische Liebhaber Julias in Baz Luhrmanns ‚Romeo & Julia‘-Verfilmung, er befand sich auf der untergehenden Titanic, war als King Louis XIV der Mann mit der eisernen Maske und spielte in ‚Aviator‘ den US-Großunternehmer Howard Hughes. In dem neuesten Regiewerk von Clint Eastwood tritt DiCaprio in die Fußstapfen von Darstellern wie Broderick Crawford und Treat Williams, um den Gründer und langjährigen Direktor des Federal Bureau of Investigation – John Edgar Hoover – zu verkörpern. In ‚J. Edgar‘ erzählt Eastwood die Geschichte eines Mannes, der fast fünfzig Jahre lang der Chef des FBI war und so zum mächtigsten Mann in Amerika aufstieg. Um sein Land zu schützen, schreckte er vor nichts zurück. Er überlebte die Regierungen von acht US-Präsidenten und drei Kriege, er kämpfte gegen reale und eingebildete Bedrohungen, wobei er die Gesetze oft recht eigenwillig auslegte, um den Schutz seiner Landsleute zu gewährleisten. Seine Methoden waren ebenso heldenhaft wie skrupellos und all das diente nur dem Ziel, von der Welt bewundert zu werden.

Filmkritik zu Leonardo DiCaprio als ‘J. Edgar’

Leonardo DiCaprio als John Edgar Hoover

‚J. Edgar‘ ist eine Geschichtsstunde, die nicht zu ernst genommen werden sollte. Eastwood vermischt Wahres mit Fiktion, interpretiert das Leben von Hoover neu und zeigt in seinem Film, wie sein Wirken und Handeln ausgesehen hätte, wenn er selbst die Geschichtsbücher hätte schreiben dürfen. Schon in den ersten Minuten, in denen wir einen gealterten Leonardo DiCaprio als John Edgar Hoover kurz vor Martin Luther Kings berühmter „I Have A Dream“-Rede und dem Attentat auf Präsident Kennedy sehen, macht uns dieser klar, dass er seine Lebensgeschichte, die eng mit der des Federal Bureau of Investigation verstrickt ist, aus seiner Sicht schildern möchte. Das heißt für die Zuschauer, dass die Erzählung, die nun folgt, ein Märchen oder ein Traum ist, den der Film-Hoover sich so zusammen setzt, dass er immer im Mittelpunkt steht und den Ruhm für zahlreiche Festnahmen und Erfolge des FBI einheimsen kann. So findet der Film auf zwei Handlungsebenen statt. Die, in der DiCaprio, Naomi Watts als Sekretärin Helen Gandy und Armie Hammer in der Rolle des engsten Vertrauten Clyde Tolson einem künstlichen Alterungsprozess unterzogen wurden, sowie den Rückblicken des FBI-Direktors auf seine Anfangszeiten.

Hier ist es vor allem die tragische Entführungsgeschichte des Sohnes von Charles Lindbergh, die den Aufstieg von J. Edgar Hoover begleitet. Über mehrere Jahre hinweg setzt das FBI alles daran, das vermisste Baby ausfindig zu machen, bis es im Mai 1932 tot aufgefunden wird. Aber egal in welcher Zeit sich der Film gerade befindet, möchte man meinen, Clint Eastwood arbeitet auf ein emotional tragisches Ende hin und findet hierfür keinen anderen Weg, als ein Gerücht zu nehmen, welches in der realen Welt existiert, um es für seinen Film zu einer Wahrheit umzuwandeln. Wo sich Hoover im realen Leben immer wieder mit dem Gerücht herumschlagen musste, dass er Gefühle zu seinem Stellvertreter Clyde Tolson hegte, nimmt dieses Gerücht in ‚J. Edgar‘ eine wahre Gestalt an, die sich bereits in frühen Jahren manifestiert und bei einem Streit in einem einmaligen Kuss endet. Auch Jahre später, kurz vor seinem Tod, gesteht Hoover seinem Freund, dass er ihn immer geliebt habe. Hier entfernt sich der Film sowohl von der wahren, als auch von der erfundenen Biographie des FBI-Direktors und öffnet eine neue Filmrealität, die sich zu diesem Mix aus Erzählmöglichkeiten hinzugesellt.

Filmkritik zu Leonardo DiCaprio als ‘J. Edgar’

Judi Dench als Annie Hoover

Fernab von dieser Schwäche, dass zu wenig von den politischen und ermittelnden Fähigkeiten und Handlungen von Hoover erzählt wird und stattdessen die geleugnete Liebesgeschichte zweier Männer im Mittelpunkt steht, bietet der Film einen ruhigen Blick in die Entstehung des FBI. Das macht die erste Hälfte des Filmes stark, denn hier wird wirklich Geschichte geschrieben: Unter welchen Umständen wurde diese Einrichtung gegründet, der Kampf um die ersten Labore, die Festnahmen und die Etablierung in der Gesellschaft, sowie das Erwirken von gesetzlichen Sonderstellungen – das wäre der Fokus gewesen, den der Film weiter hätte verfolgen sollen. Dann hätte Leonardo DiCaprio zu jeder Zeit überzeugend hartnäckig und wortreich seine Reden schwingen können, ganz gleich ob in natura oder unter der verblüffend echt wirkenden Maske des 77-jährigen Hoover. Auch Schauspieler Armie Hammer, zuvor als Winklevoss-Zwilling in ‚The Social Network‘ zu sehen, darf sich für seine Rolle als Stellvertretender Direktor des FBI, Clyde Tolson, dem Alterungsprozess aussetzen, der bei ihm allerdings weitaus erkennbarer zu Tage tritt. Sein Schauspiel ist dem des Hauptdarstellers ebenbürtig, Hammer lässt sich nicht von DiCaprio an die Wand spielen. Das bekommen wir vor allem in der aufwühlenden Streit-Sequenz der beiden Männer zu sehen, wo er beweist, dass er einen DiCaprio nicht nur bildlich zu Boden werfen kann. Leider versagt die Maske bei im gänzlich, den alten Mann mag man ihm nicht abkaufen.

‚J. Edgar‘ ist eine fiktive Biographie, die den Zuschauer nicht unbedingt schlauer aus dem Kino entlassen wird, da er nicht wissen wird, welchen Fakten er nun trauen darf und welchen nicht. Er animiert allenfalls zur eigenen Recherche über den Mann, mit dem man sich gerade in Überlänge beschäftigen durfte. Es ist kein Polit-Film, irgendwie auch nicht die Geschichte der Entstehung des FBI und das Liebesdrama zwischen Hoover und Tolson, mag es auch im Fokus stehen, wird auch immer wieder fallen gelassen. Es wirkt so, als habe Regisseur Clint Eastwood sich nicht entscheiden können, welche Bilder aus dem über fünfzig Jahre langem Wirken von J. Edgar Hoover er auf die Leinwand bringen wollte. Es wurde ein bunter Mix, der keinen roten Faden erkennen lässt. Es ist eine chronologisch ineinander verschachtelte, fiktive Geschichtsstunde, die aber mit einer Reihe äußerst guten Dialogzeilen aus dem Drehbuch von Dustin Lance Black (‚Milk‘) aufwarten kann. Letztendlich ist der Film ein Versuch, den hartnäckigen Einzelkämpfer als Menschen darzustellen. Das wiederum gelingt Clint Eastwood, trauern wir am Ende doch an der Seite von Armie Hammer um Hoovers Tod.

Denis Sasse

Filmkritik zu Leonardo DiCaprio als ‘J. Edgar’

‘J. Edgar‘

Originaltitel: J. Edgar
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA, 2011
Länge: ca. 136 Minuten
Regie: Clint Eastwood
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Armie Hammer, Naomi Watts, Judi Dench,


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