Filmkritik zu ‘Anonymus’

Filmkritik zu ‘Anonymus’

Ethan Hawke und Kenneth Branagh waren Hamlet, Al Pacino hat König Lear gespielt, Orson Welles war in der Rolle des Macbeth zu sehen, Leonardo DiCaprio und Kate Winslet waren Romeo & Julia und im Januar nächsten Jahres wird Ralph Fiennes mit ‚Coriolanus’ sein Regiedebüt feiern und zugleich die Hauptfigur Caius Martius Coriolanus verkörpern. Mit über 400 Filmadaptionen sind die Werke des Schriftstellers William Shakespeare die meistverfilmten Schriften in der Filmgeschichte. Es wäre eine Katastrophe herauszufinden, dass Shakespeare seine Werke gar nicht selbst geschrieben hat – und für Katastrophen bietet sich der deutsche Regisseur Roland Emmerich immer gerne an: Vor fünfzehn Jahren suchten unter seiner Aufsicht Aliens die Erde heim (‚Independence Day’), zwei Jahre später schickte er Godzilla zurück auf die Kinoleinwände, ließ 2004 die Welt gefrieren (‚The Day After Tomorrow’) und prophezeite danach den Weltuntergang für 2012.

Mit ‚Anonymus’ schickt uns Emmerich jetzt in das elisabethanische England und spekuliert über die Frage, die schon seit Jahrhunderten zahlreiche Wissenschaftler und kluge Köpfe beschäftigt hat: Wer war der Autor der Stücke, die William Shakespeare zugeschrieben werden? Eine mögliche Antwort konzentriert sich auf Lord Edward De Vere von Oxford, der hier als wahrer Autor von Shakespeares Stücken präsentiert wird. De Vere stellt bei Emmerich das literarische Wunder dar – aber auch den Gelegenheitslover von Queen Elizabeth. De Vere, aus einem Hause stammend, welches ihm den Umgang mit den schönen Künsten verbietet, sieht seine Werke durch den Schauspieler William Shakespeare für die Bühne inszeniert.

Filmkritik zu ‘Anonymus’

Rafe Spall

Für Theaterliebhaber dürfte bereits der Einstieg in die Welt William Shakespeares – oder in diesem Fall viel mehr in die Welt des Lord Oxford – ein Genuss sein. Roland Emmerich zollt auf der großen Leinwand der kleinen Bühne seinen Respekt. Mit einer Einführung und späteren Beendigung durch den Schauspieler Sir Derek Jacobi, einen der bekanntesten britischen Shakespeare-Darsteller, der nur gelegentlich auch im Kino erscheint, wird hier das Theater auf einer Meta-Ebene eröffnet, welches einen Einblick in die eigentliche Handlung des Filmes liefert. Hier bekommt der Zuschauer dann einen minimalistisch arbeitenden Roland Emmerich zu spüren, der seine Wurzeln allerdings nicht gänzlich verbergen kann. Er baut einen politisch-geschichtlichen Machtkampf vor dem Hintergrund der Urheberschaftsdebatte um die Stücke Shakespeares auf. Dabei konzentriert er sich auf seine Figuren, auf Dialoge und Anspielungen rund um Werke von „Ein Sommernachtstraum“ bis „Henry V“ und „Richard III“.

So klein er seinen Film aber auch halten möchte – auf opulente Bilder, Kostüme und Raumdekor kann er trotzdem nicht verzichten. Hier stürzen zwar keine Häuser ein oder es werden ganze Städte dem Erdboden gleich gemacht, dafür bekommen die Zuschauer Kamerafahrten über riesige Landschaftsflächen, auf denen tausende Menschen zusammenkommen um den Tod der Königin zu betrauern. Es scheint als wollte Emmerich ein kleines Filmchen drehen – ein Abdriften in den Arthouse-Bereich um seinem Image als Katastrophenfilmer entgegen zu wirken. So ganz möchte ihm dieser Schritt allerdings nicht gelingen. ‚Anonymus‘ mag nicht der Katastrophenfilm sein, den man von dem Regisseur erwarten sollte, aber er ist auch nicht das anspruchsvolle Kino, welches er uns verkaufen möchte.

Filmkritik zu ‘Anonymus’

Rhys Ifans

Das größte Manko dürften die nicht markierten Zeitsprünge innerhalb der Handlung sein, die den Zuschauer dazu auffordern, den Überblick in den unterschiedlichen Zeitabschnitten zu behalten und sich hierdurch nicht aus der Handlung rauswerfen zu lassen. Diese Inszenierung erfordert volle Aufmerksamkeit, was stellenweise natürlich eher zu einer Anstrengung verkommt. Gerade wenn man bedenkt, dass uns keine Möglichkeit zur Identifikation, zum Mitfühlen gegeben wird. Zu irrelevant erscheinen die Figuren, trotz ihrer geschichtlichen Schwere. Lord Oxford mag der vom Schicksal gestrafte Literat sein, dessen Werke niemals unter seinem Namen erscheinen werden – aber Rhys Ifans schafft es nicht diese Figur als Sympathieträger zu etablieren. Auf der anderen Seite haben wir William Shakespeare (Rafe Spall), der als herumlungernder Taugenichts, schlechter Schauspieler und Abstauber auch nicht gerade als Vorzeigeheld daherkommt.

Die schönsten Szenen spielen sich dennoch im kleinen, gar nicht so provisorischen Theater ab. Mit für damalige Verhältnisse aufwändig erbauten Kulissen, präsentiert der Schauspieler Shakespeare die Werke von Lord Oxford auf der Holzbühne und bringt damit die Massen zu kochen – und die Unterhaltung ins Kino. Getreu dem Motto „Jedes Stück ist politisch“, wie Oxford es beschreibt, manipuliert man so auch die Zuschauerschaft. Wenn sich auf der Bühne das Volk gegen einen Schmierenkomödianten aufbäumt, so überträgt sich dieses Verhalten auch auf das wahre Leben. Ein Beweis, den Oxford auch sogleich erbringt. Diese Szenen sind es, wenn die Bevölkerung jubelt, Oxford im Publikum das Treiben beobachtet, Shakespeare hinter der Bühne dem Schauspiel auf der selbigen seine Hochachtung entgegenbringt und wir uns an Ausschnitten aus den berühmtesten Werken erfreuen dürfen, die die Unterhaltungshöhepunkte des Filmes ausmachen.

Mit ‚Anonymus‘ hat Roland Emmerich sicherlich einen etwas anderen Film abgeliefert, als man von ihm gewohnt ist. Mit der großen Bandbreite an fähigen Darstellern, darunter auch David Thewlis, Vanessa Redgrave und Jamie Campbell Bower, hätte dabei aber ein weitaus charakterorientierteres Werk entstehen müssen. So bleibt es eine oberflächlich präsentierte Verschwörungstheorie, deren Potential lange nicht ausgenutzt wurde.

Denis Sasse

Filmkritik zu ‘Anonymus’

‘Anonymus‘

Originaltitel: Anonymous
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA/D, 2011
Länge: ca. 130 Minuten
Regie: Roland Emmerich
Darsteller: Rhys Ifans, Vanessa Redgrave, Rafe Spall, David Thewlis, Jamie Campbell Bower


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