Ähnlich wie in Steven Spielbergs Schindlers Liste, ist in dem spanischen Blancanieves – Ein Märchen von schwarz und weiß nur einmal Farbe zu sehen. Hier allerdings dem eigentlichen Film vorangestellt, wenn sich recht theatral zu Beginn feierlich ein rot leuchtender Vorhang öffnet um uns in die filmische Welt des Regisseurs Pablo Berger zu entführen, der hier seinen zweiten Langspielfilm präsentiert (nach Die Torremolinos Homevideos, 2003).
Der Vorhang schwingt auf und eröffnet das Setting einer gut besuchten Stierkampfarena. Hier schwingt der gefeierte Torero Antonio Villalta (Daniel Giménez Cacho) das für den Stier signifikante rote Tuch – wenn auch nur noch in schwarz/weiß. Das Publikum in der Arena wird derweil schon bald seines Atems beraubt. Die Jubelstimmung erstickt, wenn klar wird, dass der Torero den wilden Kampf gegen den Stier nicht heile überstehen wird.
Ein sensationsgeiler Fotograf macht sein wertvolles Foto, lenkt durch sein Blitzlicht jedoch den Ausgang des Duells zwischen Torero und Tier in eine nicht gewollte Richtung. Das Publikum wird Zeuge, wie ihr Held auf die Hörner genommen wird und auch die hochschwangere Frau des Toreros, die sich unter den Zuschauern befindet, bricht in entsetzte Panik aus.
Der Torero als umjubelter König seines Volkes überlebt, wenn auch als körperlich und seelisch beeinträchtigter Mann, der seiner Berufung nicht mehr nachgehen kann. Seine Königin bringt gerade noch so ein kleines Mädchen zur Welt, bevor sie an Komplikationen der Geburt verstirbt. Aber wie es im Märchen der Schneewittchen schon geschehen ist, taucht eine böse Stiefmutter in Form der geldgierigen und machtbesessene Krankenschwester Encarna (Maribel Verdú) auf, die das junge Mädchen (Macarena García) bald als Arbeitskraft im Haushalt einsetzt, den neuen Ehemann betrügt und Pläne schmiedet, all seinen Reichtum an sich zu bringen.
Blancanieves
" data-orig-size="1000,764" sizes="(max-width: 890px) 100vw, 890px" aperture="aperture" />Die böse Stiefmutter reicht dem spanischen Schneewittchen den vergifteten Apfel
Blancanieves modernisiert das klassische Märchen der Brüder Grimm mit den ebenso klassischen Mitteln des frühen Kinos. Berger hat seinen Film nicht nur in die schwarz/weiße-Welt geholt, sondern beraubt seine Darsteller auch gleich noch ihrer Stimmen. Die benötigen wir als Zuschauer aber auch gar nicht. Die Emotionalität der Geschichte wird hervorragend durch die Musik von Alfonso de Vilallonga übertragen.
Und so gelingt es dem Spanier Pablo Berger besser als manch einem Hollywood-Film (Snow White & The Huntsman, Spieglein Spieglein), das Schneewittchen-Märchen neu zu interpretieren. Wir finden uns in keiner fantasierten Märchenwelt wieder, sondern im Spanien der 20er Jahre. Hier aber wirken die verwinkelten Straßengassen fast wie ein verwunschener Wald, aus dem es nur schwerlich einen Ausweg zu finden gibt. Aus der Märchenfigur wird die kleine Carmen, Tochter des Toreros, die unter der Krankenschwester-Stiefmutter zu leiden hat, obwohl sie selbst die Erbin eines ansehnlichen Vermögens sein sollte.
Blancanieves kommt hier mit der wundervollen Darstellerin Maribel Verdú daher, die ihre böse Stiefmutter Encarna sinister spielt und uns eine äußerst einprägsame Mimik präsentiert. Verdú zeigt ein geniales und extravagantes Spiel, wie man es äußerst selten zu Gesicht bekommt.
Dieser bösen Figur steht die Rehaugen-Darstellerin Macarena García gegenüber. Sie greift zwar nicht zum Schwert wie Kristen Stewart (Snow White & the Huntsman) oder Lily Collins (Spieglein Spieglein), steht diesen Darstellerinnen in Sachen Emanzipation aber in Nichts nach. Ihr Schwert ist das rote Tuch des Torero-Vaters. Mit der Hilfe von – natürlich – kleinen Torero-Zwergen lernt sie die Fähigkeiten ihres Vaters mit den Flamenco-Künsten ihrer verstorbenen Mutter zu kombinieren und einen ganz neuen Stil des Stierkampfes zu zeigen.
Blancanieves
" data-orig-size="1000,756" sizes="(max-width: 890px) 100vw, 890px" aperture="aperture" />Kleine Zwerg-Toreros helfen Schneewittchen Carmen.
In bester “starke Frau”-Thematik kommt dieses Schneewittchen gar gänzlich ohne ihren Prince Charming aus. Regisseur und Drehbuchautor Pablo Berger gibt nicht einmal eine Andeutung einer romantischen Liebesgeschichte.
Es darf angenommen werden, dass Blancanieves untergegangen ist, da es fast zeitgleich andere Schneewittchen-Stoffe gab, die aus den Landen Hollywood die Aufmerksamkeit für sich beansprucht haben. Zugleich wurde die schwarz/weiß-Stummfilm Neuentdeckung durch den 2012er Oscar-Gewinner The Artist verarbeitet. Völlig zu Unrecht wurde Bergers Film zurückgelassen. Er versprüht Charme und Einfallsreichtum, verlangt durch seine Modernisierung der Märchenwelt keine Opfer ab und wirkt einfach nur zauberhaft.