Feinde, nicht Bürger

Eine lebenslängliche "lebenslängliche Haftstrafe" gibt es in Spanien nicht mehr. Maximal dreißig Jahre kann man dort in Haft verbringen. Es gibt aber eine Ausnahme: besieht man den Angeklagten nicht als Bürger, der nach bürgerlichen Strafrecht abzuurteilen ist, sondern als Feind, der einem Feindstrafrecht unterordnet wird, so sind phänomenale Strafen umsetzbar. 105 Jahre Haft erhielt nun ein Mörder, der im Namen der ETA mordete.

Vom spanischen Zentralstaat eingelulltes Europa

Ein solches Strafmaß nimmt man in Europa hin. Man reibt sich zwar verwundert die Augen, dreistellige Haftstrafen sind ja doch spektakulär. Nun gut, aber es trifft ja doch nur jemanden, der für die ETA gemordet hat - einen Terroristen also. Und Terroristen haben nur bedingt Menschenrechte - sollten sie jedenfalls haben. 105 Jahre Gefängnis, die Aussicht nie wieder freizukommen, keine Resozialisierung als Vollzugsziel zu erleben: so einer hat es doch verdient!

Nun wäre es natürlich einer Frage wert, wo Terrorismus beginnt, wo er aufhört. Javier García Gaztelu, der Mann, der mehr als ein Jahrhundert im Bau verschwinden soll, muß nicht unbedingt Terrorist sein - Mörder ist er dann doch. Gleichwohl fragt man sich schon, welcher Weg der baskischen Sache offen bleibt, wenn man baskische Parteien, die für mehr Autonomie eintreten, die Legitimität entzieht und alleine schon Sympathisanten der baskischen Autonomie oder gar Unabhängigkeit kriminalisiert und nur den Weg in die Kriminalität weist. Solche Fragen stellt sich Spanien nicht - solche Fragen stellt sich auch Europa nicht. Dieses wird vom sich rigoros gebenden spanischen Zentralstaat geblendet und eingelullt. Man verkauft sich als Bastion gegen den Terror, greift hart durch, erteilt Richtern die Kompetenz, politische Prozesse zu führen und sperrt Mörder nicht als Mörder, sondern als Feinde ein.

Feindstrafrecht kennt kein Maß

Das Strafrecht europäischer Staaten verfügt über ausreichend Mittel, Mörder zu bestrafen. Es gibt keine Not, warum man Terroristen außerhalb bürgerlichen Strafrechts verurteilen sollte. Das Feindstrafrecht ist maßlos - es kennt kein Abwiegen, sondern nur die drakonische Strafe. Demjenigen, der nach Feindstrafrecht verurteilt wird, kommen Menschenrechte abhanden. Er wird einer Justiz ausgesetzt, die nicht mit Augenbinde urteilt, sondern politisch aufgeladen ist. Aus dem Bürger, der gegen das Gesetz verstoßen hat, wird ein Feind, der gegen die Gesellschaft verstoßen hat.

Das Feindstrafrecht resozialisiert nicht. Es glaubt nicht, dass sich Menschen ändern können. Geht davon aus, dass ein Mensch immer derselbe bleibt, ob er nun Jugendlicher ist oder schon zum Mittvierziger geworden. Das Feindstrafrecht ist statisch; an Veränderungen glaubt es nicht. Es geht in fataler Ausblendung der Wirklichkeit davon aus, dass man stets derselbe bleibt, egal wie alt man ist, egal welche Erfahrungen man hinzusammeln konnte, egal ob man schon Jahre gesühnt hat. Es ist schlicht gesagt, ein Strafrecht, das nicht die Eingliederung des gesetzesbrecherischen Individuums in die Gesellschaft will: es will Rache! Schnelle, kalte, populistische Rache! Es will nicht den intellektuellen Anspruch erfüllen, dass jeder Mensch mehrere Chancen verdient hat - es will den populistischen Anspruch erfüllen, lauten Applaus für harte, unmenschliche und gegen die Menschenwürde des Täters gerichetete Strafen zu ernten. Es ist ein Strafrecht, das nicht erziehen will - es will aus der Welt schaffen.

Beispielhaftes Spanien

Hierzulande gibt es nicht wenige Strafrechtler, die sich im Angesicht der terroristischen Hysterie dazu verleiten lassen, dem Feindstrafrecht zur Renaissance verhelfen zu wollen. Ihnen geht eine Rechtssprechung im Sinn umher, wie sie Gaztelu neulich über sich ergehen lassen musste. Sie tun dabei so, als habe der bürgerliche Rechtsstaat keine Mittel gegen Straftäter, die im Namen einer Organisation oder einer Ideologie - vulgo: gegen Terroristen -, gegen das Gesetz verstossen haben. Warum ein Mörder dieser Güteklasse nicht mit dem Strafmaß, welches das bürgerliche Strafrecht vorsieht, belegt werden kann, erklären die Feinde des Feindstrafrechts nicht. Mit rationellen Motiven läßt es sich auch kaum erklären. Sie haben sich zu Anwälten der Rache gemacht - Rache kennt keine vernünftige Erklärung, sie ist bloße Emotion.

Spanien ist wegweisend. Die Justiz steht dauerhaft in Kritik. Weil sie politisch motiviert urteilt, Verbrechen nicht als Verbrechen ansieht, sondern nach politischem oder nicht-politischem Gehalt scheidet, ist sie in den Ruch der Korruption gelangt. Terrorismus wird indes ganz pragmatisch definiert. Schon Sympathiebekundungen für mehr baskische Autonomie können bestraft werden. Von der Menschenwürde, die nach 105 Jahren in Haft so verwest ist, wie der Leib desjenigen, den man inhaftiert hat, gar nicht erst zu reden.


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