Es ist alles dermaßen schlimm, dass man nicht weiß, ob man heulen oder kotzen soll – angemessen ist beides, aber helfen tut es doch nicht. Während in Fukushima nicht nur drei Reaktoren vor sich hin kochen, sondern auch das Kühlwasser im Abklingbecken für gebrauchte Brennstäbe – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Durch die ganzen Teilkatastrophen, die bereits in dieser Atomanlage statt gefunden haben, kommt es sogar außerhalb der Reaktoren wieder zu kritischen Reaktionen, bei denen Radioaktivität frei gesetzt wird. Also da, wo eigentlich gar nichts passieren sollte, weshalb es dort auch keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen gibt.
Und weil die Strahlenbelastung mittlerweile so hoch ist, dass auch hartgesottene Atomkonzerne wie Tepco und eine quasi in der Samurai-Tradition wurzelnde Regierung wie die japanische (Hauptsache man verliert das Gesicht nicht) die Arbeiter aus den Trümmern des Atomkraftwerks abziehen, wird die Situation weiter außer Kontrolle geraten.
Auch das ist ein schreckliches Dilemma für sich: Darf man die Ingenieure, die vielleicht noch etwas tun können, in den Strahlentod schicken? Sind diejenigen, die bislang versucht haben, das Schlimmste zu verhüten, nicht ohnehin schon so gut wie tot? Darf man sie opfern, um Millionen zu retten? Das sind unangenehme Fragen, gewiss, aber wer ein Atomkraftwerk betreiben will, muss sie beantworten.
Das gilt auch für die deutsche Bundesregierung. Wobei ich denke, dass ich weiß, wie die Antwort ausfallen wird. Wenn eine Regierung bereit ist, für ihre imperialistischen Vorhaben, die für Idealisten unseres Gesellschaftsmodells mit „Freiheit“ und „Demokratie“ umschrieben werden, Soldaten in den Tod schickt, dann wird sie nicht zögern, auch Menschen für ihren Traum billiger Energie zu opfern. Die Frage ist, ob man lieber bewusst ein paar qualifizierte Fachkräfte in den Tod schickt, oder halt das Schicksal seinen Lauf nehmen lässt, das dann entsprechend mehr Opfer fordert. Davon mal abgesehen, dass ich nie im Leben Atomingenieur hätte werden wollen: Was würde ich tun, wenn ich eventuell durch den Einsatz meines Lebens viele retten könnte? Ich weiß es nicht. Aber weil ich im Grunde meines Herzen halt doch Idealist bin, wenn auch nicht der Freiheit und so weiter – bestimmt würde ich versuchen, etwas zu tun, wenn ich es denn könnte. Die Frage ist, ob hier Menschen tatsächlich noch etwas ausrichten können. Oder ob die Schlacht um Fukushima nicht schon längst verloren ist.
Und das bringt mich zur Lage in Deutschland. Hier ist eindeutig kotzen und nicht heulen angesagt. Genau dieser Regierung, die den beschlossenen Atomausstieg gegen den Willen ihrer Bevölkerung aufgekündigt hat, geht der Arsch jetzt auf Grundeis. Wichtige Landtagswahlen stehen vor der Tür, die Linken zerlegen sich selbst, die SPD sowieso, alles läuft prima und dann das. Der Anlass ist zu traurig, um „geschieht euch grad recht“ zu grinsen. Auch wenn es so ist.
Jetzt sollen die sieben ältesten Atomkraftwerke vom Netz – aber nur vorübergehend. Bis die Wahlen vorbei sind und die Schlagzeilen aus Japan vergessen. Super, der Atomausstieg war eigentlich längst beschlossene Sache – wenn auch nicht von dieser Regierung. Und was die Endlagerung betrifft: Da gibt es noch immer keine Lösung. Was mit gar nicht mal so stark strahlendem Atommüll in angeblichen sicheren Salzstöcken schon nach kurzer Zeit passieren kann, ist derzeit in der Schachtanlage Asse zu sehen. Ein kleines Desaster nur, aber dafür direkt vor der eigenen Haustür.
Überhaupt fällt mir gerade eins auf: Gerade die für die C-Parteien so typische Vermischung aus Technik- und Gottgläubigkeit ist fatal. Man darf doch nicht ausgerechnet die Leute über den Einsatz riskanter Technologien entscheiden lassen, die am Ende glauben, dass Gott seine schützende Hand über die Menschen hält. „Wir sollten Ehrfurcht haben vor der Natur, denn wir wissen, dass wir auch ein Stück weit in Gottes Hand sind“ das hat unsere Bundeskanzlerin am Wochenende gesagt. Und ich frage mich, ist sie nun promovierte Physikerin oder gläubige Pastorentochter? Wie geht das zusammen?
Mag sein, dass der Glaube ein Geschenk ist, für die, die es bekommen haben. Ich komme aus einer religiösen Familie und habe als Kind wirklich versucht, zu glauben, aber es ist mir nicht gelungen. Darüber war ich lange Zeit sehr unglücklich, weil ich dachte, dass mit mir etwas nicht stimmt. Aber inzwischen weiß ich, dass es genau anders herum ist: Mit den anderen stimmt etwas nicht. Man kann doch nicht immer Gott alles in die Schuhe schieben! Selbst wenn er existierte, bin ich sicher, dass es ihm scheißegal wäre, was die Menschen von ihm halten. Wichtig ist nur, was man von seinen Mitmenschen hält. Und wenn man in Kauf nimmt, dass sehr viele von ihnen auf der Strecke bleiben, dann hält man nicht allzu viel von ihnen. Ich weiß nicht, was Gott dazu sagen würde. Aber ich weiß, was ich davon halte.