Familienpolitik am Pranger

Die Familienpolitik ist durch eine ans Licht gekommene soziologische Studie jäh in den Fokus der Aufmerksamkeit gezogen und zum Wahlkampfthema gemacht worden. Die Studie, die das Familienministerium wohl unter Verschluss halten wollte, stellt den meisten familienpolitischen Leistungen - die sich zusammen auf immerhin rund 100 Milliarden Euro summieren - ein verheerendes Zeugnis aus und bemängelt deren mangelnde Effizienz. Während man sich trefflich darüber streiten kann, was denn in der Familienpolitik genau als effizient zu sehen sei, kann der generelle Befund kaum überraschend: Die Familienpolitik ist das Steckenpferd der Union, die darüber großzügige Umverteilungspolitik zugunsten ihrer Klientel trieb. Es zum Wahlkampfthema zu machen ist besonders für die SPD ein zweischneides Schwert. 


Für die Sozialdemokraten nämlich kann kein großes Interesse an dieser Art der Familienpolitik bestehen. Das Geld kommt überwiegend begüterten Haushalten der Mittelschicht zugute, die eher zur Kernklientel der CDU gehören (und der Grünen, die aber aus ideologischen Gründen diese Familienpolitik ablehnen). Lehnt die SPD es aber offen ab, hat sie es schwer, dies mit ihrem selbst gesetzten Thema "Gerechtigkeit" zu kontrastieren, das nun einmal hauptsächlich mit Sozialleistungen gleichgesetzt wird. Für Streichungen in diesem Bereich einzutreten (und so wird es die CDU darzustellen wissen) ist kein Eindruck, den zu erwecken die Partei ein Interesse haben kann. Gleichzeitig bereitet der Bericht medial die Streichungen vor, die Schäuble für die Legislatur 2013-2017 bereits fest eingeplant hat. Abseits des Wahlkampfklimbims aber - was ist von dem Thema zu halten? 

Ich denke, es ist eine gute Sache, dass die Familienpolitik so an den Pranger kommt, denn tatsächlich ist sie eine groteske Geldverschwendung, die ihre angeblichen Ziele nicht erreicht und stattdessen bestehende Verhältnisse zementiert, die eigentlich nicht zementiert werden sollten - vor allem die niedrige Erwerbsbeteiligung von Frauen zugunsten eines voll erwerbstätigen Mannes. Jede Sozialpolitik kann nur zu rechtfertigen sein, wenn sie dazu beiträgt, den Empfänger zu emanzipieren. Genau hier versagt die deutsche Sozialpolitik auf ganzer Linie, indem sie Geld entweder an Menschen umverteilt, die es nicht benötigen oder aber (im Falle der Hartz-IV-Gesetzgebung) an so viele Bedingungen knüpfen, dass eigene Entscheidungen zu treffen kaum mehr möglich oder nötig ist. In der Familienpolitik ist besonders das erste Problem frappant. Wohlgemerkt: Das ist kein Plädoyer, die Leistungen einfach zu streichen. Es ist ein Plädoyer, sie sinnvoller zu gestalten. Im Folgenden sollen die einzelnen Leistungen (entnommen dieser - fragwürdigen -  Aufstellung der Zeit) kurz debattiert werden.

Fall 1: Kindergeld
Das Kindergeld beträgt 184 Euro im Monat für das erste Kind. Es wird aber einkommensunabhängig ausbezahlt, was Unsinn ist. Die Leistung soll helfen, Kinderarmut zu verhindern. Da es voll auf Hartz-IV angerechnet wird, nützt es den untersten Schichten überhaupt nicht, während es in unteren Schichten, in denen Kinderarmut tatsächlich eine Bedrohung ist, zu niedrig ist um volle Wirkung entfalten zu können. In begüterten Haushalten dagegen ist es eine reine Transferleistung, die sinnlos auf das Familieneinkommen gekippt wird. Auch, dass das Kindergeld bis 25 erweiterbar ist - besonders im Falle eines Studiums - ist Unfug. Das Geld wäre vernünftiger in einer Verbesserung der Bildungsinfrastruktur angelegt, wo man dann auch auf Studiengebühren verzichten könnte. 

Fall 2: Mitversicherung von Familienangehörigen
Diese Maßnahme ist in meinen Augen sinnvoll wie sie ist. Ob sie als familienpolitische Maßnahme zu zählen ist? Eher fraglich. Hier geht es wohl vor allem darum, den Etat möglichst hochzurechnen, um die geplanten Kürzungen besser vertreten zu können. Frank Lübberding weist übrigens auf den potenziellen Sprengstoff in einer Streichung dieser Leistung hin, ein wahrhaft düsteres Szenario.

Fall 3: Ehegattensplitting
Die heilige Kuh der CDU, die das "traditionelle" Familienbild ernennt. Die dümmste Maßnahme überhaupt. Am meisten profitieren von ihr verheiratete, kinderlose Paare, wo der eine Partner Millionen macht und der andere zuhause bleibt. Hilft weder den Paaren, die Kinder haben, noch der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Das Problem ließe sich dabei recht einfach lösen: statt Ehegattensplitting Kindersplitting. Der Mechanismus bleibt erhalten, aber statt dem Trauschein ist die Geburtsurkunde die Zugangsberechtigung. 

Fall 4: Kitaplätze
Viel sinnvoller kann man Geld in der Familienpolitik kaum ausgeben, aber hier wird viel zu wenig getan. Wir werden auf diesen Punkt zurückkommen. 

Fall 5: Rentenversicherung
Bis zu drei Jahre Erziehungszeit lassen sich auf die Rente anrechnen. Hier wäre eine dringend notwendige Reform, ähnlich dem Modell des Elterngeldes die volle Zeit nur zu gewähren, wenn beide Partner eine Auszeit nehmen und ansonsten eine schnelle Wiedereingliederung in den Beruf zu forcieren. Das Einrechnen der Rentenversicherungsleistungen allerdings ist methodisch mehr als fragwürdig, da die Witwenrente mit einberechnet wird; der Nutzen ist wohl derselbe wie bei 2).

Fall 6: Erziehungshilfen
Hier habe ich keine Expertise, aber ich gehe davon aus, dass das Geld sinnvoll angelegt ist. 

Fall 7: Elterngeld
Die wohl dümmste familienpolitische Innovation der letzten 30 Jahre. Das Geld landet hauptsächlich bei denen, die es nicht brauchen, und erfüllt daher den anvisierten Zweck einer höheren Geburtenrate unter Gutverdienern nicht. Stattdessen kostet es hauptsächlich und blockiert Mittel für sinnvolle Maßnahmen. Ein Beispiel: Während eine einkommensschwache Familie die 300 Euro Mindestbeitrag bekommt, kostet eine Kindertagesstätte rund 400 Euro. Würden die Kitaplätze ausgebaut und kostenfrei gestellt, hätten die einkommensschwachen Haushalte wesentlich mehr davon, die ärmeren Kinder Zugang zu besserer Erziehung, und billiger wäre es wahrscheinlich auch. 

Fall 8: Betreuungsgeld
Müssen wir eigentlich nicht ernsthaft debattieren. Der größte Hirnfurz seit dem Elterngeld.

Die Frage ist, ob diese Diskussion im Wahlkampf vernünftig geführt werden wird. Die größte Hoffnung sind hier die Grünen, denn die Piraten - denen das Thema eigentlich auch am Herzen liegen sollte - dürfte die Debatte eher kalt erwischen. Mit familienpolitischen Positionen sind sie bisher nicht aufgefallen, aber es wäre eine großartige Gelegenheit sich entsprechend zu profilieren. Problematisch ist allerdings die Stoßrichtung des Ganzen. Der Spiegel, der die Story losgebrochen hat, erhielt die Studie über - das Finanzministerium. Da läuten alle Alarmglocken. Es war eine gezielte Indiskretion von Schäubles Leuten.

Da die Debatte bislang ausschließlich in den Medien geführt wird, konnten die Wahlkämpfer erst einmal abwarten und sehen, woher der Wind weht. Und man muss sagen, für die CDU und FDP weht er günstig. Für eine bereits fertig recherchierte und leicht zur Sensation aufzubauschenden Story (Der Bericht war ja geheim!) machen sich die Medien hier zu Handlangern. Das ist das wahrlich beunruhigende an der ganzen Geschichte, was jede ernsthafte Debatte bald auch im Hintergrundrauschen ersticken wird. Die oben angesprochenen Änderungen wird es daher kaum geben, stattdessen wird es nur darum gehen, eigene Ansprüche abzusichern und die Kürzungen auf die abzuschieben, die sich nicht wehren können - Stichwort Familienversicherung. Wenn, wie ich vermute, tatsächlich die CDU dahintersteckt, war dies ein sehr cleverer Schachzug von ihr, das muss man ihr lassen.


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