Fall Madeleine McCann - beispiellos in der Kriminalgeschichte
Es handelt sich um eine der umfangreichsten und teuersten Untersuchungen in der Kriminalgeschichte. Die portugiesische Polizei ermittelte seit 2007 intensiv, stellte ihre Ermittlungen mangels Ergebnisse 2008 aber zunächst ein. Aufgrund neuer Indizien wurden die Behörden im Oktober 2013 dann erneut aktiv. Allerdings zunächst ohne Erfolg.
Ganz zu Anfang waren sogar die Eltern Kate und Gerry McCann unter Verdacht geraten. Seit 2011 suchte die britische Polizei im Rahmen der „Operation Grange" nach einer Spur. Die Eltern zeigten sich bis in die jüngste Vergangenheit hinein stets davon überzeugt, dass ihre Tochter noch lebt.
Bereits im vergangenen Jahr, am 25. Juni 2019, berichtete das britische Blatt „Mirror", im mysteriösen Fall des vermissten britischen Kindes gebe es offenbar eine neue Spur und die Ermittler stünden kurz vor einem Durchbruch. Wie das Blatt damals berichtete, untersuchte die Polizei in den Wochen zuvor „neue Hinweise" und habe einen „neuen Verdächtigen" im Visier - einen ausländischen Mann, der 2007 im Urlaubsort Praia da Luz an der portugiesischen Algarve war.
Frühjahr 2019: Neue Hinweise Richtung Deutschland im Fall Madeleine McCann
Unklar blieb zu jener Zeit, an welchem Ort und in welchem Land sich der Mann befand. Schon Anfang Mai 2019 hatten einige Boulevard-Medien über eine neue Spur gemutmaßt, die nach Deutschland geführt habe - zu einem verurteilten Kindermörder. Das war zu einem Zeitpunkt, als die Sonder-Ermittler der so genannten „Operation Grange" bereits die Einstellung der Untersuchungen über das rätselhafte Verschwinden der damals knapp vier Jahre alten Tochter des Ehepaars Kate und Gerry McCann vorbereitet hatten.
Gonçalo Amaral, allererster leitender Ermittler im Fall Maddie, wurde im Frühjahr 2019 in britischen Medien mit dem Hinweis zitiert, dass man derzeit Verbindungen zu einem dreifachen Kindermörder aus Deutschland prüfe. Die Zeitung "Sun" nannte sogar dessen vollen Namen. Wer nach diesem im Internet recherchiert, stößt auf einen vom Landgericht Stade 2012 verurteilten heute 49-jährigen Bremer. Er erhielt lebenslange Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung.
Unterschiedliche Mutmaßungen über hauptverdächtigen Deutschen
Während britische Zeitungen diesen als Hauptverdächtigen handelten, wollte die portugiesische Boulevardzeitung "Correio da Manhã" jedoch bereits von einem anderen Verdächtigen erfahren haben. Die Ermittlungen drehten sich nicht um den verurteilten Bremer, hieß es damals ausdrücklich. Auch die portugiesische Zeitung Observador wies jetzt am 4. Juni 2020 darauf hin, dass die Kriminalpolizei im Lande Ermittlungen gegen den Bremer weder damals noch heute bestätigte:
„Der jetzt als Maddies möglicher Entführer identifizierte Verdächtige befindet sich tatsächlich in Deutschland in Haft, aber er ist nicht (Name von Algarve für Entdecker getilgt)". Observador
Für aufmerksame Beobachter blieb nicht verborgen, dass der von Gutachtern als pädophil eingeschätzte Häftling aus Bremen 49 Jahre alt ist, der von der deutschen Polizei aber jetzt als Hauptverdächtiger bezeichnete blonde, weiße Mann jedoch 43 Jahre alt sein soll. Er, der nach Polizeiangaben zwischen 1996 und 2007 in Portugal lebte, sitzt wegen eines anderen Verbrechens im Gefängnis. Er ist wegen mehrerer Delikte vorbestraft, darunter Vergewaltigung und Kindesmissbrauch.
Während seines Algarve-Aufenthalts soll er seinen Lebensunterhalt auch durch die Begehung von Straftaten wie Einbruchdiebstählen in Hotelanlagen und Ferienwohnungen sowie Drogenhandel bestritten haben, so die deutsche Polizei. Er verfügte laut diesen Angaben nicht nur über eine Wohnung in Praia da Luz, sondern nutzte immer wieder ein leer stehendes Haus im Landesinneren (unser Beitragsbild), rund 15 Kilometer vom Badeort entfernt - vermutlich für die Lagerung von Diebesgut.
Sie vermutet, dass er als 30-Jähriger, der damals ein unstetes Leben mit Gelegenheitsjobs in der Gastronomie geführt habe und in seinem Wohnmobil an Portugals Südküste herumgestreunt sei, Maddie getötet hat. Laut portugiesischem Fernsehsender TVI musste sich der Deutsche Ende 2019 wegen brutaler Vergewaltigung einer Frau verantworten, die sich zum Zeitpunkt von Maddies Verschwinden in Praia da Luz aufhielt. Wie das deutsche Magazin "Spiegel" erfahren haben will, soll das Vergewaltigungsopfer eine Seniorin sein. Die Braunschweiger Zeitung meldet, es handele sich um eine 72-Jährige aus Nordamerika. Der Verdächtige, dessen Vergewaltigungs-Urteil noch nicht rechtskräftig sei, werde auch mit Drogenhandel und Gelegenheitseinbrüchen in Verbindung gebracht. Hingegen berichtete ein NDR-Korrespondent, der mutmaßliche Täter sitze in Kiel ein und habe rund zwei Drittel seiner Haftstrafe bereits verbüßt.
Fall Madeleine McCann: War es Christian B.?
Nach Informationen der Spiegel-Redaktion handelt es sich bei dem Verdächtigen um Christian B. Das portugiesische Boulevard-Blatt Correio de Manhã veröffentlicht sogar den vollen Namen. Portugal soll den Mann 2017 nach Deutschland ausgeliefert haben. Er wurde dann zunächst wegen Drogenhandels und 2019 in Braunschweig wegen Vergewaltigung einer Seniorin in Portugal verurteilt.
Was das Motiv hinter dem Verschwinden von Madeleine McCann betreffe, so deutet alles „auf Motive sexueller Natur hin", so TVI. Die britische Polizei ermittelt offenbar bis auf weiteres nach wie vor wegen spurlosen Verschwindens, also in einem Vermisstenfall. Sie geht bislang noch nicht von einem Mord an Maddie aus. Laut portugiesischer Kriminalpolizei PJ haben britische Behörden die Familie McCann inzwischen über den gegenwärtigen Ermittlungsstand informiert.
Das sagen die Eltern Kate und Gerry zur Entwicklung im Fall Madeleine McCann
Die Eltern Kate und Gerry McCann teilten am Donnerstag, 4. Juni, über ihren Sprecher Clarence Mitchell mit, sie hielten die Entwicklungen in dem Fall ihrer Tochter für "sehr bedeutsam" hielten. "Sie haben die Hoffnung nie aufgegeben, dass sie vielleicht noch lebend gefunden wird, aber sie sind realistisch", sagte der Sprecher in der BBC.
Staatsanwaltschaft Portimão vernimmt weitere Zeugen im Fall Madelein McCann
Am Donnerstag, 6. Juni, bestätigte die zuständige Staatsanwaltschaft in einer Erklärung, die Ermittlungen der Abteilung Portimão der regionalen Strafverfolgungsbehörde hätten niemals aufgehört, seit Maddie 2007 an der Algarve verschwand. Der Fall werde „mit der gebotenen Sorgfalt" untersucht, es fänden weitere Zeugenvernehmungen statt, versicherte die Staatsanwaltschaft.
"Im Rahmen dieser Untersuchung werden alle strafrechtlich relevanten Tatsachen, die der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis gelangen, beurteilt, alle relevanten Schritte unternommen und gegebenenfalls Mechanismen der internationalen Justiz-Zusammenarbeit in Gang gesetzt", insbesondere mit den britischen und deutschen Behörden, fügte sie hinzu.
Fall Madeleine McCann: Zwei Autos und zwei Mobiltelefone im Fokus
Der neue Hauptverdächtige soll damals, als Maddie verschwand, im Raum Praia da Luz zwei Fahrzeuge benutzt haben: einen Volkswagen Caravan, Modell T3, in weißer Farbe mit gelbem Sockel und einen dunkelfarbigen Jaguar XJR aus den 90-er Jahren. Wer als Urlauber oder Resident in dieser Zeit Fotos oder Videos in Praia da Luz gemacht habe, ist gebeten, diese daraufhin zu prüfen, ob die beiden Autos darauf zu sehen sind. Das Bundeskriminalamt nimmt entsprechendes Material über das Portal bka.hinweisportal.de entgegen.
Auch Informationen über Telefonate zwischen zwei portugiesischen Handys sucht die Polizei. Eins hat die Nummer 00351 912 730 680 und wurde am Abend des 3. Mai benutzt. Angerufen wurde diese Nummer zwischen 19:32 Uhr und 20:02 Uhr in der Gegend von Praia da Luz von einem Mobiltelefon mit der Nummer 00351 916 510 683 aus. Dieser Anrufer könne ein hochbedeutender Zeuge sein, sagt die Polizei und ist dankbar für jeden Hinweis. Aufzeichnungen der Mobilfunkunternehmen aus jener Zeit gibt es nicht mehr.
Überblick über Theorien und Spekulationen im Fall Madeleine McCann
Mitte Juli 2019 rief die von den Eltern eingerichtete Webseite Find Madeleine Touristen dazu auf, Poster von Madeleine McCann auf geplante Auslandsreisen mitzunehmen und dort zu nutzen. Diese kann man auf der Seite herunterladen, ebenso wie Gepäckanhänger. Das Poster ist in 17 Sprachen, darunter Deutsch, übersetzt. Im Text des Plakats heißt es, Madeleine McCann sei 2007 entführt worden. Gezeigt wird ein Bild mit dem damaligen Aussehen von Maddie und eine Simulation ihres möglichen Aussehens im Alter von sechs Jahren.
Anfang April 2019 berichtete die britische Zeitung „The Sun" über einen DNA-Experten aus den USA, der sich anonym gemeldet und behauptet habe, mit modernsten Tests an damals sichergestelltem Spuren-Material aus der Ferienwohnung und dem Mietwagen der McCanns könne man zu neuen Anhaltspunkten und Bewertungen kommen. Zum Hintergrund: 2007 hatten zwei Leichenspürhunde angeschlagen, als sie in der Wohnung waren und auch den Mietwagen beschnüffelt hatten. Damals hatte das aber nicht zu weiteren Erkenntnissen geführt.
Mitte März 2019 startete der Videostreaming-Dienst Netflix eine achtteilige Dokumentation mit dem Titel „Das Verschwinden von Madeleine McCann". Die Eltern hatten eine Beteiligung abgelehnt, weil sie von der Dokumentation nicht erwarteten, zum Auffinden der Tochter Maddie beizutragen. Sie vermuteten laut dem Blatt Daily Mail sogar, dass polizeiliche Ermittlungen dadurch möglicherweise sogar behindert werden könnten.
Kurz zuvor hatte sich die Kriminologin Pat Brown gegenüber der Zeitung Daily Star erneut zu einer irischen Familie namens Smith geäußert, die einen Mann gesehen hat, der womöglich Maddie entführt haben soll. Dies geschah rund 150 Meter vom Strand von Praia da Luz entfernt, wobei er die mit einem Schlafanzug bekleidete Kleine auf den Armen getragen haben soll. Ähnliches will eine Dreiviertelstunde vorher auch eine Freundin der McCanns, Jane Tanner, beobachtet haben. Weil die Familie Smith und Jane Tanner unabhängig voneinander die gleiche Beobachtung gemacht haben sollen, wäre es nach Ansicht von Brown notwendig, diese Spur weiter zu verfolgen.
Allerdings hatte damals auch ein Arzt seine Tochter durch den Ferienort Praia da Luz an der felsigen West-Algarve getragen. Nach seiner Befragung wurde die Spur nicht weiter verfolgt.
Kurz vor Weihnachten 2018 hatte die Londoner Polizeipräsidentin Cressida Dick erklärt, die Suche nach Madeleine McCann werde so lange fortgesetzt, bis ein Ergebnis vorliege. Sie reagierte damit indirekt auf Kritik an den hohen Kosten der bislang nutzlosen Suchaktion. Laut Medienberichten sind mehr als 12 Millionen britische Pfund für die Aktion investiert worden. Die McCanns hatten sich damals persönlich an den seinerzeitigen britischen Premierminister David Cameron gewandt und um Unterstützung gebeten. Cameron ist auch ein Liebhaber der Algarve, in der Region gut vernetzt und besitzt ein Haus im gebirgigen Hinterland, im Kreis Monchique.
Schon Ende November 2018 hatte der pensionierte Ermittler David Edgar die Überzeugung geäußert, dass die vermisste Maddie noch lebe, von Entführern aber „höchstwahrscheinlich" in einem unteriridischen Keller oder Kerker in Gefangenschaft gehalten werde. Wie der dem britischen Medium „The Sun" gegenüber vermutete, könne das Kind, das heute 16 Jahre alt ist/wäre, von einer Sex-Gang, die sich auf Kinder spezialisierte, entführt worden sein. Als Privatdetektiv im Auftrag der Eltern hatte Edgar selbst drei Jahre lang ermittelt und seine Erkenntnisse an das Team der Operation Grange übermittelt.
Der Fall Madeleine McCann: Die Berichterstattung von Boulevard-Medien sorgte für Kritik
Immer wieder hatte es in dem mysteriösen Vermisstenfall obskure Theorien gegeben, welche einige Medien der „Yellow Press" - sowohl Klatsch-Blätter als auch Online-Medien - genüsslich aufgriffen, um Auflagenzahlen zu steigern und Reichweite-Quoten zu erhöhen. So äußerte ein Ex-Polizeichef 2018 die Meinung, der britische Geheimdienst könne in die Maddie-Sache verwickelt sein und wolle ein Verbrechen vertuschen. Anfang 2018 war unter mysteriösen Umständen ein Privatermittler gestorben, der bei der Aufklärung des Falls Madeleine McCann hatte helfen sollen.
Über den Fall selbst und seine Behandlung in bestimmten Medien hat Algarve für Entdecker mehrmals zusammenfassend berichtet, z.B. in diesen Artikeln aus 2020, 2019, 2018 und 2017:
Madeleine McCann: Damit überrascht Portugals Polizei am 12. Jahrestag Algarve-Fall Maddie: Ex-Verdächtiger entschädigt Madeleine McCann - von Medien missbraucht 10 Jahre Madeleine McCann vermisst - Chronologie eines mysteriösen Falls Maddie zehn Jahre verschwunden: Praia da Luz will zur Ruhe kommen