Fall Kachelmann: Wird es wirklich langsam lächerlich?

Fall Kachelmann: Wird es wirklich langsam lächerlich?

© Gerd Altmann / pixelio.de

So jedenfalls lautet die Schlagzeile des Kollegen Thomas Stadler, Fachanwalt für IT-Recht und für Gewerblichen Rechtsschutz, in seinem durchaus viel beachteten Blogeintrag (Internet-Law » Bei Kachelmann wird es langsam lächerlich).

Seine Thesen:

  1. Prof. Ralf Höcker als Vertreter des Wettermoderators Jörg Kachelmann „beglücke“ die Aussenwelt regelmässig mit Meldungen über neue Unterlassungsverfügungen im einstweiligen Rechtsschutz.
  2. Das Landgericht Köln könne mit seiner Entschädigung, einer amtierenden Staatsanwältin zu untersagen, die Nebenklägerin aus dem Kachelmann-Prozess weiterhin als „Opfer“ oder „Geschädigte“ zu bezeichnen, über das Ziel hinausgeschossen sein.
  3. Es sei fraglich, ob die Kanzlei des Prof. Höcker die Nebenklägerin als „Erfinderin des Vergewaltigungsvorwurfs“ bezeichnen dürfe.
  4. Die ständigen Unterlassungsverfahren des Jörg Kachelmann bedienen allenfalls den „Streisand-Effekt“, führen also dazu, dass eine unerwünschte Information gerade nicht unterdrückt, sondern sogar besonders bekannt gemacht werde.

Überwiegend teile ich die Ansichten des Kollegen Stadler, und trotzdem möchte ich sie gerne ein wenig ergänzen:

Gerade der Fall Kachelmann ist davon geprägt, dass insbesondere diejenigen Informationen und Stellungnahmen, die im Internet verbreitet werden, sehr schnell weitergegeben, zitiert und kopiert werden – und häufig ist es so, dass solche Informationen, die dann später freiwillig oder unfreiwillig aus dem Netz verschwinden, zu diesem Zeitpunkt schon ein Eigenleben entwickelt haben.

Ein Beispiel:

Ganz zu Beginn des Falles Kachelmann gab sein Unternehmen eine Presseerklärung heraus. Diese ist längst aus dem Internet verschwunden, doch trotzdem hat sie nicht unerhebliche Spuren hinterlassen, zB. hier: http://netplosiv.com/201042450/krimi…eine-stalkerin:

„Auch im Umfeld von Jörg Kachelmann kann man sich offenbar nicht vorstellen, um wen es sich bei der Anzeigenerstatterin handeln könnte.

Ein enger Geschäftspartner von Kachelmann erklärte in der Bildzeitung, Kachelmann habe in Schwetzingen niemals eine langjährige Bekanntschaft gepflegt.
Der Geschäftspartner erhebt sogar schwere Anschuldigungen gegen die Anzeigenerstatterin und spricht von „Stalking“.“

Nun hat sich Jörg Kachelmann selbst schon in seiner ersten Vernehmung nach seiner Verhaftung nicht nur umfänglich zum Tatvorwurf an sich geäussert, sondern auch zu seiner langjährigen Beziehung zur Nebenklägerin (zB. hier dokumentiert:  http://www.welt.de/vermischtes/artic…-Unschuld.html). Er hat also mitnichten geleugnet, sie zu kennen oder mit ihr eine Beziehung unterhalten zu haben.

Und trotzdem „geistert“ durch viele Internetforen und Blogs die falsche Behauptung, Kachelmann habe bis zu dem Zeitpunkt, an dem man ihm das Gegenteil nachgewiesen habe, eine Beziehung zu der Nebenklägerin verleugnet – und zwar unter Bezugnahme auf die Presseerklärung des Unternehmens zum Zeitpunkt seiner Untersuchungshaft.

Daran zeigt sich, dass allein die einstweilige Verfügung und die dann (eventuell) folgende Löschung der fehlerhaften Erklärungen nicht unbedingt ausreichend ist – und deswegen könnte es durchaus bedenkenswert sein, ob neben einem „Werben in eigener Sache“ die Presseerklärungen nicht auch ein durchaus nachvollziehbarer Versuch sind, „Gegenöffentlichkeit“ zu schaffen.

Den Artikel der Frau Staatsanwältin Dagmar Freudenberg hatte schon vor der Kenntnis der einstweiligen Verfügung gelesen, und schon damals habe ich mich über die Formulierungen in Bezug auf den Prozess Kachelmann gewundert. Immerhin ist Frau Staatsanwältin Freudenberg nach den dortigen Angaben gleichzeitig Referentin im Niedersächsischen Justizministerium für Opfer häuslicher Gewalt und Opferschutz und Vorsitzende der Kommission Strafrecht des Deutschen Juristinnenbundes. Da kann man doch wohl davon ausgehen, dass sie genau weiss, was sie in der FAZ.net schreibt – und welche Botschaft mit bestimmten Worten transportiert wird. Der Artikel selbst ist mit einem durchaus eindeutigem Bild der Nebenklägerin versehen, diese wird ohne jede Einschränkung als Geschädigte bezeichnet und sie wird in einen direkten Zusammenhang mit „Opfern in weniger bekannten Verfahren“ gestellt.

Sehr beachtenswert ist in diesem Zusammenhang der genauso wie der Beitrag selbst immer noch, wenn auch versteckter nachzulesende Kommentar eines Herrn Karsten Hake:

„Sehr geehrte Frau Freudenberg,
mit Spannung und Aufmerksamkeit habe ich Ihren Beitrag gelesen. Doch bereits im ersten Absatz „stolpert“ man als (fachkundiger) Leser. Dies stellt sich anlässlich der Verwendung des Begriffs „Geschädigte“ ein. Sowohl als einfacher Bürger, gerade aber auch – und insbesondere – als Jurist vertrete ich die Auffassung, dass Urteile Beachtung finden müssen. Kommt ein Strafgericht zu der Überzeugung, dass ein Angeklagter freizusprechen ist, dann kann es keinen Freispruch zweiter Klasse geben. Einen solchen zu fordern oder zwischen den Zeilen selbst identifizieren zu können, sollte Boulevard-Blättern vorbehalten bleiben. Soweit Sie von der Zeugin als „Geschädigte“ sprechen, geben Sie zu erkennen, dass Sie offenbar anderer Auffassung sind als ich und dem allgemeinen, juristischen Konsens fernstehen. Freilich findet sich am Ende des Artikels der Hinweis, dass dieser (nur) Ihre Meinung widerspiegele. Sich der Auffassung zu verschreiben, von der Zeugin als „Geschädigte“ oder gar „Opfer“ zu sprechen, ist sicherlich zulässig. Meines Erachtens dann aber als Privatperson Dagmar Freudenberg. Nicht aber als Staatsanwältin Dagmar Freudenberg.“

Auch ich teile viele der Auffassungen der Staatsanwältin Freudenberg in dem dortigen Beitrag, was den Ablauf von Strafverfahren, den Schutz von Anzeigerstattern und die wünschenswerten Veränderungen in Theorie und Praxis betrifft – aber all dies ändert eben nichts daran, dass die Einleitung des Beitrags unglücklich ist – und das Landgericht Köln jedenfalls nach meiner unmassgeblichen Meinung nicht über sein Ziel hinausgeschossen sein dürfte, wenn es dies missbilligt.

Ich gebe natürlich zu, dass man darüber trefflich streiten kann, und so wird es durchaus interessant sein, ob diese Entscheidung Bestand haben wird – immerhin steht der Artikel ja noch unverändert im Internet.

Bedauerlich finde ich allerdings , dass Frau Freudenberg der Sache selbst keinen Gefallen getan hat: egal, wie am Ende das einstweilige Verfügungsverfahren ausgehen wird, ihre ansonsten lesenswerten Ausführungen sind dadurch entwertet, dass man ihr immer vorwerfen kann, sie habe sich auf die Seite derjenigen gestellt, die einen erstinstanzlich Freigesprochenen im Nachhinein weiterhin zumindest in die Nähe einer Täterschaft rücken. Schon die Schwerpunktsetzung des von mir wörtlich zitierten Leserkommentars zeigt dies nach meiner Einschätzung eindeutig.

In voller Übereinstimmung befinde ich mich im übrigen mit den Zweifeln des Kollegen Stadler, ob man die Nebenklägerin als “Erfinderin des Vergewaltigungsvorwurfs“ bezeichnen kann und darf – und sogar sicher bin ich mir, dass man es aus dem „Lager Kachelmann“ heraus taktisch nicht tun sollte. Wenn man selber den Anspruch erhebt, alle spekulierenden Anfeindungen gegen sich tilgen und verhindern zu wollen, sollte man selbst nicht in ähnlicher Art und Weise versuchen, die Nebenklägerin – die man durchaus zu Recht als eine der Gegnerinnen identifiziert hat – zu attackieren. Hier tut sich Herr Kachelmann nach meiner Einschätzung keinen Gefallen, denn seine derzeit (noch ist das Urteil nicht rechtskräftig) durchaus verständliche Verbitterung über die Anschuldigungen und sein ebenfalls verständlicher Wunsch nach öffentlicher Rehabilitierung werden durch solche Äusserungen nicht befördert.

Zum Abschluss: man mag darüber nachdenken, ob es manchmal nicht besser ist, eine Anfeindung zu ignorieren – und es wird interessant sein, zu beobachten, wie tief der Wettermoderator und seine Rechtsanwälte noch in den Medien und im Internet graben, wenn es um die Tilgung von Vor- und Nachverurteilungen geht; der Streit mit einem Internetportal zeigt jedenfalls, dass da durchaus noch Luft nach unten (bezogen auf die Wichtigkeit, nicht auf den Inhalt der jeweiligen Angebote) ist. Ob man allerdings schon bei dem „Angriff“ gegen die Veröffentlichung einer der durchaus führenden deutschen Zeitungen den „Streisand-Effekt“ zitieren sollte, da bin ich mir unsicher. Ich persönlich wäre jedenfalls auch nicht sehr erbaut darüber, derartig in FAZ.net an den virtuellen Pranger gestellt zu werden…

Dass allerdings die einstweilige Verfügung und ihre Veröffentlichung der – bisher immer noch im Netz befindlichen – Fundstelle  massiven Zulauf beschert haben dürfte, ist auch von mir nicht zu bestreiten.


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