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Die Bild-Zeitung macht heute mit einer für mich sehr verwirrenden Schlagzeile im Internet auf: angeblich soll der Therapeut der Anzeigerstatterin, Dr. Günter Seidler, den Herr RA Schwenn aufgrund seiner unorthodoxen Methoden für einen Scharlatan hält, behauptet haben, er sei am Tag der Freilassung des Herrn Jörg Kachelmanns aus der Untersuchungshaft am 29. Juli 2010 vom Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Karlsruhe angerufen worden; angeblich habe dieser ihn, Seidler mit folgenden Worten gewarnt: „Wir lassen jetzt den Kachelmann raus, bring deine Patientin in Sicherheit, es könnte sein, dass der die umbringt.“
Tag 24 im Vergewaltigungs-Prozess: Fürchteten Richter um das Leben der Geliebten von Kachelmann? – News – Bild.de.
Nun, atmen wir erst einmal tief durch und überlegen dann, wie der tatsächliche Ablauf war (wobei wir uns sicherlich an der Pressemitteilung des OLG Karlsruhe orientieren können (Oberlandesgericht Karlsruhe – Jörg Kachelmann: Haftbeschwerde hat Erfolg):
23.02.2010 – Festnahme Kachelmanns.
17.05.2010 – Anklageerhebung.
01.07.2010 – Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung des Haftbefehls durch das LG Mannheim.
01.07.2010 – Haftbeschwerde.
02.07.2010 – Nichtabhilfe durch das LG Mannheim.
09.07.2010 – Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens.
29.07.2010 – Erfolg der Haftbeschwerde und Aufhebung des Haftbefehls wegen fehlendem dringenden Tatverdacht.
29.07.2010 – Presseerklärung des OLG Karlsruhe
So weit zum zeitlichen Ablauf. Man sieht, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung der grösste Druck aus dem Verfahren heraus war – Anklage war erhoben und eröffnet, Beweise – mutmasslich – gesichert, eine geraume Zeit der Haft lag hinter dem Angeklagten. All dies deutet nur sehr wenig auf die Gefahr einer solchen Wahnsinnstat wie der Tötung des mutmasslichen Opfers durch den angeblich Täter hin.
Stellt sich als Nächstes die Frage, wer denn der Anrufer aus dem OLG Karlsruhe gewesen sein könnte. Den Geschäftsverteilungsplan des OLG Karlsruhe für das Jahr 2010 habe ich nicht mehr gefunden, aber denjenigen für das Jahr 2011 (Oberlandesgericht Karlsruhe – Geschäftsverteilungsplan.); gehen wir mal davon aus, dass sich an der Besetzung nichts geändert hat, dann wären dies also folgende Richter:
3. Strafsenat
Vorsitzender Richter am OLG Schwab
Richter am OLG Münkel (stellv. Vors.)
Richterin am OLG Hecking
Richter am LG Schmid
Geschäftskreis:
Strafsachen und Bußgeldsachen aus den Bezirken der Landgerichte Karlsruhe, Konstanz, Mannheim, Mosbach, Waldshut-Tiengen und Offenburg, soweit nicht die Zuständigkeit des 1. Strafsenats oder des 2. Strafsenats begründet ist.
Dann kommen also in Frage der Herr RiOLG Schwab oder zur Not noch der Herr RiOLG Münkel – wenn man mal unterstellt, dass ein in der Organisation von Gerichten vielleicht Unerfahrener den Vorsitzenden und den stellvertretenden Vorsitzenden verwechselt hat.
Und damit hätten wir doch durchaus belastbare Überprüfungsmöglichkeiten für den Umstand, ob Herr Seidler die Wahrheit sagt:
- die Akten des OLG Karlsruhe, denn über ein solches Telefonat muss es doch einen Aktenvermerk geben
- eine dienstliche Stellungnahme der Richter, ob und mit welchem Inhalt sie solche Telefonate geführt haben
Es bleibt abzuwarten, ob das LG in Mannheim nun wenigstens mit dieser Frage beschäftigt, denn aufschlussreich wäre nicht nur ein solches Telefonat – wenn es denn dann tatsächlich stattgefunden hat -, sondern auch die Motivation des Vorsitzenden Richters am OLG Karlsruhe für einen solchen Anruf.
Aber mir stellen sich schon einige Fragen:
- Warum ruft ein Richter, dessen Senat an demselben Tag einen Untersuchungshäftling freilässt – und zwar wegen des Wegfalls eines dringenden Tatverdachts – den Therapeuten der Anzeigeerstatterin an? Und zwar in einem Augenblick, als gerade dieser Richter an folgender Begründung für die Aufhebung des Haftbefehls mitgewirkt hat: “Zur Begründung hat der Senat insbesondere darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf den den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin die Fallkonstellation der „Aussage gegen Aussage“ vorliege. Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der verfahrensgegenständlichen Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht. Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.“
- Und warum ruft der Richter nicht etwa die die Staatsanwaltschaft oder die Polizei an, damit diese etwas zum Schutz des Opfers im Wege der Gefahrenabwehr tut – oder eventuell seinen Kollegen, den Vorsitzenden beim LG Mannheim, damit dieser etwas Derartiges unternimmt?
- Und warum informiert er nicht auch die beteiligten Anwälte, insbesondere den der Anzeigeerstatterin, nicht zuletzt aber auch den des Angeklagten, der seinen Einfluss auf den Angeklagten nützen könnte?
Für mich wäre ein solches Verhalten eine vorsitzenden Richters am OLG, wie es jetzt die Bild-Zeitung unter Berufung auf eine Aussage des Therapeuten Seidler vermutet – nun ja, sagen wir mal äusserst ungewöhnlich, denn immerhin geht es doch um die Befürchtung der Tötung eines Menschens. Ich habe jetzt keine umfänglichen Erfahrungen in solchen Situationen bei Strafprozessen, aber ich habe es schon ein paar Mal erlebt, dass es gerade in Familiensachen Anzeichen dafür gab, dass es im Rahmen eines Verfahrens zu körperlichen Übergriffen kommen könne. In all diesen Verfahren hat es eine Abstimmung zwischen dem Gericht und den Anwälten gegeben – denn schliesslich sind wir Anwälte ja auch Organe der Rechtspflege und haben darüber hinaus keine Lust, in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Auch sind ein paar Mal Justizbeamte zu den Sitzungen hinzu gezogen worden, aber mit Dritten ausserhalb der Rechtspflege ist das nie besprochen worden. Und wenn der Verdacht auf Gewalttätigkeiten ausserhalb des Gerichtssaals bestand, war immer der erste Anruf derjenige bei den zuständigen Polizeibehörden.
Und um hier nicht einen falschen Eindruck zu erwecken: eine solche Abstimmung dient der Gefahrenabwehr und hat nichts mit Vorverurteilung zu tun. Und bei mir war bisher allen Gerichtsverfahren die Sorge umsonst – wobei ich natürlich nicht sagen kann, ob sie tatsächlich umsonst war oder eben die insoweit ergriffenen Massnahmen im Vorfeld ihre Wirkung gezeigt haben. Ausserhalb des Gerichtssaales waren die Massnahmen, die die Polizei dann ergriffen hat, auch bisher immer ausreichend, ohne dass Dritte eingeschaltet werden mussten.
Ich bin nach alledem sehr verwundert über diese neue Aussage aus der Bild-Zeitung – der Kachelmann-Prozess ist allerdings um eine weitere skurrile Randnotiz reicher.