Facie prima

Heute: Der Fallengelassene, Christian Wulff

Selten zuvor konnte man den Paradigmenwechsel der flankierenden Bildberichterstattung so vorzüglich beobachten, wie in der aktuellen Affäre um Bundespräsident Wulff. Artikel, die ihn zum Gegenstand hatten, die ihn auch nur streiften, wurden noch vor gut zwei Monaten mit freundlich dreinblickenden Fotos seiner Person garniert. Wulff lächelt hier, die dazugehöFacie primarige Schlagzeile titelte, dass die Zufriedenheit mit Wulff als Bundespräsidenten zunehme. Das Volk zufrieden, der Präsident lächelt keck. Schon bevor der Leser den Inhalt des Artikels erfasst, wird ihm gewahr, dass es sich um eine offenbare Frohbotschaft handeln müsse. Gegenteilig die Fotos, die die aktuellen Artikel zieren. Wulff wird publizistisch der Bevorteilung bezichtigt - täglich neue Vorwürfe. Einerlei an dieser Stelle, was an den Vorwürfen dran ist oder nicht - interessant ist im Rahmen der Analyse bildlicher Abbildung, um die es hier gehen soll, lediglich, dass Wulff plötzlich auf Fotografien vereinsamt wirkt; so an den Bildrand gedrängt, glaubt der Leser, noch bevor er den Text erfasst hat, dass Wulff auf sich alleine gestellt ist, verlassen wurde - der Bildrand ist das optische Schuldeingeständnis Wulffs. Und der Artikel selbst müsste gar nicht mehr gelesen werden. Bilder, die mehr sagen als die Anzahl von Worten, die die Redaktion pro Artikel vorgibt und veranschlagt.

Facie primaVormals packte Wulff an - hier das Mikrofon. Das Bild schmückte einen Artikel, der eine Rede Wulffs thematisierte und der den Bundespräsidenten als wachen Mahner beschreiben wollte. Der Bundespräsident hat von Verfassung wegen wenig Handlungsspielraum, politisch hat er keinerlei Einfluss. Aber er kann und soll als Gewissen fungieren, er soll Reden halten, in denen er zur Vernunft aufruft. Wulff, wie er gravitätisch am Mikrofon nestelt, unterstreicht diese Aufgabe einer jeden Bundespräsidentschaft. Das Bild soll präsidiales Pflichtbewusstsein assozieren. Noch immer hält Wulff Reden, trotz Affäre tut er, was er vorher tat. Doch dasselbe Magazin greift heute zu anderen Bildern, zeigt einen Präsidenten, von dem selbst die Ehefrau Abstand zu nehmen scheint - oder er von ihr? Oder will man damit belegen, dass die Eheleute Wulff sich nicht ganz grün sind? Schaut er so abgeschmackt, weil sie ihn dazu brachte, halbseidene Geschäfte in Kauf zu nehmen, wie man das häufig las? So oder so, das Bild unterstreicht nachdrücklich, dass es zwischen beiden nicht stimmt, dass die Ehe, weshalb auch immer - vielleicht wegen der Klüngelei! -, schwer belastet ist. Das einstige Traumpaar, jetzt von der Schuld erdrückt? Entzweit, weil die Machenschaften entfremdeten?

Einst in Kinderscharen stehend, der renommierte, der anerkannte Bundespräsident. Schirmherr sein, "lasset die Kindlein zu mir kommen" - das Credo jeder populistischen Haltung. Lachende Gesichter allerorten, die Welt des Wulff in bester Ordnung. Einige Monate später, die Affäre mittleFacie primarweile auf dem Tisch, kommt ein grimmiger, ein in Sorgenfalten liegender Bundespräsident Stufen herab. Was spricht eigentlich dagegen, auch jetzt, da Wulff in Vorwürfe verstrickt ist, einen lächelnden Bundespräsidenten abzubilden? Vielleicht der Umstand, dass die Fotos, die neben Artikel platziert werden, stets auch den Inhalt spiegeln sollen? Ins Gesicht desjenigen, der im Artikel behandelt wird, soll seine Gemütslage eingefurcht sein; der Leser, der erst nur Betrachter etwaiger Bilder ist, bevor er liest, soll die Tendenz des Artikels vorab schon erkennen. Das erleichtert auch die journalistische Stoßrichtung. Der durch bildliche Anreicherung vorgeprägte Leser wird so leichter von der Schuld Wulffs überzeugt, so wie er vormals davon überzeugt war, dass der glückliche Präsident inmitten Kindern, ein Glücksfall für das Amt des Bundespräsidenten sei.

Dieser Text wurde vor Wulffs Rücktritt geschrieben. Inhaltlich bleibt er dennoch aktuell - das Prinzip ist stets dasselbe.


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