Expedition 7000 – Eine Fanta für 20 Dollar

Nach zwei Wochen am Pik Lenin wagen wir endlich den Gipfelversuch. Der nächtliche Aufstieg auf über 7000 Meter verlangt uns alles ab. Ganz oben ist die Tour aber längst nicht zu Ende.

Wenn das Wetter passt, dann passt’s: Das war immer meine Überzeugung. Vor der großen Nacht bin ich mir nicht mehr sicher.

Ich habe mich noch nie auf 7000 Metern Höhe bewegt. Außerdem bringen Gipfelversuche dieses Kalibers immer ihre eigene Dynamik mit sich. Man fällt eine Entscheidung, die man mit etwas Abstand vielleicht anders getroffen hätte. Die Bedingungen können sich kurzfristig ändern. Am Huayna Potosí in Bolivien musste ich wegen eines Sturms fünfzig Meter vor dem Gipfel umkehren. Zwei Stunden später war der Spuk vorbei. Schlechtes Timing, da macht man nichts.

In Lager 3 bleibt uns einer ganzer, sonnenverwöhnter Nachmittag, um Schnee zu schmelzen, Essen zu kochen und Kräfte zu sammeln. Ich teile mir ein Zelt mit Sylvain. Luis ist schon am Vortag auf dem Weg ins Lager 2 umgekehrt, erfahre ich später von Tristan im Basislager. Er habe Probleme mit dem Atmen gehabt und immer wieder Pausen gemacht, wollte aber nicht aufgeben. Er, Tristan, habe ihm dann sehr bestimmt klargemacht: Luis, wenn du nicht schneller laufen kannst, bist du zu langsam und musst absteigen. Das tat er irgendwann.

Doch auch Tristan ist umgekehrt, einen Tag später auf dem Weg ins Lager 3. Er habe sich nicht bei Kräften gefühlt, höre ich. Sehr schade. Ich hätte jedem den Gipfel gegönnt, aber ihm ganz besonders.

Wir kochen Tee für die Thermosflaschen, verzehren letzte Kalorien, packen unsere Rucksäcke. Und das Wetter? »It will be good«, sagt Ivan. Faszinierend, wie viel Euphorie dieser Satz auslöst. Die Bergführer sind optimistisch!


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Kräfte sammeln in Camp 3.

Expedition 7000 – Eine Fanta für 20 Dollar

Ausruhen in Lager 3

Ich gehe durch, was ich heute Nacht anziehen werde: Wollsocken, meine Expeditionsstiefel, Gamaschen, lange Unterhose, Thermohose, Überhose, Unterziehhandschuhe, Daunenfäustlinge, zwei Shirts aus Merinowolle, Laufshirt, Fleecepulli, Expeditionsdaunenjacke, Wollmütze, Sturmmaske, Kopflampe. Ich hoffe, das reicht für gefühlt minus 27. Nicht verrückt machen lassen, zur Ruhe kommen.

Das Hochlager auf 6100 Metern ist fast gemütlich im Vergleich zum Schutthaufen in Lager 2. Kaum Wind an diesem Nachmittag. Als ich kurz nach Sonnenuntergang die Augen schließe, holt sich mein Körper sofort seinen Schlaf, bis um zwei Uhr der Handywecker läutet.

Vom nächtlichen Gipfelversuch werden mir nur fetzenhafte Szenen in Erinnerung bleiben, wie bei einem Bildrauschen, das ab und zu für einige Sekunden durch kurze Sequenzen Bewegtbild unterbrochen wird. Ich werde rekonstruieren können, was zwischen diesen Momentaufnahmen passiert sein muss, aber keine Bilder dazu haben.

PROTOKOLL EINER EISIGEN NACHT

~2.05 Uhr: Als ich mich aufrichte, fällt mir Eis in den Nacken. Die Atemluft der Nacht hat die Innenseite des Zeltes mit einer Frostschicht überzogen. Ich stelle fest, dass meine Kontaktlinsen in der Schale mit Flüssigkeit eingefroren sind. Feuerzug suchen. Verdammt, ich muss die Handschuhe ausziehen. Ratsch, ratsch, Flamme. Die Linsen tauen in wenigen Sekunden auf. Hände wärmen. Dann raus aus dem Schlafsack: das Allerschlimmste. Shirts anziehen, Pulli, Jacke. Rucksack checken. Vor dem Zelt Steigeisen anlegen. Immer wieder komme ich aus der Puste und muss kurz durchatmen. Aber die Nacht ist klar.

~3.10 Uhr: Wir haben offenbar eine Stunde gebraucht, bevor wir losgekommen sind. Bevor ich wirklich begreife, dass dies nun tatsächlich der finale Gipfelversuch ist, stapfen wir im Pulk mit unseren Bergführern in der Schwärze der Nacht den seichten Hang abwärts. Das Gemeine: Bevor es bergan geht, müssen wir gut hundert Höhenmeter absteigen, zum tiefsten Punkt des Grats. Keine Ahnung, wie lange das dauert. Das Gefühl dafür fehlt.

~4.30 Uhr: Serpentinen in der Dunkelheit. Zick zack. Aufwärts, steil aufwärts, mehrere hundert Höhenmeter. Gänsemarsch. Wir kennen diesen Teil der Route, diesen Hang. Wir haben ihn vom Lager aus die ganze Zeit gesehen. Im Moment sehe ich nur Schnee und Felsen im Lichtkegel der Kopflampe. Und Roberto, wie er die Arme und Füße schüttelt. Der Wind hat zugelegt. Ich bewege meine Finger in den Fäustlingen, für die Durchblutung. In Bewegung bleiben.

~5.30 Uhr: Einer der Sherpas zieht Sylvain die Stiefel aus und reibt seine nackten Füße. Die Zehen seien zu kalt, einfach zu kalt, ruft Sylvain, er spüre sie nicht. Wir rasten im eisigen Wind. Der Steilhang liegt hinter uns, der Grat steigt breit und sanft an, aber das hilft uns nicht: Die Flanke war ein Windfang, jetzt stehen wir ungeschützt in den Böen. Der Wind sticht wie ein Messer in die Gesichtshaut. Der Morgen lässt auf sich warten, noch immer ist es finster.


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Versuch mit Langzeitbelichtung: schwärzeste Nacht.

~6.00 Uhr: Sylvain muss absteigen und somit ein weiterer Sherpa, denn niemand wird allein nach unten geschickt. Ivan geht mit der schnellsten Gruppe voran, bleibt aber immer wieder stehen. Keine Ahnung, wieso. Roberto sagt, ihm sei zu kalt, er kehre um. Ivan schaut uns anderen entschuldigend an. Auch er geht zurück. Was tun? Enrico, Luca, Timur und ich haben keinen Bergführer mehr. Aber da ist mittlerweile eine deutlich sichtbare Spur – es dämmert.

~7.00 Uhr: Ich bin alleine. Hinter mir liegt »das Messer«, das Steilstück mit dem Fixseil. Ich bin in einem engen Zick-Zack-Kurs hinauf, ohne das Seil zu nutzen. Vor mir nur die Spur im Schnee, die um Felsen herumführt. Ansonsten das Gefühl vollkommener Gottverlassenheit. Ich habe Schmerzen im Bauch. Fühlt sich seltsam an, hatte ich noch nie. Was Ernstes? Höhensymptome? Ich bleibe stehen und überlege, ob ich umkehren soll. Was, wenn mir richtig schwindelig wird, wenn ich zusammenklappe hier oben? Moment, jetzt mal keine Panik, so fühlt es sich auch nicht an. Ich ziehe Luft. Wahrscheinlich ist meine Bauchmuskulatur durch das stundenlange, abgehackte Atmen in der klirrenden Kälte verkrampft. Das geht wahrscheinlich weg, wenn ich gleichmäßiger atme. Ich setze mich wieder in Bewegung. Mittlerweile ist es hell.

~8.30 Uhr: Ich sitze im Schnee in der Sonne, um mich herum weiße Hänge, über mir ein wolkenloser Himmel. Der Wind hat sich gelegt. Das Terrain ist nun relativ flach. Ich trinke etwas Tee, esse ein Stück Schokolade. Da kommt Enrico des Weges, er hat mich eingeholt. Was bin ich froh ihn zu sehen! Er setzt sich neben mich, dankbar für die Pause, und lächelt müde.

»This is so hard.« Wir sind platt. Enrico scheint zu hadern: »What are we doing now?« Ich überlege kurz, aber dann sage ich ohne Zweifel in der Stimme: »I will go up.« Enrico nickt. Auch für ihn ist es damit beschlossen.

Es ist nicht leicht, in dieser Höhe, auf fast 7000 Metern, seinen Körper richtig einzuschätzen. Der Blick auf die Uhr hilft. Wir wissen beide, dass hier niemand später als 13, 14 Uhr den Rücktritt antreten sollte – völlig egal, wo am Berg man sich befindet. Sieht also nicht schlecht aus. »Eight thirty is a good time«, sage ich zu Enrico. »We are fast, we can take it easy.« Und so machen wir es.

~11.00 Uhr: Ich bin wieder allein. Enrico war schneller. Wir sind eine Weile zusammen gelaufen, dann habe ich ihn ziehen lassen. Jetzt frage ich mich, wann endlich dieser elendige Gipfel auftaucht. Der Pik Lenin hat keine zackige Spitze, der Berg fällt in Richtung Westen in weiten, mäßig steilen Hängen ab. Die Sicht reicht immer nur bis zum nächsten Felsriemen, zur nächsten Schneekuppe. Wie viel Strecke dahinter noch kommt, ist nicht zu sehen.


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Aufnahme in rund 7000 Metern Höhe.

BABY STEPS

Ich mache nur noch ganz kleine Schritte. Drei, vier, Atempause. Ich stütze mich auf meine Stöcke, aber das bringt keine Erleichterung, weil alle Bewegungen Kraft kosten, auch solche, die dem Körper scheinbar irgendeine Art von Entlastung bringen. Sie tun es nicht. Schritt, Schritt, Schritt. Nach jedem Aufschwung der flehende Blick nach oben: Wo ist der Gipfel? Immer wieder die Enttäuschung, wenn nur Schnee und Felsen in Sicht kommen.

Aber dann, hinter einer weiteren Kehre, sehe ich plötzlich einen Klecks Farbe in einiger Entfernung, ein paar bunte Flaggen – das muss der höchste Punkt sein. Erst jetzt, nach acht Stunden Aufstieg bei eisigem Wind und erbarmungsloser Kälte, bin ich zum ersten Mal sehr sicher, dass ich den Gipfel erreichen werde.

Ganz oben wartet kein Kreuz, sondern Lenin höchst selbst – in Form einer Metallbüste. Ich lege den Rucksack ab und strecke den Rücken durch. Enrico und ich fallen uns in die Arme. Auch Timur, der kluge, hochgewachsene, stets ausgeglichene Mittfünfziger, hat den Gipfel erreicht. Plötzlich taucht sogar unser zweiter russischer Bergführer auf, alleine. Warum auch immer.

Wir machen Fotos. Ich nehme ein kleines Video mit dem Handy auf. Mein Gesicht ist so kalt, es hört sich an, als würde ich gegen einen Widerstand ansprechen. Ich spüre, dass meine Lippen aufgeplatzt sind. Im Süden, in Tadschikistan, erheben sich bis zum Horizont die vereisten Bergriesen des Pamir, ein wahrhaft exklusiver Ausblick. Wir bleiben eine Dreiviertelstunde auf dem Gipfel, es kommt mir vor wie fünf Minuten.


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(1) Gipfel-Selfie (2) Blick über Kirgisistan (3) Mit Lenin am Gipfel (4) Blick nach Tadschikistan

Noch ist der Körper zu schwach, der Kopf zu sehr mit den kommenden Stunden beschäftigt, als dass ich die Gewissheit auskosten könnte, auf dem Pik Lenin gestanden zu haben. Außerdem werden wir erst in Lager 1 alle gefährlichen Stellen hinter uns haben. Noch einmal – ein letztes Mal – müssen wir durch die Lawinenzone und über die Gletscherspalten.

Der Rückzug vom Berg braucht Zeit, auch mental, er gliedert sich in Phasen, die jeweils ein bestimmtes Objekt der Begierde zum Ziel haben: eine Limonade, einen Schlafsack, warmes Sonnenlicht, eine heiße Dusche, eine richtige Matratze. Die Besteigung eines solchen Berges endet nicht auf dem Gipfel, wo vermeintlich alle aufgestauten Emotionen in einem einzigen Rausch explodieren. Eine solche Tour endet ganz unten, mit dem Zufallen einer Tür in einem Hotelzimmer, bei einem Spaziergang unter schattigen Bäumen.

ZURÜCK INS LAGER 3

Enrico, Timur und ich denken vorerst nur bis Lager 3. Es wird noch ein paar Stunden dauern, bis wir dort sind. Nach einer halben Stunde stoßen wir auf Luca, der ziemlich fertig aussieht. Wir machen uns ein bisschen Sorgen. Aber er will weiter. »Alright«, sagen wir. Der Bergführer ist ja noch oben.

Der weitere Abstieg ist ohne technische Schwierigkeiten und auch »das Messer« kein Problem. Enrico und ich machen Tempo, das ist ein psychologisches Ding: Je schneller wir gehen, umso eher müssen wir nicht mehr gehen. Der offensichtlich ziemlich fitte Timur lässt sich mehr Zeit.

Spätestens im langen Hang, den wir beim Aufstieg in vollständiger Dunkelheit bewältigt haben, bekomme ich das Gefühl, dass mir bald die Beine wegbrechen. Das Gelände ist steil, die Muskeln müssen jeden Schritt abfedern. Und das Schlimmste kommt noch: der Gegenanstieg zum Lager.


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Blick auf Camp 3 während des Abstiegs vom Gipfel © Timur Neverov

Als Enrico und ich den tiefsten Punkt im Grat erreichen, legen wir uns in den Schnee. Wie die hundert Höhenmeter zum Camp hinauf? Ich bin erledigt. Wir wenden eine Strategie an, die der Ultramarathonläufer Dean Karnazes als »baby steps« bezeichnet: Du machst einen Schritt, dann noch einen, wieder einen, und irgendwann fällt dir auf, dass du läufst. Überraschung: So wird die verbleibende Wegstrecke tatsächlich immer kürzer.

Nach dreizehneinhalb Stunden erreichen wir das Lager. Sherpa Mingma kommt uns mit einer Kanne heißer Schokolade entgegen. Die Wärme ist wohltuend. Aber ich habe seit dem Aufbruch in der Nacht nur einen Liter Tee getrunken und brauche unbedingt mehr Flüssigkeit. In Camp 3 steht ein Versorgungszelt der Lagercrew mit Vorräten. Den Liter Fanta verkaufen sie hier für 20 US-Dollar. Pervers. Aber was soll man machen? Nie hat Fanta so gut geschmeckt.

Enrico und ich kriechen in ein Zelt und haben bald wieder die Kraft, den Gaskocher anzuwerfen. Tütenkartoffelbrei: ein kulinarischer Hochgenuss. Sylvain und Roberto sind schon abgestiegen, um keine weitere Nacht in dieser Höhe verbringen zu müssen. Das gleiche gilt für Ann, die sich letztlich gegen den Gipfelversuch entschieden hat. Auch Juri hat es gar erst nicht versucht. Vergangene Nacht habe er sich fünfmal übergeben, erzählt ein Sherpa.

Irgendwann, es ist bereits Abend, taumelt Luca ins Lager, der Priester. Er scheint am Ende seiner Kräfte zu sein. Der Herr muss über ihn gewacht haben. Auch Andrei und Mohamed, die zwei anderen Russen im Team, waren auf dem Gipfel. Sechs von vierzehn Teilnehmern haben es ganz rauf geschafft. Keine schlechte Quote für den Pik Lenin, diesen angeblich einfachen Siebentausender.


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Camp 3: Der Schlafsack wartet.

SEHNSUCHT NACH ZIVILISATION

Nach einer weiteren Nacht auf 6100 Metern packe ich zum letzten Mal mein schweres Übernachtungsgepäck zusammen, um es zu schultern. Wir steigen heute direkt bis ins Lager 1 ab. In den nächsten Stunden sehne ich mich nur noch danach, nicht mehr zu frieren und die Kälte hinter mir zu lassen. Ich kann an fast nichts anderes mehr denken. Doch, da gibt es noch etwas: Ich will endlich keine 15 Kilo mehr auf den Schultern haben. Ich kann kaum erwarten, dass die Pferde am nächsten Morgen unsere großen Rucksäcke ins Basislager bringen. Aber ich darf jetzt nichts ins Träumen kommen.

Noch einmal müssen wir über die Spalten. Weil ich das Seil nicht straff genug halte, stolpert Andrei darüber. Er schimpft, ich entschuldige mich. Er schaut mich nachsichtig an, schon okay. Hinter der Spaltenzone flacht die Gletscherzunge ab. Jetzt nur noch einen Fuß vor den anderen setzen, mit Kurs aufs Camp. Vorfreude und kalter Schweiß am Rücken. Die allerletzten Meter sind höchst beglückend, ich könnte fast sprinten. Schließlich den Rucksack ablegen in dem Wissen, dass eigentlich nichts mehr passieren kann.

Letzte Stunden in Camp 3. Wir haben nichts mehr zu tun. Ich will einfach nur noch runter, das Warten ist zehrend. Ich spüre: Da sind Gefühle, die einen anderen Ort brauchen, um herausgelassen zu werden. Und ich will endlich aus der Kälte raus. Warmes Wasser wäre langsam auch mal schön.


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Waschbecken in Lager 1.

Die letzte Etappe dieser Expedition laufen wir mit leichtem Gepäck und beschwingt vom Gipfelerfolg. Mild ist die Luft, klar der Himmel, Wildblumen blühen. Bei der Ankunft im Basislager sehen wir Roberto auf einem Stuhl sitzen. Sein großer Zeh ist verbunden, eine leichte Erfrierung aus der Gipfelnacht. Auch Sylvain und Ann sind da. Wir sind alle froh, uns heile wieder zu sehen.

Während des Abstiegs habe ich mich mit einem anderen Deutschen angefreundet, Christian. Er ist jetzt auch hier, und ich merke, wie schön es ist, meine Muttersprache zu benutzen. Wir kennen uns noch nicht lange, aber reden bald über vieles. Tristan ist leider schon abgereist, er hat mir eine Notiz hinterlassen. Auch Juri und Luis sehe ich nicht wieder.

ABSCHIED VOM BERG

Hier unten im Basislager hat der August seine alte Kraft zurück. Ich laufe barfuß im T-Shirt über die Wiese. Meine Zehen sind leicht taub, ebenso die Fingerkuppen. Zum ersten Mal seit einer Woche dusche ich (extra lange), und die Haut schrumpelt sofort. Sie ist das Wasser nicht mehr gewöhnt. Die offenen Lippen brennen, aber das ist nicht so schlimm.

Nachdem ich mir den Staub vom Körper gewaschen habe, setze ich mich mit geschlossenen Augen in den sonnigen Mittag. Es ist getan. Wärme auf den Lidern und Armen. Erschöpfung, Erleichterung und Freude verbinden sich zu einem allumfassenden Wohlgefühl, und mir wird klar, dass ich so nicht empfinden würde, wenn ich nicht auf dem Gipfel gestanden hätte.

Vielleicht ging es bei dieser Unternehmung darum, am Ende so dasitzen zu können: angefüllt mit Dankbarkeit, zutiefst beglückt vom Alltäglichsten, so als würde man alles Schöne in der Welt noch einmal zum ersten Mal erleben.

Abends im Gemeinschaftszelt kauft Timur eine Flasche Wein. Wir stoßen an auf diesen Berg, auf diesen Lenin, der uns allen so viel abverlangt hat. Der Lagerchef überreicht uns die Urkunden und die Halsketten mit Anhänger. Innerlich platze ich fast vor Stolz, aber es ist kein Stolz, den ich vor anderen hertragen müsste. Es ist ein Stolz, der allein in mir selbst seinen würdigen Platz findet. Der Berg hat sich gnädig gezeigt. Manchmal hat man das Glück auf seiner Seite.

Am nächsten Tag reisen wir ab. Der Bus bringt uns nach Osh, zurück in die Zivilisation, zu einem richtigen Bett, zum Einzelzimmer im Hotel, zu Eisdielen, Supermärkten und Restaurants. Ich kann das Lageressen nicht mehr riechen, der Gedanke an ein Stück Kebab treibt mir den Speichel unter die Zunge.

In Osh vertreiben wir uns die Stunden bis zum Rückflug nach Bischkek. Wir spazieren über den großen Basar und durch einen Park mit Fahrgeschäften, der aussieht, als wäre die Zeit hier vor dreißig Jahren stehen geblieben. Wir sitzen zusammen und erzählen von den vergangenen Tagen, reden aber auch über alles andere. Der Kopf nimmt langsam Abschied vom Berg.

Wir verlassen das Pamir-Gebirge. Der Inlandsflug nach Bischkek ist nur eine Stunde in der Luft. Hitze liegt über der Hauptstadt, so eine Sommerferien-Hitze, flirrend und satt, deutlich über 30 Grad. Ich spaziere in einen Park, setze mich auf eine Bank und schaue eine Stunde in die Bäume.


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Vergnügungspark in Osh.


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