In den 1960er Jahren rechnete die Stadt Marl mit Bevölkerungszuwachs und wirtschaftlichem Aufstieg. Als bauliches Zeichen dieser Aufbruchstimmung entstand ein neues Stadtzentrum mit Rathaus, Wohnhochhäusern und Einkaufszentrum, das seinerzeit als herausragendes Beispiel der Nachkriegsmoderne gefeiert wurde. Die Entwicklung kam anders – heute schrumpft die Stadt und der Umgang mit den architektonischen Zeugen dieser Epoche ist umstritten.
Eventuell für Jahrhunderte gebaut
Die am nördlichen Rand des Ruhrgebiets gelegene Stadt Marl entstand als Zusammenschluss kleinerer Dörfer und Siedlungen der im Umkreis arbeitenden Bergleute und Chemiearbeiter. Als Reaktion auf die Bevölkerungsprognosen, die Marl eine Entwicklung zur Großstadt prophezeiten, errichtete die Stadt in den 1960er- und 1970er-Jahren ein modernes Zentrum mit Rathaus, Wohnhochhäusern und Einkaufszentrum. Nach den Zechenschließungen kämpft die schrumpfende Stadt heute mit hoher Arbeitslosigkeit, Leerstand und sozialen Problemen.
Das von den niederländischen Architekten van den Broek und Bakema 1957 entworfene und von 1960-67 errichtete Rathaus steht als innovatives Beispiel deutscher Nachkriegsmoderne stellvertretend für eine Vielzahl öffentlicher Bauten, die im Geiste der Zeit errichtet wurden. Die Frage, wie erhaltenswert Gebäude dieser Epoche sind, ist heute drängender denn je. Für viele sind sie Wahrzeichen überwundener politischer wie gesellschaftlicher Zeiten, für andere schützenswerte Beispiele einer radikalen Formulierung architektonischer Utopien.
Genau 50 Jahre nach Fertigstellung des Rathauses und begleitend zu den Skulptur-Projekten Münster 2017, die in ihrer aktuellen Ausgabe die Planstadt Marl als Gegenmodell zur historisch gewachsenen und wiederaufgebauten Kaufmannsstadt einbeziehen, soll das Buch einen Beitrag zum derzeitig geführten Diskurs liefern. Aktuelle Fachbeiträge und Fotografien des Gebäudes vermischen sich mit historischem Bildmaterial und Textfragmenten und spüren so der Bauaufgabe des Rathauses zwischen repräsentativer Ästhetik und Verwaltungsfunktion nach. Das Buch ist bewusst als Materialsammlung konzipiert, die dem Leser unterschiedliche Sichtweisen aufzeigt und zur weiteren Diskussion anregen soll.
Das Buch
Alexandra Apfelbaum / Moritz Kappen (Hrsg.)
Eventuell für Jahrhunderte gebaut
Das Rathaus Marl. Ein Essay in Bildern
Kettler-Verlag 2017
192 Seiten, Broschur
Format 19 × 26 cm
ISBN 978-3-86206-656-8