Euro: Krieg der Welten

Schon seltsam. Einerseits sind da Staaten, von denen hört man so oft, dass man es schon seit Jahren nicht mehr hören kann. Aber immer ist Krisengipfel, immer ist wichtig, immer muss schnell noch mehr berichtet werden, weil sich die Lage zuspitzt und Lawinen in Brand geraten, die drohen, alles in den Abgrund zu reißen.
Und andererseits sind da Länder, von denen ist nie die Rede. Kommen nicht in der Tagesschau, finden keine Erwähnung im "Auslandsjournal". Es ist, als existierten sie nicht. Dabei sind die einen nicht weiter weg von Deutschland als die anderen. Sie unterscheiden sich auch kaum in der Größe und nicht wesentlich in der Wirtschaftskraft. Sie sprechen alle andere Sprachen, aber verstehen kann die das unausgebildete Ohr dort so wenig wie da.
Doch es ist so. Griechenland ist der Marktführer eines wahren Berichterstattungsmonsuns, dicht gefolgt von Portugal und Spanien. Nie aber tauchen Rumänien, Bulgarien, Montenegro, Slowenien, Tschechien, Serbien, Estland, Lettland oder Litauen auf. Nicht einmal Polen oder Mazedonien scheinen Probleme genug zu haben, einen einzigen erschütternden "Brennpunkt" im deutschen Abendprogramm zu füllen.
Zwei Welten prallen da aufeinander, die unsichtbare und die sichtbare, heute Abend sogar beim Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft. Polen gegen Griechenland, eine Begegnung, die stellvertretend steht für einen politischen Entwurf, der ein selbstbestimmtes Leben vorsieht, und eine Staatsidee, die Bevormundung und Kollektivierung zu ihren Götzen gemacht hat.
Griechenland ist der Champion von gestern, ein Star, der sich mit falschem Flitter schön geschminkt hatte. Nach einer kalten Dusche Wirklichkeit steigt er extrem schnell gealtert aus der Kabine, kraftlos, wacklig, hilfsbedürftig. Polen dagegen, eines der Länder, die aus dem Reich des kollektivierten Sozialismus kommen, ohne Teil des Einheitsstaates Sowjetunion gewesen zu sein, kennt keine Krise, kein Bibbern um Rettungsgelder, kein Sich-selbst-als-Geisel-nehmen, um nicht in den Spiegel schauen zu müssen.
Der Blick auf die Landkarte verrät mehr als jeder Erklärungsversuch von Angela Merkel, Peer Steinbrück oder Philipp Rösler, deren oberste Motivation es ist, den Euro zu retten, die aber jede Antwort darauf schuldig bleiben, welcher Zweck nur mit dieser Rettung erreicht werden kann. Angesichts der Nachrichtenlage und der Krisensituation innerhalb Europas leuchtet das ein, denn viel mehr scheint die gemeinsame Währung Teil des Problems als Teil der Lösung zu sein.
Oder wie könnte es sonst sein, dass Nicht-Euro-Staaten wie Bulgarien, Rumänien, Polen, Tschechien und Albanien in den letzten zehn Jahren trotz Bankenkrise und Staatsschuldendesaster eine beeindruckende wirtschaftliche Aufholjagd zeigten? In Albanien versechsfachte sich das Bruttoinlandprodukt von 1999 bis 2010, die Arbeitslosigkeit sank von mehr als 25 auf nunmehr 14 Prozent. Griechenland hingegen schaffte dank expansiven Kapitalimports zwar zwischen 1999 und 2008 eine Verdopplung. Verlor aber seitdem wieder mehr als zehn Prozent.
Auch der Vergleich der Staatsverschuldung von Euro- und Nichteuro-Ländern Europa beeindruckt. An der Spitze der Liste liegen 15 Staaten, die den Euro eingeführt haben. Dann erst folgt mit Albanien das erste Nicht-Euro-Land. Doch während sämtliche Euroländer ihre Verschuldung zwischen 2000 und 2010 um bis zur Hälfte hochgefahren haben, stagniert die albanische Verschuldung bei etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Eine Quote, mit der Griechenland längst gerettet wäre. Allerdings hat Griechenland eben den Euro und der erlaubte es dem Land, viele und günstige Kredite aufzunehmen und die Staatsschuldenquote zielstrebig von 100 Prozent des BIP auf 142 Prozent (2010) zu steigern. Serbien dagegen, ehemals der failed state Europas, startete 2000 mit einer Staatsverschukldung von 241 Prozent des BIP und musste ohne Euro und Milliardenhilfen auskommen. Heute steht das Land, das in den Nachrichten nur vorkommt, wenn Kriegsverbrecher aus der Vergangenheit durch europäiswche Gerichtshöfe gezerrt werden, bei einer Verschuldung von nicht einmal 50 Prozent des BIP.
Auch Mazedonien, mit Griechenland seit Jahren im Streit um seinen Namen, weil der größere, südliche Teil des historischen Gebietes als Region Makedonien in Nord-Griechenland liegt, zeigt erstaunlicherweise eine Entwicklung, die der des südlichen Nachbarn diametral entgegengesetzt ist. Zwischen 2000 und 2010 gelang eine Halbierung des Staatsdefizits, der Staatshaushalt wies zuletzt ein Defizit von 2,5 Prozent auf - verglichen mit 8,8 Prozent, die Griechenland sich leistete.
Trotz des Euro? Oder seinetwegen? Können Mazedonier etwas, das Makedonier zehn Kilometer weiter nicht können? Was unterscheidet den Landstrich nördlich vom Landstrich südlich? Was bringt die einen, deren BIP zweieinhalb Mal höher liegt, dazu, unter nahezu denselben Bedingungen nicht nur zweieinhalb mal mehr Geld auszugeben, sondern sogar mehr als zehnmal so viel? Weshalb klagt die Türkei nicht über ausbleibende Touristen, wie es Griechenland tut? Oder kurz gesagt: Ist nicht vielleicht die Währung selbst Auslöser dessen, was - wäre es so - völlig korrekt als "Euro-Krise" bezeichnet werden muss?


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