Eure Heimat, die mir nur Verwaltungseinheit ist

In diesem Deutschland fällt es mir schwer eine Heimat zu finden. Heimat ist für mich bestenfalls der Ort, der eine Haustüre hat, die ich zuschlagen kann, um all die Idioten von meiner unmittelbaren Nähe auszusperren.
Eure Heimat, die mir nur Verwaltungseinheit istDeutschland, wie ich es kenne, ist: Stress, Humorlosigkeit, dummes Radiogeschwätz, dummes Fernsehgeschwätz, dummes Nachgeschwätz der Leute. Boulevard als Lebensgefühl. Untertanengeist, fehlender kritischer Geist, verstopfte Straßen, Aggressionen im Alltag. Meinung haben ohne Ahnung. Ahnung haben ohne Meinung. Große Klappen, kompensierendes Überselbstbewusstsein, Schicksalsvergemeinschaftung, Renationalisierung. Ausländerhass, Linkenhass, Islamhass. Schnäppchengeist, Preisvergleich, Vermarktung aller Lebensituationen. Ein Leben als Verbraucher. Ein Verbrauch an Leben. Angestrebte Hegemonie in Europa, Marktradikalität, jeder ist sich selbst der Nächste. Polizeigewalt und Rechtfertigung der Polizeigewalt von Politikern und Bürgern. Lobbyisten als Experten, Konzerne als Judikative, Versicherungsvertreter als Ministerialbeamte. Zu viel Dummheit. Zu viel Boshaftigkeit. Zu viel Dreistigkeit.

Vor längerer Zeit schrieb ich, dass ich mir eine Heimat nie geleistet habe. »Lokalpatriotismus bedeutet für mich nur, die Unerträglichkeiten, die sich offenen Auges aufdrängen, mit heimatörtlichen Romantizismen auszugestalten«, schrieb ich damals. Mit diesem Satz beschreibe ich mich immer noch beim »Neuen Deutschland«. Heute weiß ich besser denn je: Heimat ist für mich in dem Sinne, wie man Heimat versteht, nicht drin. Sie ist ein Ort, den ein kritischer Mensch nicht finden kann. In Zeiten dauerberieselnder Massenmedien noch weniger als in den Epochen davor.
»Du musst doch irgendwie was spüren«, hat mich neulich im Zuge deutschen WM-Patriotismus' einer gefragt, »irgendwas verbindet einen doch mit einer Nation oder mit dem Land, in dem man lebt.«
   »Ich spüre Ekel«, habe ich geantwortet.
   »Aber wenn man doch in einem Land wohnt, muss man doch so ein Gefühl haben, das sagt, dass wir alle dazugehören.«
   »Wir sterben alle alleine.« Ich zog an meiner Zigarette. »Nur das weiß ich sicher.«
   »Ich will ja nicht von Stolz sprechen, aber so ein bisschen patriotischer Geist, den muss es doch geben«, bohrte er nach.
   »Weißt du, ich sehe Staaten nicht so romantisch. Das tun die meisten Leute, ich weiß. Sie konstruieren sich einen Bezug zu ihrem Staat. Für mich sind die lediglich Verwaltungseinheiten, in denen Menschen leben. Ich habe da eine eher technokratische Einstellung.«
   »Das habe ich ja noch nie gehört.«
   »Macht ja nichts.« Ich grinste ihn an. »Selbst in deinem Alter kann man noch was hören, was man vorher noch nie gehört hat.«
   Er lächelte und fragte nach der Kostenstelle der Verwaltungseinheit.
   »Ich bin ja auch nicht auf das Arbeitsamt stolz. Nicht mal die Typen, die es leiten, sonst würden sie nicht so viele Idioten einstellen und in die Büros pflanzen.«
   Er lachte herzlich, zündete sich noch eine Kippe an und wechselte das Thema.
Der patriotische Klimbim ist ja immer auch Ersatzreligion. Die Ancien Régimes basierten ja auf einer ererbten und von Gott vorgegebenen Hierarchie. Die republikanische Idee wollte gerade dieses Konzept nicht mehr. Aber wie das Gemüt der Masse ansprechen? Wie sie ködern für die Idee der Nation? Also inszenierte man den Patriotismus, etwas also, was es vorher nicht in dieser Form gegeben haben mag. Hätte es zu Zeiten Ludwigs XIV. schon Weltmeisterschaften gegeben, die Franzosen hätten vermutlich viel weniger patriotisch reagiert als heute. Der vaterländische Eifer, das nationalistische Zelotentum ist dann erst zu Zeiten der Revolution entstanden. Die Kunst gab diesem neuen Geist eine Seele. Davids Gemälde »Der Schwur der Horatier« stellt drei römische Helden dar, die vor einer Schlacht ihrem Vater schwören, für das Vaterland zu sterben, wenn es nötig würde. Unzählige Theaterstücke machten seinerzeit die Vaterlandsliebe bis zum Tode zu ihrem Gegenstand.
Es war gewissermaßen notwendig, die Leute für das neue Konzept zu fangen. Sie sollten nicht nur mit der Vernunft am neuen Staatswesen kleben, sondern auch mit dem Herzen. National zu denken brauchte jetzt etwas Transzendenz und Monumentalismus. Der Staat war nicht einfach nur eine Verwaltungsmaschine, sondern etwas Erhabenes. Nicht aber durch Gott. Später erfand sich Robespierre dann den »Kult des höchsten Wesens«, weil er merkte, dass Erhabenheit immer noch am besten mit der Vorstellung eines überirdischen Absolutums umsetzbar ist. So entstand nach und nach eine Art zivilreligiöser Firlefanz, der die Idee des Staates sublimierte, in eine Form weihevoller Göttlichkeit führte. Den Staat als profanes Menschenwerk zu feiern, wäre damals ja auch ein gefährliches Understatement gewesen. Denn Menschenwerk ist vergänglich. Staaten und Nationen wollen jedoch ewig existieren.
Diese ganze erlauchte Rituslastigkeit, majestätische Orden, Zeremonielle und sakrale Protokolle, die sich heute noch jeder Staat gönnt und selbst erteilt, stammen noch aus der Zeit der Patriotisierung jener Jahre. Sie sind natürlich Wiederaufnahmen monarchistischer Herrlichkeit. Die Republikaner wussten plötzlich, warum sich Könige solchen Mummenschanz gönnten: Auf diese Weise verbrämt man seine eigene Profanität. Selbst später Kommunisten, die zuerst den Staat auch nur als technokratische Verwaltungseinheit betrachteten, haben in verschiedenen Teilen der Welt auf nationale Idealisierungen zurückgreifen müssen, um die Menschen für ihr System zu gewinnen.
Wer das durchschaut, dem fällt Patriotismus schwer. Der kann nicht mehr als eine Einheit der Organisation des Zusammenlebens in Ländern erkennen. Wie soll man da in patriotische Reflexe verfallen können? Wer nicht mehr ans Christkind glaubt, der stellt sich doch auch nicht vor, dass das Geschenk unterm Baum von einem blonden Engelsgesicht dort abgelegt wurde. So eine Imagination kommt einem nicht mal in den Sinn. Vor seinem geistigen Auge sieht man die Oma, wie sie es platziert hat.
Vom Umstand, dass Deutschland nicht gleich Deutschland ist, werde ich an dieser Stelle erst gar nicht anfangen. Das habe ich in Stichpunkten ja schon oben irgendwie getan. Özils Millionenvertrag ist jedenfalls ein ganz anderes Land, um nicht zu sagen: eine mir völlig fremde Welt. Was habe ich mit denen zu schaffen, die sich ihre »patriotische Pflicht« vergolden lassen, während es meine »vaterländische Pflicht« ist, nicht zu hohe Personal- oder medizinische Kosten zu verursachen?
»Traurige Vorstellung von Heimat hast du«, sagte er einige Stunden später. »Ich habe darüber nachgedacht, echt traurig.«
   »Ja, du hast recht. Das sagen ja auch die Großeltern immer den Eltern, wenn die ihre Kinder nicht zu lange im Glauben an den Nikolaus oder den Osterhasen belassen.«
   Er überlegte einen Moment. »Das gibt keinen Sinn«, sagte er endlich.
   »Doch, aber dazu müsste ich dich jetzt mit Ausführungen zu Robespierre langweilen.«
   »Kickt der bei den Franzosen?«
   »Früher ja, als Ludwig XVI. als Trainer der französischen Auswahl entlassen wurde.«
   Wir standen noch eine Weile rum, dann sagte er: »Findest du das nicht kalt, wenn man Heimat nur als Verwaltung wahrnimmt?«
   »Schrecklich kalt sogar. Die Welt ist auch im Sommer ein kalter Ort.«
   Er verdrehte die Augen. »Du immer mit deinen philosophischen Scheiß. Sag mir doch mal, was Positives zum Begriff der Heimat.«
   »Weißt du, man hat den Linken im Zuge der Eurorettung immer vorgeworfen, das sie ihren Internationalismus aufgeben, weil sie die nationalen Souveränitäten in Gefahr sahen und noch sehen. ›Seid ihr jetzt Nationalisten?‹ hat man uns gefragt. Ich bin für nationale Souveränitäten, weil das eine Frage der Erhaltung von Verwaltbarkeit ist.«
   »Du weichst aus. Sag doch mal was Positives, Mensch.« Er schüttelte den Kopf.
   Ich dachte kurz nach. »Also gut, weil du es bist: Heimat ist für mich der Ort, an dem ich meine Haustüre zuwerfen kann, um die ganzen Idioten da draußen nicht mehr ertragen zu müssen.«
   »Du verwechselst Heimat mit deiner Wohnung, oder?«
   Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich nicht mehr Heimat habe als diese wenigen Quadratmeter. Wenn man mal von geistiger Heimat absieht. Da habe ich mehrere. Also sagte ich nur: »Ich gehe jetzt heimat. Bis morgen.«
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