Von Beate Lakotta
Hamburg – Die Umfrageergebnisse liegen der Bundesärztekammer seit September 2009 vor – doch erst jetzt gelangten sie an die Öffentlichkeit. Denn was die 527 repräsentativ ausgewählten Ärzte aus dem ambulanten und stationären Bereich auf die Fragen des Allensbach-Instituts geantwortet haben, hat hohe Sprengkraft.
Mehr als jeder dritte Arzt in Deutschland kann sich demnach vorstellen, einem Patienten beim Suizid zu helfen. Für jeden Vierten käme sogar aktive Sterbehilfe in Frage, heißt es in der Auswertung, die der SPIEGEL vorab erhielt.
Offenbar sind Ärzte auch weitaus häufiger mit dem Sterbewunsch von Schwerstkranken konfrontiert, als bisher bekannt war: Mehr als jeder dritte Mediziner wurde schon um Hilfe beim Suizid gebeten, unter den Hausärzten sogar jeder zweite. 47 Prozent aller Ärzte, die regelmäßig mit unheilbar Kranken zu tun haben, gaben an, dies passiere „häufiger“. Rund ein Drittel wünschte sich eine entsprechende gesetzliche Regelung.
Die brisante Erhebung bereitete den Ärztefunktionären offenbar monatelang Kopfzerbrechen – denn sie zeigt, dass ein nicht geringer Teil der Ärzteschaft der offiziellen Standesethik in Sachen Sterbehilfe den Rücken gekehrt hat. Bisher hieß es stets, Mediziner in Deutschland wollten weder passive noch aktive Sterbehilfe leisten. Falls die Umfrage nun die Geschlossenheit in dieser komplizierten ethischen Frage untermauern sollte, ist das Vorhaben gründlich schiefgegangen.
Hoppe: „Ärzte brauchen keine Angst zu haben“
Bisher fürchten viele Ärzte, ihre Zulassung zu verlieren, wenn sie Patienten beim Suizid helfen. Nach dem Gesetz ist die Beihilfe zum Suizid straffrei. Standesrechtlich wird die Sterbehilfe jedoch missbilligt und kann geahndet werden – theoretisch. „Davor brauchen die Ärzte keine Angst zu haben“, erklärt Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe jetzt im SPIEGEL-Gespräch.
Abgesehen vom Fall Hackethal könne er sich nicht erinnern, dass es wegen Suizidbeihilfe jemals zu einem Prozess gegen einen Arzt gekommen sei. Der Chirurg Julius Hackethal hatte sich in den achtziger Jahren für die aktive Sterbehilfe engagiert und unter anderem zugegeben, seiner Mutter eine tödliche Spritze verabreicht zu haben.
„Wenn ein Arzt es ethisch mit sich vereinbaren kann, beim Suizid zu helfen, dann kann er dies unter heutigen Bedingungen schon tun“, sagt Hoppe. „Es gibt Formen, in denen Ärzte ihren Patienten helfen können, ohne Angst haben zu müssen, bestraft zu werden – zum Beispiel durch die Ausstellung eines Rezepts.“ Er persönlich könnte das mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, sagte Hoppe. „Aber ich habe immer Verständnis für Einzelfälle. Ich weiß nicht, wie viele das tun. Aber inoffiziell passiert manches, und der Staatsanwalt kümmert sich nicht darum.“
Sollte es eine gesetzliche Regelung geben, werde „das Vertrauensverhältnis zerstört, das die Basis jeder Patienten-Arzt-Beziehung bildet“, befürchtet Hoppe. Der Patient wisse dann nicht mehr, „mit welcher Haltung ihm der Arzt gegenübertritt“. Nach der Ärztekammer-Umfrage müsse man sich nun Gedanken darüber machen, ob das Berufsrecht der Ärzte weiterhin über das Strafrecht hinausgehen dürfe.
Die Bundesärztekammer hatte mit der Befragung auf eine SPIEGEL-Umfrage vom November 2008 reagiert. Auch darin hatte sich etwa ein Drittel der befragten Ärzte für die Möglichkeit ausgesprochen, schwerstkranken Patienten beim Suizid helfen zu dürfen. Diese Umfrageergebnisse gelte es „zu hinterfragen“, befand Hoppe damals. Nun werden die Ergebnisse der eigenen Befragung wohl eine Debatte innerhalb der Ärzteschaft erzwingen.