Essai 73 : Über Pattex-Pärchen – nervenraubende Zeitgenossen im Doppelpack

Vermutlich hat jeder so ein Pattex-Pärchen in seinem Bekanntenkreis. Das sind dann die, die immer nur von „Wir“ und „Uns“ sprechen und mit ihren Identitäten bis zur Auflösung jeglicher persönlicher Eigenheiten zu einer Art Kuschelbrei verschmolzen sind. Die die ganze Zeit demonstrativ aneinander kleben, als wären sie mit Sekundenkleber aneinander gebabscht. Die mit entrücktem Strahlen in den manischen Augen seufzend verkünden, sie machten „alles gemeinsam“. Die selbst im pazifistischsten Menschen des Universums tiefsitzende Aggressionen wecken.

Da war zum Beispiel mal dieses Pärchen, das unter dem Code-Namen ‚Die Egal-Fraktion‘ in die Geschichtsbücher meines Freundeskreises eingegangen ist. Bevor man „Hurz!“ sagen konnte, waren sie auch schon auf dem Sofa zu einer nicht definierbaren Masse verschmolzen und zelebrierten ihre unendliche Liebe zueinander durch hemmungsloses Trockenpoppen. Man möge mir meine Ausdrucksweise verzeihen, diese Erlebnisse haben mich zutiefst traumatisiert. Ging es nun aber daran, zu entscheiden, welches Spiel als nächstes gespielt oder welcher Film als nächstes gesehen werden sollte, kam von unserer ‚Egal-Fraktion‘ immer nur ein lustloses Schulterzucken. Wenn sie an dem Tag hyperaktiver Laune waren, wurde das Schulterzucken verbal untermalt: „Weiß nicht, mir egal, was meinst du Schatz?“ – „Weiß nicht, mir egal. Was meinst du Schatz?“… – Glücklicherweise hielten sich diese hyperaktiven Schübe in Grenzen. Übrigens hielt die ‚Egal-Fraktion‘ auch nur zwei Wochen, dann hatte sie sich neu formiert. Allerdings hatte sich nur der männliche Protagonist geändert, das Prinzip hielt sich gleich. Die Bekanntschaft meiner Wenigkeit mit der ‚Egal-Fraktion‘ ist denn auch recht bald im Sand verlaufen. Aber der Eindruck ist geblieben…

Das ist aber ja noch gar nichts. Die ‚Egal-Fraktionen‘ auf unserer schönen Erde sind ja wenigstens noch friedfertig. Die nerven zwar kolossal, aber weiter tun sie einem nichts. Was es relativ leicht macht, sie wieder los zu werden. Man meldet sich einfach nicht mehr. Da sie immer alles gemeinsam nicht entscheiden – schließlich sind sie zu sehr damit beschäftigt, das lustige „Weiß nicht, was meinst du Schatz“-Spielchen zu spielen – schläft der Kontakt ganz von alleine ein und alle sind zufrieden. Und wenn sie nicht gestorben sind, kleben sie immer noch aneinander und flöten sich gegenseitig ein leidenschaftliches „Mir egal, was meinst du Schatz“ ins Ohr. Schööön!

Was aber macht man mit den weniger friedfertigen Pattex-Pärchen? Die gibt es nämlich auch und sie sind noch weit anstrengender als unsere Freunde vom „Mir egal“-Planeten. Deren Konzept von ‚Wir‘ kann nämlich nur bestehen, wenn es auch ein Konzept von ‚Ihr‘ gibt, das dem feindlich gegenübersteht. Bei Nicht-Pattex-Pärchen gibt es ja ein ‚Ich‘ und ein ‚Du‘, das zusammen ein ‚Wir‘ ergibt, aber weder das ‚Ich‘ noch das ‚Du‘ löst sich in diesem ‚Wir‘-Konzept auf. Beim Aggro-Pattex-Pärchen jedoch gibt es nur noch das ‚Wir‘.

Das ist wie in Yasmina Rezas Stück „Kunst“: „Wenn ich ‚Ich‘ bin, weil ich ‚Ich‘ bin und du ‚Du‘ bist, weil du ‚Du‘ bist, dann bin ich ‚Ich‘ und du bist ‚Du‘. Wenn ich ‚Ich‘ bin, weil du ‚Du‘ bist und du ‚Du‘ bist, weil ich ‚Ich‘ bin, dann bin ich nicht ‚Ich‘ und du bist nicht ‚Du‘.“

Das klingt zunächst nach Quatsch. Aber wenn man nochmal darüber nachdenkt, ergibt das durchaus einen Sinn.

Zurück zu unseren Pattex-Pärchen. Das Unglück fängt für gewöhnlich ganz harmlos damit an, dass sich diese Pärchen in ihren eigenen Kokon ein- und den Rest der Welt ausschließen. Sie bauen sich ihr eigenes kleines Universum auf, in welchem außer ihnen sonst keiner mehr Platz hat. Das ist nicht nur außerordentlich egozentrisch, nein, es birgt auch einfach die Gefahr, dass man die Realität komplett aus den Augen verliert und zu einem von diesen asozialen Aggro-Pattex-Pärchen mutiert. Dass das für die Umwelt nicht gerade sehr angenehm ist (und für die Betroffenen auch nicht, sobald sie mal aus ihrem Kokon auszubrechen suchen) hat zum Beispiel Christopher Nolans Film „Inception“ anschaulich dargestellt. Da ist die Person, die im Kokon bleiben will ja auch ziemlich aggressiv gegenüber der Person, die ausbrechen will.

Gesellt sich zum Egozentrismus eines Aggro-Pattex-Pärchens noch eine gute Portion Materialismus und Paranoia, sind wir im Handumdrehen bei Lady McBeth und ihrem Göttergatten angelangt. Und dementsprechend zu ihren Pendants des Alltagslebens im 21. Jahrhundert. Da fühlt sich nämlich das ‚Wir‘ (das Pattex-Pärchen) von ‚Ihnen‘ (allen anderen) permanent benachteiligt und schlecht behandelt. Und das kann das ‚Wir‘ nicht auf sich sitzen lassen. Es endet zum Glück nicht immer mit Königsmord und dergleichen, aber es sind schon diverse Familien daran zerbrochen, dass sich Pattex-Pärchen paranoider Natur gebildet hatten, die dann beispielsweise den Umgang mit den Enkelkindern verbieten oder einem mit völlig absurden Erbschaftsforderungen auf den Senkel gehen.

Was kann man also tun? Es wie Ingeborg Bachmanns „Guter Gott von Manhattan“ halten und Eichhörnchen zu Terroristen abrichten, die Hotelzimmer mit Pattex-Pärchen in die Luft sprengen? Vielleicht ist das ein wenig drastisch. Außerdem nicht ganz legal. Und moralisch nur bedingt vertretbar. Außerdem, wer schon einmal versucht hat, ein Eichhörnchen einzufangen, kann sich vorstellen, wie schwierig es ist, es zu überhaupt irgendetwas abzurichten. Den Plan kann man also getrost vergessen.

Es bleibt einem wohl nichts anderes übrig, als den Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren und die Angriffspunkte möglichst gering zu halten. Dann schafft man es vielleicht zu einer Art Waffenstillstand mit den Aggro-Pattex-Pärchen. Und das ist doch auch schon was.


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