Essai 69: Über unterschwellige Ideologievermittlung in angeblichen Kinderfilmen

Die Kategorisierung medialer Erzeugnisse stößt bei mir immer wieder auf höchste Verwunderung. Vor allem die Kriterien der Kategorie „Kinder-irgendwas“ sind mir völlig schleierhaft. Da wird etwas als Kinderbuch bezeichnet und darin geht es um Mord, Totschlag, selbsternannte „Herrenrassen“ und vielerlei weiterer Grausamkeiten.

Ich bin ja der Meinung, ein gutes Buch, ein guter Film, überhaupt eine gute Geschichte, funktioniert immer auf mehreren Ebenen. In „Harry Potter“ zum Beispiel gibt es Elemente, die für Kinder tatsächlich zu brutal sind (wie bereits erwähnter Mord, Totschlag und „Herrenrassen“-Fascho-Gedöns), aber es gibt auch Elemente, die Kinder toll finden (Tiere, Magie, Freundschaft). Das ist aber längst nicht alles, es gibt auch Elemente, die eher Jugendliche ansprechen (Liebe und Streit, Generationskonflikte und nicht zuletzt bewährte Suspense-Elemente) und wenn man will, findet man sogar als Literaturwissenschaftler jede Menge Material, welches man analysieren kann (alles was bisher erwähnt wurde und bestimmt kann man das auch psychoanalytisch irgendwie deuten. Das geht nämlich immer).

Vor ein paar Wochen startete ein vermeintlicher „Kinderfilm“ in den Kinos, „Die Legende der Wächter“, nach einem vermeintlichen „Kinderbuch“. Ich kann jetzt nur von dem Film sprechen, das Buch kenne ich nicht. Jedenfalls ist es mir auch hier Schleier(eulen)haft, wieso man einen solchen ideologie-gespickten Streifen als „Kinderfilm“ verkauft. Gut, die Figuren sind Tiere (Eulen) und es ist ein Animationsfilm (übrigens atemberaubend animiert), da sind ja gerade meine Landsleute immer schnell dabei, solchergleichen als „Kinder-irgendwas“ zu deklassieren. Über dieses Thema hatte ich ja bereits im Essai 61 geschrieben. Man scheint hier nämlich so zu denken, wie der eine Einbrecher in „Kevin – allein zu Haus“: „Er ist ein Kind und Kinder sind doof.“ Folglich ist auch alles, was „für Kinder“ ist, für Idioten. Also unseriös und minderwertig. Und alles was mit Tieren ist und dann auch noch gezeichnet/animiert, ist natürlich nur was für Kinder, also Volltrottel, Nullpeiler, Schwachköpfe. Wer was auf sich hält, belächelt solche Machwerke von möglichst weit oben herab, damit alle merken, wie ungemein seriös, klug und erwachsen man ist.

Würde man allerdings sich weniger wichtig nehmen und stattdessen mal genauer hinsehen, würde man auch in Animations-Tierfilmen vieles entdecken können, das man kritisch betrachten, hinterfragen und analysieren kann. Was – man korrigiere mich gerne, sollte ich mich irren – doch wohl durchaus eine hirnbedingte Tätigkeit ist. Und da das Hirn wie ein Muskel funktioniert – hält man es in Bewegung, freut es sich und belohnt seinen Besitzer mit erhöhter Leistungsbereitschaft – ist das sogar das Gegenteil von bescheuert, dämlich und unseriös.

Aber ich schweife ab…

In der „Legende der Wächter“ also geht es um zwei verfeindete Lager, die Figuren sind Eulen, könnten aber genauso gut Menschen sein. Aber dann könnte man es nicht mehr als Kinderfilm verkaufen und die Kinder schon im frühesten Alter mit fragwürdigem Schwarz-Weiß-Denken und dualistischen Weltbildern indoktrinieren. Das Ganze funktioniert also als eine Art Perversion des Fabelprinzips. In der Fabel treten ja wie man weiß auch Tiere anstatt Menschen auf, die aber allesamt menschliche Züge tragen. In exemplarischer Weise werden moralische Fragestellungen verhandelt und zum Schluss in einem Epimythion die moralisch erwünschte Verhaltensweise auf den Punkt gebracht („Und die Moral von der Geschicht:…“). Dieses Prinzip finden wir im Grunde auch in der „Legende der Wächter“ mit dem nicht unerheblichen Unterschied, dass in der Fabel die erwünschte Lesart und moralische Interpretation explizit am Ende zusammengefasst, in diesem Film aber unterschwellig, implizit, dem Zuschauer untergeschummelt wird.

Wir haben in dem Film also auf der einen Seite „die Bösen“, die sich in dieser Variante des „Kampf Gut gegen Böse“-Plots „die Reinsten“ nennen. Auch sie jonglieren mit faschistoidem „Herrenrassen“-Gedankengut und wollen so eine Art Elite-Eulenrasse zurecht züchten, damit… äh… weil… öhm… nun ja… weil sie halt böse sind. Und deswegen wollen sie auch alle, die aufmucken oder sonstwie nicht in ihr kleines „Herrenrassen“-Hirnchen passen, abmurksen. Aber zum Glück gibt es ja noch „die Guten“, die in diesem Fall „die Wächter“ heißen. Die setzen sich zusammen aus lauter Auserwählten, wo jeder seinen vorherbestimmten Platz hat, seine „Bestimmung“. Und sie wollen „die Reinsten“ vernichten, weil… äh… nun ja… öhm… weil sie halt gut sind und die anderen halt böse. Und deswegen wollen sie auch alle, die aufmucken oder sonstwie nicht in ihr vermeintlich überdimensionales „Weltretter“-Hirn passen, abmurksen.

Wer jetzt aufgepasst hat, merkt, das ist ja beides das Gleiche in Grün. Genau. Und das ist der Punkt. Dem Zuschauer wird nämlich unterschwellig vorgegaukelt, es gäbe so etwas wie angeborene Bosheit und angeborene Gutheit. Und dass es die Aufgabe der „Guten“ ist, die „Bösen“ – O-Ton Film – „auszurotten“ (Das Zitat lautet allen Ernstes: „Wir werden nicht ruhen […] bis alles Unrecht ausgerottet ist“). Sicher, das ist ein beliebtes Motiv von Fantasy-Filmen und ähnlichem Machwerk. Dass man eine Bestimmung hat, der man folgen muss, dass alles Schicksal ist, dass man tun muss, wofür man geboren wurde, laber Rhabarber sülz und schwafel. Aber es macht doch einen Riesenunterschied, ob das Menschen sind, die solch fatalistisches Gedöns verzapfen, oder süße, putzig-flauschige Tierchen. Dadurch wird der Metadiskurs des dualistischen Weltbildes (Gut – Böse, Gott – Teufel, Wir – Sie) nämlich eklatant verharmlost und eingeniedlicht. Kindern wird dieser Quatsch als Normalität vorgegaukelt und somit erschwert, dass sie zu selbständig denkenden, kritisch hinterfragenden und differenzierenden Erwachsenen werden. Und das betrachte ich persönlich als kritisch…


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