18. Stück: „Hänsel und Gretel gehn Mümmelmannsberg“ von Volker Lösch im Hamburger Schauspielhaus am 11.11.2010

Schöner leben am Rand – Volker Lösch hat wieder zugeschlagen

Hamburg scheint Volker Lösch zu bekommen. Mit seinem grandiosen “Marat, was ist aus unserer Revolution geworden” hatte er bereits einen kleinen Skandal heraufbeschworen und sich als Vertreter eines neuen politischen Theaters gezeigt. Nun legt er nochmal einen oben drauf und benutzt das Märchen von Hänsel und Gretel als Ausgangspunkt, mit Kindern und Eltern aus dem Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg Kritik an der überhaupt nicht gleichen Gesellschaft im allgemeinen und dem Umgang mit Migration im besonderen zu üben.

Wie im “Marat …” stehen sich auch hier die Schauspieler Achim Buch (damals Marat) und Marion Breckwoldt (damals Marquis de Sade) gegenüber: hochmotivierter, idealistischer Gutmensch auf der einen, ätzend-sarkastische Zynikerin auf der anderen Seite. Auch sind einige Mitglieder des marat-schen HartzIV-Chors wieder dabei, so dass bereits auf der Akteur-Ebene auf einen Fortsetzungscharakter hingewiesen wird. Flankiert werden Achim Buch und Marion Breckwoldt von Tristan Seith und Marco Albrecht. Das Quartett wird sich nach dem Prolog in Idole des “Unterschichten-Fernsehens” verwandeln, Raab, Klum und Bohlen, daneben eine groteske Karikatur Westerwelles, der seine bekannten Phrasen betreffs HartzIV drescht.

Die Schauspieler stehen somit für einen bestimmten Typus, sind also keine psychologisch-realistisch gezeichneten Figuren. Diesen “Helden des Instant-Star-tums” gegenüber stehen der Chor der Kinder und der Chor der Eltern. Es geht hier nicht um Individuen und ihre Einzelprobleme, sondern um grundlegende, gesellschaftliche Probleme. Der Chor ist hier Repräsentant einer Gesellschaftsschicht, die normalerweise nicht zu Wort kommt. Und bei der alle anderen glauben besser zu wissen, was gut für sie ist und was sie brauchen.

Entlarvt wird die gutgemeinte Heuchelei von Charity-Promis und dergleichen, die alles ganz furchtbar schlimm finden, total begriffen haben, worum es im Leben ankommt, aber denjenigen, um die es ihnen angeblich geht, überhaupt nicht zuhören. Es geht nur um sie und ihre Selbstdarstellung.

Das ist nicht nur unterhaltsam, das ist brüllend komisch. Volker Lösch gelingt hier einmal mehr das Kunststück, Humor, Witz und Unterhaltung mit Sozial- und Politkritik zu verknüpfen. Die fantastischen Schauspieler und Chorsprecher reißen das Publikum mit ihrer Energie unweigerlich mit. Natürlich klöterte und holperte der Chor zwischendurch auch mal, hin und wieder geriet es etwas durcheinander. Aber das stört hier nicht weiter.

Aber, wie auch im “Marat …”, ist auch hier nicht klar, was nach Beendigung der Produktion aus den Kindern wird. Und aus den Eltern-Darstellern. Es wäre schön, wenn von den Einflussreichen im Publikum auch welche dabei wären, die ihr soziales Gewissen nicht im Theatersaal gelassen haben und die sich engagieren, diese Menschen zu unterstützen. Mit Jobangeboten, Lehrstellen oder ähnlichem. Wenn die Sozialkritik nur Unterhaltung bleibt, genügt das nicht.

Zum Schluss gab es noch eine kleine Irritation, als der Schauspieler Achim Buch an die Rampe trat um noch eine Ansprache zu den Teilerfolgen in der desaströsen Hamburger Kulturpolitik zu halten. Es war nicht klar, ob dies noch zum Stück gehört, gepasst hätte es jedenfalls. Die große Katastrophe – die massive Kürzung, die das junge Schauspielhaus auf dem Gewissen hätte – ist demnach wohl erst einmal abgewendet. Nichtsdestotrotz ließ es sich Buch nicht nehmen, sich in einem symbolischen Akt seiner Fliege zu entledigen.

Es bleibt die Frage: Kann ein politisches Theater wie dieses tatsächlich etwas bewegen? Die Suche geht weiter…

 

(Isabelle Dupuis)

 


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